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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

hatte eines Tages, schüchtern wie ein Pensionsmädchen, ein paar Hefte in Claudinens Hand gelegt; es waren liebliche kleine Gedichte, von ihr verfaßt. Zuerst jubelnde Lieder der Brautzeit, dann die tiefinnerlichen Glücksworte der jungen Ehefrau, und zuletzt die Verse, die sie aufschrieb an der Wiege ihrer Söhne. Vielleicht waren die Lieder zu zart, zu sentimental; aber wenn Claudine die anschaute, die sie gedichtet, so meinte sie, sie könnten nicht anders sein, als durchweht von überschwenglichem Glück und von todestraurigen Ahnungen.

Auch einige kleine Novellen waren darunter, eigenthümlich erdacht. Es gab da immer ein paar Menschen, die sich über alles lieben und – getrennt werden durch den Tod, durch einen tückischen Zufall, durch ein unabweisbares Verhängniß – niemals aber durch die Schuld des Einen oder Andern. Claudine hatte gestaunt über die traurigen Abschlüsse, aber nicht gewagt, darüber zu sprechen, weil sie fürchtete, die schon zur Schwermuth Geneigte noch trauriger zu machen.

So waren acht stille schöne Tage vergangen. Die Neuhäuser hatten diesen Frieden nicht gestört, wie die Herzogin anfänglich fürchtete. Prinzeß Helene war einige Male wie ein Wirbelwind in den Zimmern der Herzogin erschienen, hatte aber deutlich zu erkennen gegeben, daß sie die größtmögliche Eile habe, zu dem süßen Baby ihrer verstorbenen Schwester zurückzukehren. Die alte Prinzeß lag derweilen in Neuhaus auf einer Chaiselongue mit verletztem Fuß. Claudine sah Beate nur einmal flüchtig, als diese in aller Morgenfrühe nach dem Eulenhaus gewandert war, um sich nach einigen kleinen Prinzessin-Angewohnheiten zu erkundigen und eine Menge köstlicher Kuchenstückchen, Bonbons und Konfitüren abzuladen. Sie sprach sich anerkennend aus über die neue Einrichtung auf Eulenhaus, den Besuch des Fräulein Lindenmeyer betreffend; im übrigen war sie still und gedrückt und hatte auf Claudinens Frage ungeduldig die Schultern etwas gehoben und gesagt, sie wünsche weiter nichts, als vier Wochen älter zu sein. Es sei fürchterlicher, als sie sich gedacht; kein Winkelchen sei im ganzen Hause, wo man seines Lebens sicher wäre vor der Prinzeß, diesem Irrwisch, und Lothar erwidere ihre Klagen mit Achselzucken.

Claudine hatte das Haupt gesenkt, als käme jetzt ein Blitzstrahl, der die letzte Hoffnung vernichten müßte; aber Beate war still geworden und hatte dann von etwas Anderem gesprochen, nämlich, wie diese Berg doch täglich unangenehmer werde; sie habe entschieden einen sehr großen Einfluß auf die alte Prinzessin. „Mir kann es aber gleich sein,“ hatte sie noch hinzugefügt.

Heute, an einem echten köstlichen Sommertage, hatte die Herzogin den Thee im Parke befohlen, dort, wo die Waldbäume an den Garten stoßen, an jenem Platze, wo Joachims Weib für immer eingeschlafen war. Unter den alten Eichen schaukelte die Hängematte der Herzogin, und Claudine, im leichten weißen Kleide, saß neben ihr auf einem bequemen, mit Leinen überspannten Sessel aus Bambusstäben und las. Vor ihr auf dem Tischchen aus japanischer Flechtarbeit lag die unvermeidliche Wollstickerei der Frau von Katzenstein; diese selbst stand etwas seitwärts und bereitete den Thee. Im Schatten einer mächtigen Kastaniengruppe, von den Damen um die Breite des Kiesplatzes getrennt, spielte der Herzog Luftkegel mit den zwei ältesten Prinzen ,dem Rittmeister von Rinkleben und Herrn von Palmer; das Jubeln der Kinder, das Lachen und das Klappen der umfallenden Kegel tönte herüber und die Augen der Herzogin sahen mit glückseligem Ausdruck dorthin.

„Halten Sie ein, Claudine,“ bat sie jetzt. „Der Tag ist so schön, die Sonne so golden und diese Erzählung so düster. Heute erscheint mir das so unnatürlich – was glauben Sie, daß noch geschehen wird? Mit jenen Beiden in dem Buche, meine ich.“

„Hoheit, ich fürchte, es endet entsetzlich,“ sagte die junge Dame und gehorsam legte sie das Buch auf den Tisch.

„Er hat sich ja bereits Gift verschafft,“ gab die Herzogin zu.

„Ja,“ erwiderte Claudine, „sie wird sterben müssen.“

„Sie?“ fuhr die Herzogin erstaunt auf; „aber beste Claudine, welch entsetzliche Phantasie! Er selbst will sich vergiften, weil er fühlt, er kann mit ihr nicht leben, und ebenso wenig ohne die Andere.“

„Ich weiß nicht, Hoheit,“ stotterte das Mädchen, – „dem Gange der Geschichte nach vermuthete ich –“

„Bitte, geschwind das Buch!“ rief die Herzogin. Sie schlug es auf und las das Ende. „Mein Gott, Claudine, Sie haben Recht,“ sagte sie dann.

