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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Auf dem riesigen eichenen Kredenztische aber funkelte und blitzte es von silbernem Geräth und prächtigem Krystall; verwundert lugte die Sonne, die täglich um diese Zeit hier herein einen Blick that, auf diese Pracht, ließ farbige Lichter aufsprühen und streifte das braune Haar über der weißen Stirn Beatens, die beschäftigt war, auf einem Tischchen Blumen in ein paar Vasen zu setzen.

„Werdet Ihr gleich stehen!“ murmelte sie ärgerlich vor sich hin, als ein paar Levkojen immer wieder zur Seite fielen. „So, nun geht’s.“ Und sie steckte in die bunte Pracht eine rothe Rose, und den zierlichen Aufbau betrachtend, reichte sie ihn dem Stubenmädchen, das neben ihr stand. „Trag’ es zur Frau von Berg, Sophie; sie soll es in das Zimmer der Prinzessin Thekla setzen; der Herr habe es befohlen. Dann bist Du gleich wieder unten und wischest noch einmal Staub von allen Stühlen und schließest die Jalousien; eben kommt die Sonne.“

Nun ging auch Beate noch einmal an der Tafel hinunter und blieb kopfschüttelnd vor dem Platz stehen, den sie, nach der Bestimmung Lothar’s, neben Ihrer Durchlaucht der Prinzessin Thekla einnehmen sollte; heute Abend zum ersten Male und dann täglich vier Wochen lang. Wie würde sie das nur aushalten? – Da lag die Suppenkelle, das Symbol ihrer Hausfrauenwürde; Lothar hatte gewünscht, daß sie dieses Amt wie immer verwalten möge, „denn wir sind auf Rittergut Neuhaus, meine beste Beate, und nicht bei Hofe, und nichts in der Welt ist mir unangenehmer, als ein Umhertragen der gefüllten Suppenteller, sie haben so leicht überlaufende Ränder.“

Dies war aber auch so ziemlich das Einzige, was in Hinsicht seines hohen Besuches von ihm angeordnet worden; alles Uebrige hatte er vertrauensvoll ihrem klugen Kopf und ihren geschickten Händen überlassen und allen Fragen gegenüber nur geantwortet: „Aber Du wirst es ja so gut machen; thue ganz nach Deinem Gefallen.“

Nun war sie auch dieser Riesenarbeit Herr geworden. Sie hatte ein weißes Tuch über ihre glänzend braunen Haare gebunden und war in Hauskleid und Wirthschaftsschürze, mit Schlüsselbund, Staubtuch und Besen im Hause umhergezogen, hatte dem Dienstpersonal „Beine gemacht“, wie sie sich ausdrückte, Möbel rücken, Vorhänge aufstecken, Teppiche auf Treppen und Korridoren ausbreiten lassen und Truhen und Spinden das Feinste und Beste entnommen. Und eben war das Letzte gethan; sie konnte sich noch ein paar Stündchen ausruhen, ehe sie ihren Gästen als Hausfrau gegenüber treten mußte.

Die ganze obere Etage hatte man für die durchlauchtigste Schwiegermutter und Schwägerin Lothar’s hergerichtet; der Hofdame war ein nettes Zimmer neben Frau von Berg eingeräumt, der Kavalier nebst Kammerdiener im Gartenpavillon untergebracht worden und die Kammerfrau Ihrer Durchlaucht in der Nähe ihrer Damen. Lothar behielt sein Zimmer rechts vom Hausflur; das liebe alte Wohnzimmer und die Schlafstube Beatens sollten ganz und gar abgeschieden bleiben; einen Zufluchtsort mußte man doch haben.

Beate war eben den Korridor entlang geschritten und näherte sich der Thür ihrer Wohnstube; ein humoristischer Zug flog einen Moment um ihren vollen Mund; dann nahm sie ein Kreidestückchen aus dem Schlüsselkorb, schrieb auf die braune Täfelung „Verbotener Eingang!“ und trat nun, noch immer lächelnd, in ihr Reich. Sie saß ein Weilchen ruhend im Lehnstuhl; dann sprang sie empor und eilte in die Schlafstube. Nach ein paar Augenblicken kam sie zurück; sie hatte einen großen braunen Strohhut aufgesetzt und eine leichte Pelerine um die Schultern geworfen. Im Hinausgehen zog sie ein Paar Leinwandhandschuhe an und trat, noch an denselben knöpfend, in die Küche, wo die Mamsell mit rothem Kopf vor dem Backofen stand und Mürbkuchen herauszog.

