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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

ertappte ich sie in der Küche beim Himbeereinkochen! Ja, ja, verstecke nur Deine Arbeitsfingerchen!“

Die Herzogin wandte sich lächelnd an Prinzeß Thekla. „Wie befindet sich das Enkelkindchen?“ fragte sie.

„Nun, es erholt sich ja,“ antwortete die alte Dame widerwillig, „aber noch lange nicht genügend. Die gute Berg hat wohl die Vorschriften des Arztes, den der Baron sich ausgesucht, etwas allzu streng befolgt – niemals Medicin, aber dafür kühle Abwaschungen und frische Luft von früh bis Abends; das Kind ist dafür viel zu zart. Es bekommt jetzt als Präservativ gegen Erkältung Aconit und wird bis Mittags im Zimmer gehalten.“

„Mein Töchterchen läuft bereits ein wenig, wenn auch noch schwankend,“ fügte der Baron gelassen hinzu, „und da sie die normale Größe einer zweijährigen jungen Dame hat, klettert sie auf Sophas und Stühlen umher.“

„Noch lange nicht genug,“ wiederholte Prinzeß Thekla, ihn unterbrechend.

„Ich bin mit diesem Wenigen schon sehr zufrieden,“ erwiderte er.

Claudine hatte sich inzwischen freundlich zu Komtesse Moorsleben gewandt und fragte sie irgend etwas Gleichgültiges. Einige wenige Worte, wobei die lustigen braunen Augen der jungen Dame nach einer ganz anderen Richtung schauten, waren die Erwiderung.

Befremdet schwieg Claudine. Die kleine Prinzessin ihr gegenüber im Schaukelstuhl sah sie schon eine ganze Weile mit herausfordernden Blicken an. Claudine richtete ihre schönen blauen Augen ruhig und wie fragend auf diese dreisten schwarzen Sterne; da wandte sich der dunkle Lockenkopf und ein verächtlicher Zug flog um den fast zu vollen kleinen Mund.

„Die jungen Damen sollten eine Partie Croquet spielen,“ schlug die Herzogin vor. „Die Herren dort drüben werden sich gern betheiligen. Meine liebe Claudine, geleiten Sie die Prinzessin und Komtesse Moorsleben hinüber und geben Sie den Befehl zum Aufstellen der Reifen.“

Claudine erhob sich.

„Verzeihung, Hoheit, – ich danke!“ sagte Prinzeß Helene, „ich bin etwas ermüdet.“ Sie legte den Kopf an die Lehne des Schaukelstuhles und wiegte sich langsam. Komtesse Moorsleben setzte sich sofort wieder hin, als ihre Gebieterin refüsirte. Auch Claudine nahm ruhig Platz.

Es wurde Eis servirt und Thee und Kaffee in kleinen Sèvrestassen. Die Herren kamen jetzt vom Spielplatz herüber und gesellten sich zu den Herrschaften; Claudine sah plötzlich zwei Kavaliere hinter ihrem Stuhl, Herrn von Palmer und den Rittmeister von Rinkleben. Sie wandte sich zu letzterem und war bald mit ihm im Gespräch; sie kannte seine jüngere Schwester aus der Pension und fragte nach ihrem Ergehen; er gab einen langen Bericht über ihre Heirath und das Glück, das sie darin gefunden gegen alle Erwartung. Enge Verhältnisse, schmales Auskommen, und doch sei sie heiter und zufrieden.

„O ja,“ stimmte die junge Dame bei; „es läßt sich mit ein wenig Zufriedenheit das engste kleine Heim ganz köstlich ausschmücken.“

„Das redendste Beispiel giebt gnädiges Fräulein selbst; Eulenhaus ist ein Idyll, ein Traum, wo Sie walten wie eine Fee des Behagens,“ fiel Palmer ein. „Das Bewußtsein freilich, daß dies nur eine Episode ist, hilft wohl diesen Zauber vollenden; es ist leicht, zufrieden zu sein, schaut man in der Ferne einen Tempel des Glückes.“

Claudine sah ihn fragend an.

Er lächelte vertraulich und langte sich den Krystallbecher mit Eis von dem Tischchen an seiner Seite.

„Etwas dunkel, Herr von Palmer; ich verstehe Sie nicht,“ sagte Claudine sich wendend.

„Wirklich nicht? Ah, meine Gnädige, bei Ihrer glänzenden Fassungsgabe. Es muß Ihnen doch sehr heimisch hier vorkommen,“ fuhr er ablenkend fort, „hoffentlich ist die Zeit nicht mehr fern, wo Sie definitiv den Sitz Ihrer Väter wieder beziehen. Die ewigen Fahrten von und nach dem Eulenhause sind doch lästig, meine ich, und noch dazu in nächster Zeit, wo die Festlichkeiten sich jagen werden in Altenstein und Neuhaus.“

„Ich habe heute Unglück, Herr von Palmer; schon wieder will mir der Sinn Ihrer Rede nicht klar werden.“

„So betrachten Sie doch die Worte prophetisch, Fräulein von Gerold!“ sagte eine helle Stimme, und der Erbprinz, ein bildschöner Junge von zwölf Jahren mit den großen schwärmerischen Augen seiner Mutter, rückte mit seinem Tabourett zu Claudinen hinüber; „Propheten redeten ja immer dunkel,“ setzte er hinzu.

