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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Dame und sieht stattlich genug aus in ihrem grauen Seidenkleid; und was das Aeußere des Kindes anbetrifft, so waschen Sie der Kleinen nur die dichte Schicht Reispuder ab, die Sie auf das arme Gesichtchen gelegt haben, wahrscheinlich, um Mama zu rühren. Dann wird’s besser aussehen. Augenblicklich gleicht es Ihnen, liebste Berg, wenn Sie nämlich schmachtend zu erscheinen wünschen.“

„Durchlaucht!“ rief Frau von Berg beleidigt und wurde roth unter eben dieser Schminke.

„Ereifern Sie sich doch nicht,“ fuhr die Prinzessin fort, „geben Sie lieber alle derartigen Attentate auf! Ich finde es nun einmal charmant hier draußen und werde das meinem Schwager sagen.“

„Da werden Durchlaucht völlig seinen Geschmack treffen; auch er findet es in hiesiger Gegend reizend!“

„O, was Sie meinen, Beste, das weiß ich,“ erwiderte die Prinzessin, „aber das ist lächerlich, einfach lächerlich. Heraus mit der Sprache, liebstes Bergchen, wenn Sie etwas Positives wissen,“ sagte sie siegesgewiß. „Sie begreifen doch, es kann mir nicht gleichgültig sein, wer die Mutter des Kindes –“ sie wies nach der Nebenthür – „wird.“

„Durchlaucht glauben mir ja doch nicht,“ schmollte die Dame und sah vorüber an den funkelnden schwarzen Mädchenaugen, die sich fast leidenschaftlich in die ihren senkten.

„Mitunter nicht! Ich weiß indessen ganz genau Wahrheit und Dichtung bei Ihnen zu unterscheiden.“

„Nun, so lasse ich Ihnen die Wahl, Prinzessin,“ begann Frau von Berg eifrig, „ob Sie glauben wollen oder nicht. Er –“

„Es ist nicht wahr!“

„Aber, Durchlaucht, ich sprach noch gar nicht!“

„Alice, sagen Sie nichts, es ist nicht so,“ rief die Prinzessin fast drohend. „Er hat sie niemals angesehen, er ist ihr geflissentlich aus dem Wege gegangen. Sie wollten etwas Anderes erzählen.“

„Gut, wie Durchlaucht befehlen. Sie –“

„Sie ist in andern Ketten und Banden, ich habe es gesehen,“ rief Prinzeß Helene. „Der Herzog –“

„Aber ich habe ja noch garnichts gesagt,“ unterbrach die Berg. „Wenn Durchlaucht so gut unterrichtet sind, was soll ich dann noch sagen?“

„Sprechen Sie, Alice,“ bat die Prinzessin jetzt, „ist es denn möglich? Mama ist außer sich darüber, ich sehe es ihr an; sie redet kein Wort zu mir, seitdem wir den Herzog mit ihr im Wagen gesehen haben, und ihre Nase ist spitz; das bedeutet Sturm. Sie wissen es, Alice.“

„Aber die Herzogin fuhr mit, Prinzessin.“

„Ach Gott,“ rief diese und schlug die kleinen Hände zusammen, „die arme gute Liesel! Sie schwebt, wie gewöhnlich, in höheren Regionen und sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht. Ich wette, Hoheit, meine Kousine, schreibt wieder an einem Trauerspiel, das dann im nächsten Winter zu unser aller Erbauung aufgeführt werden wird. Wissen Sie noch, Alice, vorigen Winter? Aber Sie waren ja in Nizza. Schauerlich! Schauerlich! Ein paarmal kamen mir Thränen in die Augen vor Rührung, im Großen, Ganzen aber – behüt uns der Himmel! Drei Todte waren zuletzt auf der Bühne; und ich hörte, wie Graf Windeck zu der Moorsleben sagte: ‚Passen Sie auf, Gnädigste, jetzt sticht gleich noch der Souffleur den Lampenputzer todt.‘“

Sie lachte schier übermüthig, die kleine Prinzessin, wurde aber sofort wieder ernsthaft. „Ich bin ihr bei alledem doch sehr gut, Alice; sie ist liebenswürdig, trotz ihrer Romanideen. Arme, arme Liesel! Hätte sie nicht heute neben ihr gesessen, ich wäre aus dem Wagen gesprungen und ihr um den Hals gefallen. Sagen Sie, Alice, wie kann man einen solchen Eiszapfen, wie diese Claudine, zu näherem Verkehr um sich haben?“

Die Tischglocke erscholl in diesem Moment und Prinzeß Helene ließ sich in ihrem Zimmer noch in aller Eile die Stirnlöckchen von der Kammerjungfer arrangiren. Auf der teppichbelegten Treppe schritt eben Prinzessin Thekla am Arme des Hausherrn hinunter, als sie mit Frau von Berg und der Hofdame nachfolgte.

