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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Schon am Morgen hatte der König seinen Söhnen angekündigt: „Heute werden wir Bataille haben. Reitet voraus, ich komme nach. Aber exponirt Euch nicht unnütz! Verstanden?“

Bei dem Korps des russischen Generals Wittgenstein trafen sie später mit dem Vater wieder zusammen und befanden sich oft mit ihm im heftigsten Gewehrfeuer. Plötzlich zeigt der König nach einer Stelle hin, wo der Kampf an den zu nehmenden Weinbergen besonders mörderisch entbrannt ist, und befiehlt dem Prinzen Wilhelm:

„Reite einmal dahin und erkundige Dich, welches Regiment dort im Feuer ist. Die Blessirten mehren sich ja in jedem Augenblick.“ Der Prinz salutirt und reitet, als sei er Adjutant des Königs, ohne Verzug geradeaus zu dem schwerbedrängten russischen Regiment Kaluga, unter dessen Soldaten er, zur freudigen Verwunderung und Ermuthigung derselben, auf einmal erscheint. In voller Ruhe erkundigt er sich nach dem Namen des Regiments, überzählt dann noch die bisherigen Opfer desselben, nimmt den Stand des Gefechts in Augenschein und reitet endlich durch den Kugelregen ebenso kaltblütig zurück, wie er gekommen. In kurzer militärischer Art erstattet er dem Könige Meldung. Schweigend, ohne irgend ein äußeres Zeichen seiner Bewegung oder ein anerkennendes Wort, hört der Vater den Rapport an. Ebenso verhält sich auf einen Wink des Königs die Umgebung desselben. Nur Oberst von Luck, des Kronprinzen früherer Gouverneur, welcher den Vorgang mit Spannung verfolgt hat, reitet an den ritterlich bescheidenen Jüngling heran und drückt ihm stumm die Hand. Und an demselben Nachmittage wohnt der Prinz noch dem Sturmangriff eines Bataillons desselben Regiments Kaluga bei, durch welchen der Sieg für die Verbündeten entschieden wird.

Diese rühmlich bestandene Feuerprobe, welche Prinz Wilhelm in seinem soldatischen Pflichtgefühl gar nicht als etwas Besonderes betrachtet hatte , trug ihm seitens des Kaisers Alexander am 5. März die erste Auszeichnung für Tapferkeit auf dem Schlachtfelde, das Kreuz des St. Georgsordens vierter Klasse, ein. Sein Vater aber kannte des Sohnes Herz und wählte den Geburtstag der unvergeßlichen, nunmehr durch die Thaten der Ihrigen und ihres Volkes an ihrem korsischen Peiniger gerächten Mutter, den 10. März, um dem jungen Kapitän das Eiserne Kreuz anzuheften. Nun erst, da ihn der König nebst seinem gleichfalls dekorirten Bruder den glückwünschenden hohen Offizieren des Gefolges als Ritter des Eisernen Kreuzes vorstellte, wurde dem Prinzen die ganze Bedeutung des Vorganges von Bar sur Aube klar.

Am 30. März war Prinz Wilhelm vor Paris nochmals Zeuge der todesverachtenden Tapferkeit, welche die preußischen Garden unter Oberst von Alvensleben bei dem Dorfe Pantin bewiesen. Tags darauf ritt er mit seinem Bruder und Vetter Friedrich, „auf dem Tschako einen Buchsbaumzweig und um den linken Arm eine weiße Binde“ (das Zeichen der verbündeten Truppen), hinter den Monarchen Alexander und Friedrich Wilhelm in die besiegte Hauptstadt ein, von den wetterwendischen Parisern mit Jubel und Tücherwehen als Befreier empfangen. Der besiegte Napoleon wurde nach französischer Art im Jahre 1814 ebenso rasch vom Volke verlassen und verdammt, wie sechsundfünfzig Jahre später sein Neffe. Aber der siebzehnjährige Bewohner des Hôtels der Ehrenlegion (dort war Prinz Wilhelm in Paris abgestiegen) konnte damals nicht ahnen, daß ihm vorbehalten blieb, das Gottesgericht an einem andern Napoleoniden nach länger als einem halben Jahrhundert nochmals zu erleben und dabei selbst die gewaltigste Sendung seines Lebens zu erfüllen!

Der Tag des ersten Pariser Friedens (30. Mai) brachte dem Prinzen Wilhelm seine Ernennung zum Major. In diesem neuen militärischen Range begleitete er seinen Vater im Juni bei dem Besuche in London. So konnte der Prinz unmittelbar hinter einander die großartigen Eindrücke der beiden ersten Weltstädte Europas in sich aufnehmen und an diese reihten sich, als er dann dem Könige auch im Juli auf der Reise nach dem wieder in Besitz genommenen Neuchatel zur Seite bleiben und mit ihm zusammen einen Ausflug in das Berner Oberland machen durfte, sofort die ergreifenden Wunder der Alpenwelt.