„Es ist psychologisch auch nicht anders möglich; wenn Hoheit der Charakterschilderung des Mannes gefolgt –“

„Es ist mir nichts Besonderes an ihm aufgefallen,“ unterbrach die Herzogin. „Nein, Claudine – das ist unwahr! Gott sei Dank, solche Phantasien gehören in die Rubrik des Wahnsinns. Wir wollen das Buch nicht weiter lesen; die Welt ist so schön und ich bin so froh, so leicht heute.“

Sie warf die seidene Decke zurück, die über ihr mattrothes, mit weißen Tüpfelchen gemustertes Foulardkleid gebreitet war, und winkte mit der Hand hinüber zu den Kastanien.

„Sehen Sie, Claudine, da kommt eben der Herzog; er scheint müde vom Spiel. – Mein lieber Freund, ich bin etwas zu faul heute für unsere Dominopartie, aber vielleicht übernimmt Fräulein von Gerold meine Stelle? – Bitte, das Tischchen hierher,“ befahl sie und wandte sich herum in der Hängematte, stützte das Haupt auf die Hand und sah zu, wie der Herzog Claudine gegenüber Platz nahm, die Steine vertheilte und die seinigen aufbaute.

Claudinens schlanke Finger begannen plötzlich zu zittern; sie neigte das schöne Gesicht tiefer über die schwarzweißen Steinchen und eine rosige Gluth stieg ihr bis unter das wundervolle üppige Blondhaar. Dort drüben, jenseit des Rasenplatzes, war etwas Blaues aufgetaucht – flatterte näher wie ein zierlicher Schmetterling und blieb dann mit einem Male regungslos stehen. – Und hinter diesem Blauen?

„Ah, mein Kind,“ sagte die Herzogin halblaut, „Sie scheinen zerstreut, der Herzog wird die Partie gewinnen.“

„O, das ist ja eine idyllische Gruppe; das ist, als habe Watteau sie arrangirt! Ich fürchte, Baron, wir stören,“ rief die in hellblaues Leinen gekleidete Prinzessin und wandte sich mit einem halb spöttischen, halb ärgerlichen Ausdruck nach rückwärts, wo ihre Mutter am Arme des Schwiegersohnes ging, gefolgt von dem Kavalier und der Hofdame. Und sie sah in Lothars Gesicht, das, wie aus Erz gegossen, keinen Zug veränderte.

Ihre Durchlaucht, die alte Prinzessin, nahm die Lorgnette vor die Augen und sagte, ohne eine Miene zu verziehen: „En avant, mein Kind; Du wünschtest Elisabeth zu überraschen – übernimm also die Anmeldung – bitte!“

Prinzeß Helene bewegte sich vorwärts; aber sie flatterte nicht mehr, es war nur ein langsames Gehen und ihre schwarzen Augen sahen sehr unzufrieden drein. Sie klappte geräuschvoll ihr Sonnenschirmchen zu, als sie sich näherte, und blieb dann mit einer schmollenden Miene stehen. „Pardon, Hoheit, wenn ich störe –.“

Die Herzogin blickte auf und lachte. „Wo kommst Du her, Wildfang?“ und sie streckte ihr die Hand entgegen. „Bist Du über die Mauer geflogen, oder –?“

„Mit der Neuhäuser Equipage gekommen. Mama, Baron Gerold und die Andern sind dort hinten und bitten um den Vorzug, Hoheit begrüßen zu dürfen.“

Sie verneigte sich graziös vor dem Herzog und küßte die Hand der Herzogin. Claudine, die neben dieser stand, schien Ihre Durchlaucht nicht zu bemerken; sie begann mit komischem Eifer ihren Sonnenschirm zu schwenken, als wollte sie den Nahenden ein Zeichen geben, daß sie willkommen seien.

Der Herzog schritt der alten Prinzessin entgegen und führte sie seiner Gemahlin zu; Lothar kam bei der Begrüßungsscene neben Claudine zu stehen, aber vergeblich wartete sie auf ein Wort; sie erhielt nur eine stumme Verbeugung. Man nahm Platz; ein lebhaftes Gespräch entspann sich zwischen den fürstlichen Damen. Prinzeß Thekla bat um Entschuldigung, sich so unverantwortlich spät nach dem Befinden Ihrer Hoheit erkundigt zu haben; aber sie habe einen Unfall auf der Neuhäuser Schloßtreppe erlitten und sechs Tage lang Arnikakompressen auf dem Fuße gehabt; und Prinzeß Helenes Besuche wären auch so flüchtig gewesen, sie sei aus der Kinderstube und aus dem Neuhäuser Schlosse gar nicht wegzubringen; sie habe sich sogar von Fräulein Beate eine leinene Schürze geborgt und sei mit ihr in allen Wirthschaftsräumen umher gelaufen, auf dem Boden und in Keller und Speisekammer. Die alte Prinzessin drohte dabei scherzhaft ihrem Töchterlein mit aufgehobener Hand. „Gestern

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