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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

wurden, da trug der Wind das Glockengeläut von der Kirche in Benwitz zu uns herüber, und wie ich an das Fenster trete, sehe ich von Dambow her ein Begräbniß daherkommen. – Ich schnell hinunter! Sie sind mit dem Sarge grade vor unserem Gartenthor. Ich mache es auf und frage: ‚Wer ist denn gestorben?‘ denn ein Begräbniß kommt auf dem Lande nicht so alltäglich wie in den großen Städten vor, daß man es gleichgültig wie anderes Transportfuhrwerk an sich vorüberziehen sieht.

‚Wer gestorben ist?‘ wiederholt der eine der Träger; ‚das Frauenzimmer vom Schloß, die Franull!‘ und damit gehen sie ihres traurigen Weges weiter.

Ich fuhr erschreckend zusammen und hatte nichts Eiligeres zu thun, als mit dieser Nachricht zu Doktor Hartusius zu laufen, der sie mit einer mir auffallenden Gleichgültigkeit hinnahm.

‚Wissen Sie noch, Herr Doktor, wie wir sie damals auf dem Seile gesehen haben,‘ fragte ich, ‚und wie schön sie aussah?‘

‚Freilich!‘ gab er mir zurück. ‚Es sind nun vier Jahre her und etwas darüber!‘ Und als ob ihn die Erinnerung milder stimmte, setzte er hinzu: ‚Schade um sie!‘

Auch beim Mittagessen wurde über den Tod Franulls, als ich ihn aufs Tapet gebracht, rasch hinweggegangen, und die Eltern hatten doch sonst immer ein Herz für die Leute von den Dörfern, und die Mutter hatte sich doch für Franull interessirt und sich über sie gefreut. Was konnte geschehen sein, was konnte sie verbrochen haben, daß man es mit solcher Geflissentlichkeit vermied, von ihr zu reden? Es ging mir im Kopfe herum. Ich wendete mich, da ich von den Andern keine Antwort erhielt, fragend an Jeannette. Mamsell Jeannette war meine Bonne gewesen, ein braves, nicht mehr junges Mädchen von der Kolonie, das man im Hause behalten und das zu einer Vertrauensperson geworden war. Sie behauptete, nichts zu wissen; es stürben ja in diesem Herbste viele Menschen; und da der Vater uns bald darauf wieder nach Berlin mitnahm, wo wir diesmal länger als gewöhnlich verweilten, kam mir die Sache aus dem Sinn. Als wir dann nach Hause zurückgekehrt waren, packte meine Mutter mit Mamsell Jeannette die Koffer aus, und sie hatte mich herbeigerufen, damit ich die Bücher in Empfang nehmen sollte, welche man in Berlin für mich gekauft.

‚Was hat es hier Neues gegeben in unserer Abwesenheit?‘ fragte die Mutter, während Jeannette ihr half, ihre Sachen zu ordnen.

‚Das Neueste,‘ berichtete Jeannette, ‚das Neueste ist, daß der Herr Graf von Dambow das Kind von der Franull in Benwitz auf den Namen seiner Mutter Franziska Wizkowich hat taufen lassen, und daß er es bei sich im Schloß behält. Da gerade keine nährende Frau unter den Leuten zu finden war, so hat er die Frau von dem Grenwitzer Hirten als Amme in das Schloß genommen.‘

Die Mutter machte mit einem Blicke auf mich eine tadelnde und abwehrende Bewegung; es war aber zu spät. Ich hatte alles gehört und fuhr mit der Frage dazwischen: ‚Das Kind von der Franull? Die hat ja keins gehabt!‘

‚Sie hat eines bekommen in der Nacht, in welcher sie gestorben ist!‘ sagte die Mutter, ging hinaus, hieß Mamsell Jeannette ihr zu folgen und –“

„Josias! Das war Deine Franull?“ fiel ich ihm, ich möchte sagen, jubelnd in die Rede.

„Ja! Das war sie! Das ist sie!“ sprach er mit erhobener Stimme, und seine treuen Augen leuchteten auf. „Das war meine Franull! Und ich wollte, Du hättest sie gesehen in der Schönheit, in der Pracht ihrer frühen Jugend; Du hättest sie gekannt in dem unwandelbaren Adel ihres Sinnes! Sie hätte einen Thron geziert.“

Ich nutzte die kleine Pause, die er machte, ihn an den Aufbruch aus dem Freien zu mahnen. Es war kühl geworden, er hatte sich warm gesprochen. Von der Spree und von den Wiesen her machte die Feuchtigkeit sich fühlbar. Ich hatte ja einzustehen für den meiner Pflege anvertrauten Freund, und meiner Erinnerung nachgebend, zog er sich mit mir in das Haus zurück, als grade der Wagen meiner Eltern vorfuhr. Da konnte denn von der Fortsetzung seiner Erzählung an dem Abende nicht mehr die Rede sein.


(Fortsetzung folgt.)




Die Begrüßung Kaiser Friedrichs in Leipzig.


Gen Berlin! Schon am Morgen des elften März war es in allen Kreisen Leipzigs bekannt: der Kaiser kommt durch unsere Stadt und das preußische Staatsministerium wird ihn am Bahnhof begrüßen. Die erste Begegnung zwischen Kaiser Friedrich und seinem Ministerium, in Leipzig, unweit der preußischen Landesgrenze – es mußte ein feierlicher, hochbedeutungsvoller Akt werden, dem als Augenzeugen beizuwohnen Tausende den Wunsch hegten. Tausende – und für wenige hundert bot der Bahnhof Platz! So war es erklärlich, daß eine starke Schutzmannschaft aufgeboten werden mußte, den ungeheuren Andrang des Publikums abzuhalten. Von jeder besonderen Vorbereitung für einen feierlichen Empfang war abgesehen worden, da es frühzeitig schon bekannt wurde, daß der Kaiser den Wagen aller Voraussicht nach nicht verlassen würde, wie es sich später auch bestätigte. Nur der Wartesaal erster Klasse war für den Empfang der Minister hergerichtet und für den übrigen Verkehr abgesperrt.

Kurz vor sechs Uhr Nachmittags trafen die hohen Gäste aus Berlin ein, an ihrer Spitze Fürst Bismarck. Sie begaben sich in den reservirten Wartesaal und mußten dort etwa eine Stunde auf die Ankunft des kaiserlichen Hofzuges warten. Eine lebhaftere Bewegung unter den auf dem Perron Harrenden verrieth dann das Nahen des Zuges, und bald fuhr er langsam in den Bahnhof ein. Wie gebannt hingen aller Blicke an den leicht kenntlichen Salonwagen, alle hofften, noch ehe der Zug halten würde, die Gestalt des kaiserlichen Herrn für einen Moment zu erblicken, und in aller Augen war die bange Frage zu lesen: wie sieht er aus? welche Veränderung hat die schwere, unheilvolle Krankheit in dem Aeußern des geliebten Monarchen bewirkt? Jetzt ward die Gestalt Seiner Majestät deutlich sichtbar. Der Kaiser saß unweit eines der Fenster an einem kleinen Tische, ein wenig vornüber geneigt, wie in die Lektüre eines Buches vertieft. Und eine freudige Bewegung flog durch die lautlos harrende Menge; denn was das Auge da sah, das war keineswegs so trostlos, wie es die trüben Berichte der Zeitungen hatten befürchten lassen. Der Kaiser hatte sich, während der Zug langsam vorüberfuhr, um auf das erste Geleise übergeführt zu werden, erhoben und ging im Wagen auf und ab. Der rothe Kragen des Interimsrockes leuchtete durch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 192. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_192.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2018)