Als der Prinz nach zehnmonatiger Abwesenheit von der Heimath am 7. August durch das Brandenburger Thor unter dem von Frankreich wiedereroberten Viergespann dort mit dem königlichen Vater und den siegreichen Feldherren seinen Einzug hielt, konnte er im Rückblick auf diese hinter ihm liegenden bewegten Tage wohl sagen, daß sie die bedeutungsvollsten seines bisherigen Lebens gewesen waren.

Im zweiten Feldzuge gegen den aus seinem Exil entflohenen und in Südfrankreich gelandeten Korsen sollte Prinz Wilhelm nicht vor den Feind kommen. Als er mit seinem Vater am 22. Juni Berlin verließ, hatten zu aller Ueberraschung Blücher und Wellington die Hauptarbeit bei Belle-Alliance oder Waterloo am 18. Juni bereits gethan; und als die Monarchen am 10. Juli, diesmal in aller Stille, in Paris einfuhren, fanden sie die Hauptstadt, zum Aerger des Kaisers Alexander, durch Blücher, der sich bei der Verfolgung der geschlagenen Heere wiederum so recht als „Marschall Vorwärts“ bewährt hatte, bereits seit vier Tagen besetzt. Prinz Wilhelm, der mit den verbündeten Truppen marschirt war, traf erst am 13. Juli in Paris ein, wo er diesmal das Hôtel d’Avray bezog. Hier befiel den Prinzen eine Brustfellentzündung, von welcher er aber zur Freude des Vaters bald wieder genas, um sich nach diesem letzten Tribut an die Körperschwäche seiner frühen Jugendzeit fortan doppelt gefeit gegen alle Krankheitsstürme zu männlicher Kraft und echter Ritterlichkeit zu entwickeln.

(Fortsetzung folgt.)




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Josias.
Eine Geschichte aus alter Zeit von Fanny Lewald.
(Fortsetzung aus Nr. 10.)

Das Abenteuer der Franull war zunächst abgethan. Es hatte jedoch die Eltern und den Grafen einander näher gebracht. Der Graf und der Vater luden sich seitdem häufiger zum Jagen ein; man plauderte beim Fortgehen aus der Kirche länger mit einander, bevor man in die Wagen stieg; und da eben in jenem Herbste meine Mutter sich nicht gut befand, so daß sie längere Zeit das Zimmer hüten mußte, kam der Graf, was sonst nicht geschehen war, mehrmals ungeladen nach Schönfelde, sich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Alle die Jahre hindurch hatte man als nächste Nachbarn mitten im Lande gelebt, ohne dieses Verhältniß sonderlich auszunutzen; nun fand man sich zusammen und hätte doch kaum sagen können, wie oder wodurch es sich also gemacht, während man es mit Behagen bemerkte. Es war angenehm, ab und zu eine Partie Boston zu haben; der Graf, welcher in meinem Vater den erfahrenen Landwirth anerkannte, zog ihn gelegentlich gern zu Rathe, und Franull und die Alte wurden zwischen dem Grafen und meiner Mutter mehrfach ein Gegenstand theilnehmender Besprechung.

Als Franull im Spätherbst so weit genesen war, daß sie, wenn auch noch unsicher, wieder im Hause umher gehen konnte, hatte der Graf zu meiner Mutter einmal die Aeußerung gethan, wie sonderbar die Verhältnisse sich manchmal gestalteten, wenn man im gegebenen Augenblicke das von ihm unbedingt Geforderte thue und danach zu erkennen habe, daß man damit eine weitgehende Verpflichtung über sich genommen, an die man im entferntesten nicht gedacht.

,Ich hatte gemeint‛ sagte er, ,die Alte werde Gott weiß wie glücklich sein, wenn sie eine Weile unter Dach und Fach ihr Essen und Trinken haben würde; aber sie ist an das Herumziehen gewöhnt; sie will nicht arbeiten, treibt sich im Dorf umher, bestärkt die andern Weiber in ihrem Aberglauben an das Besprechen von Menschen und Vieh, und neulich hat meine Wirthschafterin sie darauf ertappt, daß sie dem Mädchen die Schiene aus dem Verband nehmen und ihre Heilkünste an ihm versuchen wollte, wogegen dieses sich gesträubt. Ich habe also meine Maßregeln getroffen und schicke sie in das Landarmenhaus, um sie nicht dem Arbeitshause verfallen zu lassen.‛

‚Alle beide?‘ hatte meine Mutter verwundert gefragt.

‚O bewahre!‘ hatte der Graf gerufen. ‚Mit dem Mädchen ist es ja etwas ganz Anderes. Das ist ein sehr sonderbares Geschöpf.‘

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 190. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_190.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)