Seite:Die Gartenlaube (1888) 176.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

hinein. Die Menschen stürzen auf die Straße, einer erzählt es dem anderen, aber noch immer findet die Nachricht zahllose Ungläubige, die jedoch rasch bekehrt werden; denn ungestüm werden alsbald Extrablätter ausgerufen und wer auch diesen nicht glaubt, der sieht das Schreckliche jetzt bestätigt durch das Halbmast-Hissen der Fahnen auf allen öffentlichen Gebäuden, auf den Palais und Gesandtschaften, während aus der Ferne dumpf der Donner der Kanonen erschallt.

Noch bevor die Trauerbotschaft auf diese Weise Unter den Linden bekannt wurde, erfuhr man dieselbe schon an dem entlegeneren Eingang zum kaiserlichen Palais in der Behrenstraße, wo in dem Hausflur die amtlichen Bulletins angeschlagen wurden. Der Andrang der Wagen und das gleichzeitige Aufziehen der berittenen Schutzmannschaft, welche die Wache verstärken oder ablösen sollte, verriethen schon äußerlich den Vorübergehenden, daß etwas Außergewöhnliches sich ereignet habe.

„Se. Majestät ist um 8 Uhr 30 Minuten heute früh entschlafen.“

Mit einem Schlage ist die Physiognomie der Straßen verändert. Hier werden die Läden geschlossen; dort weisen die Schaufenster im Fluge hergestellte stimmungsvolle Dekorationen um das Bild, um die Büste, um die Statue des hingeschiedenen Herrschers auf; umflorte Fahnen und schwarze Banner wallen überall hernieder; in fast undurchdringlicher Fülle schieben sich die Menschenhaufen dahin, Wieder strömt alles den „Linden“ zu; Schutzleute zu Fuß und zu Pferde streben gleichfalls dorthin; ein unabsehbares, schwarzes Gewimmel herrscht um das Palais, auf welchem nun wieder in halber Höhe die Purpurstandarte weht. Die Bevölkerung legt Florstreifen an. Später werden mit Flor umhüllte Kornblumen vertheilt.

An den Straßenecken bilden sich jetzt neue Gruppen und lesen die soeben angeschlagene schwarzumränderte Bekanntmachung des Staatsministeriums:

„Es hat Gott gefallen, Seine Majestät den Kaiser und König, unseren Allergnädigsten Herrn, nach kurzem Krankenlager heute Vormittags 81/2 Uhr im 28. Jahre Seiner reichgesegneten Regierung aus dieser Zeitlichkeit abzurufen. Mit dem Königlichen Hause betrauert unser gesammtes Volk den Hintritt des allgeliebten ehrwürdigen Herrschers, dessen Weisheit so lange über seinen Geschicken in Krieg und Frieden ruhmvoll gewaltet hat.“

Wind und Wetter werden bald diese Maueranschläge vernichten, aber was die einfachen Worte sagen, das kann kein politisches Unwetter dem deutschen Volke entreißen!




Aus dem Leben des Kaisers Wilhelm I.[1]

„Geliebt wie keiner je von seinem Volke!“ 

Die Hohenzollern, denen es vergönnt war, den jahrhundertalten Traum eines einigen, starken deutschen Reiches über kühnstes Hoffen hinaus so ruhmvoll und glänzend zu erfüllen, erscheinen hierzu schon durch die Entwickelungsgeschichte ihres Geschlechts als besonders auserwählt. Süden und Norden haben gleichen Theil an ihm. Dem ersteren entsprossen, im letzteren zur Fülle seiner Kraftentfaltung gelangt, ist es wie berufen, die alten Stammesgegensätze in unserem Volke unter seiner Führung auszugleichen und zu versöhnen.

Welchem Deutschen schwebte nicht in großen Zügen die aus sagenhafter Dämmerung der Vergangenheit zum Sonnenlichte der Gegenwart emporwachsende Geschichte unseres Kaiserhauses vor?

Ritterliche und weitblickende Herrscher, bemühen sich die Markgrafen von Brandenburg nicht ohne Erfolg, in des deutschen Reiches „Streusandbüchse“ einen ebenso blühenden wie starken Wall des Deutschthums gegen slavische und skandinavische Eroberungslust zu errichten, bis die Schrecken des dreißigjährigen Krieges nicht nur alle diese Früchte, sondern unser ganzes Volksthum zu vernichten drohen.

Da aber treibt der Hohenzollernstamm ein Reis, „so kräftig wie noch keins zuvor“ – und mit dem Großen Kurfürsten tritt der erste Zollernfürst von welthistorischer Bedeutung und eigentliche Begründer der brandenburgisch-preußischen Anwartschaft auf die Schirmherrschaft Deutschlands in die Erscheinung.

„Auf muth’gem Schlachtroß sah’ ich die Gestalt,
Des Herrscherauges blitzende Gewalt,
Und von des Vaterlandes heil’gen Borden
Zornmüthig fegt sein Schwert die fremden Horden.
Sein kühner Geist und seine scharfe Wehr
erobert deutscher Flagge selbst das Meer.
Den ‚Großen‛ nennt ihn seines Volkes Dank. –
Und andre sah ich folgen des Geschlechts,
Nicht minder groß als er, gerecht und weise –
Bis Einer kommt, der Glücklichste von allen,
Dem es, ein zweiter Siegfried, vorbehalten,
Den lang versunknen Nibelungenhort,
Des Deutschen Reichs verlorne Herrlichkeit
Zu heben aus dem Bann der finstern Mächte
Und mitten im besiegten Feindeslager,
Beschirmt von rath- und thatgewalt’gen Helden,
Neidlos umjauchzt von all’ den andern Fürsten
Und Stämmen des geeinten Vaterlandes,
Die Kaiserkrone auf das greise Haupt
In frommer Demuth sich zu setzen – der
Geliebt wie keiner je von seinem Volke,
Und dessen Stirn der Eichenkranz des Friedens
Und schlichter Bürgertugend schöner noch
Als selbst des Siegers Lorbeer schmücken mag!“

Das nun abgeschlossene Leben dieses „Glücklichsten von allen“ den mit dem gesammten deutschen Volke ihm innig nachtrauernden Lesern der „Gartenlaube“ in großen Umrissen nochmals vor Augen zu führen, ist der Zweck der folgenden Darstellung. Wir müssen uns dabei des gegebenen Rahmens wegen darauf beschränken, nur die besonders bezeichnenden Züge dieser überreichen Laufbahn, deren Geschichte fast gleichbedeutend mit der Geschichte des letzten Jahrhunderts ist, hervorzuheben.

  1. Wir entnehmen die nachstehenden Schilderungen der demnächst im Verlage von Ernst Keil’s Nachfolger erscheinenden ausführlichen LebensbeschreibungKaiser Wilhelm I. Ein Gedenkbuch für das deutsche Volk. Von Ernst Scherenberg“ und empfehlen dieses vorzügliche und wahre Volksbuch, welches durch seinen billigen Preis von einer Mark, geschmackvoll gebunden, jedermann zugänglich ist, unseren Lesern aufs wärmste.
    Die Redaktion. 
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 176. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_176.jpg&oldid=- (Version vom 29.9.2020)