„Gut, Riekchen, daß ein paar fertig sind,“ sagte Beate und nahm ein halbes Dutzend des zierlichen Gebäckes, „gebt etwas Papier – so – ich mache noch einen Spaziergang und bin pünktlich zurück. Begeht nur keine Dummheiten mit den Kücken und setzt die Schoten nicht zu früh an; den Rehrücken knapp eine Stunde im Ofen! – Ich sag’s Ihnen noch einmal, ich habe keine Zeit, darnach zu sehen, wenn ich bei Tische sitze, und daß nur die Forellen schön blau und krumm sind und im Grünen servirt werden. Es kommt alles auf Sie, Riekchen.“

Sie nickte noch einmal und ging raschen Schrittes direkt aus der Küche, einen Seitenweg durch den Park nehmend, auf die Landstraße. Eigentlich war’s nicht zu rechtfertigen, daß sie davonlief, heute, wo ihr Ruf als Hausfrau geprüft werden sollte. Wie, wenn irgend etwas mißlang?

„Auch gleich!“ sagte ihr eine innere Stimme, „denn wenn die ganze Hatz hier eingezogen ist, komme ich fürs Erste nicht wieder nach dem Eulenhause zu – zu Claudine und zu der Kleinen.“

Sie ging in wahrem Sturmschritt und nahm allerhand Richtwege; dunkelroth glühte ihr Gesicht, als nach einer halben Stunde das Eulenhaus aus grünen Wipfeln auftauchte; es war just drei Uhr Nachmittags.

Im Schatten der alten Mauer spielte die Kleine mit ihrem Puppenwagen; sie kam mit wehenden Locken auf die Tante zugestürmt, und diese hockte sich an die Erde und fing das Kind mit beiden Armen auf.

„Es war gar nicht hübsch, Tante Beate,“ klagte es; „immerzu hat es geregnet und Tante Claudine ist so oft fortgefahren.“

„Aber heute scheint die Sonne und Du kannst wieder im Garten spielen – gelt, das gefällt Dir?“

Die Kleine nickte und trippelte neben ihr her. „Und Tante Claudine ist auch zu Hause,“ plapperte sie; „sie sitzt in ihrer Stube und schreibt und ist so fein angezogen.“ An der Hausthür blieb das Kind stehen und schüttelte den blonden Kopf; „ich gehe wieder zu Heinemann,“ erklärte sie und lief eilends davon.

Beate stieg die schmale Treppe empor und klopfte an die Thür ihrer Kousine. Claudine saß in der That am Schreibtisch, aber sie schrieb nicht mehr; vor ihr lag ein fertiger Brief; der Duft von feinem Siegellack füllte das Zimmer.

„O Beate, Du?“ sagte sie müde und kam der Eintretenden entgegen.

„Ei, ei!“ scherzte diese. „In Weiß mit blauen Schleifen? Was ist denn los? Willst Du nach Altenstein?“

Das Mädchen nickte.

„Ich hatte abgesagt heute früh, aber die Herzogin ließ es nicht gelten. Sie schrieb mir, wenn ich nicht zu ihr kommen wolle, würde sie zu mir kommen; sie will hier vorüber fahren und mich abholen.“ Sie schaute dabei resignirt an Beate vorüber. „Es ist so heiß,“ fuhr sie fort, „ich sehnte mich nach einem lichten Kleide. Man sagt immer, die Farbe der Toilette habe Einfluß auf die Stimmung, nun – ich könnte ebenso gut –“

„Schwarzen Flor anhaben,“ ergänzte Beate und setzte sich. „Was ist Dir denn? Du siehst aus, als ob Du Migräne hättest!“ und sie sah befremdet in die abgespannten Züge Claudinens.

„Mir fehlt eigentlich gar nichts, Beate.“

„Eigentlich? – Na, das hast Du noch vom Hofe; so eine unglückliche Hofdame muß sich immer ‚wohl‘ befinden, wie ein Ballettmädel immer lächeln muß, auch wenn sie kaum noch Athem kriegt.“

„Beate, Du übertreibst,“ sagte Claudine ruhig. „Nein, ich bin nicht krank; aber denke – vielleicht verreise ich auf einige Zeit.“

„Du?“ rief die Kousine, „jetzt?“

„Ja, ja! Schweige aber darüber. Joachim weiß es noch nicht,“ erwiderte sie. Und ehe noch Beate die Frage aussprechen konnte, die auf ihren Lippen schwebte, fiel Claudine ein: „Ist Dir Joachim nicht begegnet?“

„Nein!“ antwortete Beate leise.

„Ich glaube, er wollte Lothar’s Besuch erwidern; Du weißt, das ist ein Entschluß für ihn. Er ging vorhin erst fort; ich bin überzeugt, er braucht drei Stunden zu dem Wege; denn beim Gehen wird ihm allerlei einfallen, und da setzt er sich denn hin und schreibt und notirt in seine Brieftafel und vergißt Zeit und Ort.“

„Er wird Lothar nicht antreffen,“ sagte zögernd Beate. „Lothar ist nach Lobstedt.“

„Nach Lobstedt?“ fragte Claudine. „Will er verreisen?“

„Nein; er erwartet Prinzeß Thekla mit Tochter; weißt Du das noch nicht? Sie will vier Wochen in Neuhaus residiren, um ihr Enkelchen zu genießen.“

„Nein –“ sagte Claudine tonlos.

„Ich dachte, ich hätte Dir davon gesprochen, Claudine?“

(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 172. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_172.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)