„Apropos, Alice,“ fragte die junge Prinzeß leise; „was ist das für ein Herr, der in dem Zimmer wohnt, wo angeschrieben steht ‚Verbotener Eingang‘?“

„Ein Herr, Durchlaucht?“

„Nun ja, ja!“

„Durchlaucht müssen einen Geist gesehen haben.“

„Doch nicht. Ich werde mich bei Fräulein von Gerold erkundigen.“ Und sie that es auch sofort, man hatte kaum Platz genommen.

„Das war mein Vetter Joachim, Durchlaucht,“ antwortete Beate, und die Suppenkelle schwankte ein klein wenig in ihrer Hand.

„Der Bruder von Claudine Gerold?“

„Ja, Durchlaucht.“

„Das Eulenhaus ist ja wohl sehr nahe, lieber Gerold,“ erkundigte sich Prinzeß Thekla und nahm etwas mehr Salz in die Suppe.

„In einer halben Stunde zu erreichen,“ erwiderte er; „wenn die gnädigsten Herrschaften befehlen, fahre ich sie vorüber an der Klosterruine. Sie ist sehenswerth.“

„Danke!“ unterbrach ihn kühl die alte Prinzessin.

„Danke!“ betonte ebenso kühl Prinzeß Helene.

Er sah verwundert von seinem Teller auf. „Durchlaucht werden diesen Anblick kaum vermeiden können; unser schönster Waldweg führt an der Ruine vorbei.“

„Ich hoffe, Baron,“ nahm Prinzeß Helene das Wort und lenkte damit Lothar’s Blicke von der wirklich eigenthümlich spitz gewordenen Nase seiner erlauchten Schwiegermutter ab, „ich hoffe, Sie werden mich auf meinen Ritten begleiten; Komtesse Moorsleben ist zuweilen auch von der Partie.“

„Durchlaucht brauchen nur zu befehlen,“ erwiderte er und streifte das hübsche Gesichtchen der Komtesse, die über das „zuweilen“ mühsam ein spöttisches Lächeln unterdrückte. In der Residenz mußte sie alle Tage dabei sein, sonst ritt die kleine Prinzeß nicht.

Prinzessin Thekla sprach jetzt von einer Milchkur, die sie unternehmen wollte. Sie war mit einem Male blendend liebenswürdig, scherzte mit Lothar über seine idyllische Häuslichkeit und nannte Beate einmal über das andere: „Meine Theure“. Niemals hatte sie so deliciöse Forellen gegessen; und als Lothar sich erhob, das gefüllte Glas mit dem perlenden Champagner in der Hand, für die große Ehre dankend, die ihm durch den Besuch der durchlauchtigsten Großmama zu Theil geworden, reichte sie ihm huldvoll die reich beringte schmale Hand zum Kuß und drückte das spitzenbesetzte Tuch einen Moment gerührt an die Augen.

Unter dem Vorwand, sie sei ermüdet, hob sie die Tafel noch vor dem Nachtisch auf und die Damen zogen sich in ihre Gemächer zurück. Frau von Berg durfte noch lange am Bette der Prinzessin Thekla sitzen, und als sie endlich ihr Zimmer aufsuchte, geschah es mit erhobenem Kopfe; sie schrieb noch ein Postscriptum unter den Nachmittags begonnenen Brief:

„Es ist alles in schönster Ordnung; die Kleine brennt lichterloh in Liebe und – Haß. Für wen die erstere Flamme leuchtet, wissen wir, und die letztere flackert für Claudine.

In wenigen Tagen werden die Bäume im Walde sich eine große Neuigkeit erzählen. Im übrigen, anfangs der nächsten Woche findet hier ein Fest statt; es wird hervorragend sein; Prinzeß Helene schwärmt von einem Tanz unter den Linden im Garten. Notabene, sie hat bei aller Bosheit eine gewisse Gutmüthigkeit, so daß man sich bei ihr eines thörichten Streiches wohl versehen kann und vorsichtig sein muß!

A. v. B.“     

Sie siegelte den Brief und trug ihn hinunter; eins der Küchenmädchen empfing ihn im Halbdunkel des Souterrains und steckte schmunzelnd einen Thaler in die Tasche. Frau von Berg mußte hohes Porto zahlen.

In der dämmerigen Wohnstube aber erscholl ein herzliches Frauenlachen. Als Beate hereintrat, saß da noch immer eine Gestalt in ihrem Lehnstuhl auf der Estrade und schrieb an ihrem Nähtischchen im allerletzten Tagesschein.

„Aber, Joachim!“ rief sie mit ihrer klingenden Stimme, „wollen Sie sich durchaus die Augen verderben?“

Er fuhr empor; er hatte ganz vergessen, wo er war. „Mein Gott,“ sagte er erschreckt und faßte nach dem Hut, „ich habe mich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 186. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_186.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)