„Bravo, Hoheit!“ rief Herr von Palmer lachend.

„Ich wollte, Herr von Palmer hätte wahr geweissagt,“ fuhr der Erbprinz fort und sah mit der knabenhaft kecken Bewunderung seines Alters auf das schöne Mädchen. „Sie könnten wohl ganz zur Mama kommen, gnädiges Fräulein. Mama sagte erst gestern zu Papa, es würde nett sein, wenn Sie nicht immer wieder fort führen.“

Herr von Palmer lächelte noch immer.

„Das kann ich leider nicht, Hoheit, ich habe daheim meine Pflichten,“ erwiderte Claudine ruhig; „wie gern käme ich sonst nach meinem lieben Altenstein!“

„Es ist eine köstliche Besitzung,“ lenkte der Rittmeister ab, „welch wundervoller Garten!“

„Er war Großpapas Steckenpferd,“ bemerkte Claudine traurig.

„Sie haben hier immer mit Ihrem Bruder und andern Kindern ‚Räuber und Prinzessin‘ gespielt, als Sie noch klein waren?“ fragte der Erbprinz, ohne einen Blick von dem Gesicht der jungen Dame zu wenden.

„Dort unten,“ nickte sie und wies nach links, „an der Mauer, wo die kleine Pfortenthür ist; die wurde dann zu Ausfällen benutzt.“

„Herr Rittmeister,“ rief Prinzeß Helene jetzt laut, „ich möchte nun doch eine Partie Croquet machen! Kommen Sie, Isidore!“

Die Komtesse und der Rittmeister erhoben sich und eilten nach dem Rasenplatz; Prinzeß Helene zögerte noch. „Baron,“ sagte sie dann zu Lothar von Gerold, und ihre Stimme hatte plötzlich etwas Bittendes, „sind Sie nicht auch dabei?“

Er erhob sich und schaute sie an, während er sich zustimmend verneigte. „Haben Durchlaucht schon alle Personen befohlen, die Theil am Spiel nehmen sollen?“ fragte er dann.

„Warum? Sie sehen ja, wir sind Zwei zu Zwei.“

„Nicht mehr als Vier? Ah so! Hoheit!“ wandte er sich an den Erbprinzen; „Prinzeß Helene wünscht Croquet zu spielen – ich weiß, wie Sie das Spiel lieben.“

Der Fuß der kleinen Durchlaucht trat merklich ungeduldig den Rasen.

„Ich muß bedauern,“ erwiderte der Prinz ernsthaft; „Fräulein von Gerold hat soeben versprochen, mir den Platz zu zeigen, wo ich am besten eine Festung bauen kann mit meinem Bruder. Das ist mir interessanter.“

Baron Lothar lächelte. Er blieb einen Moment stehen und sah, wie der junge Prinz Claudine mit einer allerliebsten Wichtigthuerei den Arm bot.

Die Herzogin folgte dem schönen Mädchen am Arme des Knaben mit erstaunter Miene. „Warum spielt Fräulein von Gerold nicht mit?“ fragte sie den Baron.

„Hoheit, Prinzeß Helene wählte soeben selbst ihre Partner,“ erwiderte er.

„Bitte, Baron,“ sagte die Herzogin liebenswürdig, aber bestimmt, „gehen Sie Ihrer Kousine nach und sagen Sie ihr, wie sehr ich bedaure, daß man vergaß, sie aufzufordern, und bringen Sie sie womöglich zurück; der Hofmeister des Erbprinzen, der dort eben kommt, wird so lange Ihre Stelle übernehmen.“

Der Baron verbeugte sich und ging, sich bei der Prinzeß zu entschuldigen und dem Hofmeister, einem liebenswürdigen, aber etwas damenscheuen Herrn, den Hammer in die Hand zu drängen. Dann schlug er langsam und auf Umwegen die Richtung ein, die seine Kousine genommen.

Die Nase der alten Prinzeß war während dieses Vorganges plötzlich spitz und weiß geworden.

„Verzeihung, Hoheit,“ sagte sie und setzte die zierliche Tasse klirrend auf das Tischchen; „Helene hatte sicher nicht die Absicht, zu kränken; sie meint es sicherlich nur gut, sie liebt Eure Hoheit schwärmerisch. Ihr ehrliches Herz geht eben immer mit ihr durch, und –“

„Ich sehe nicht ein, was die Ehrlichkeit damit zu thun hat, liebste Tante,“ erwiderte die Herzogin und ihre Wangen färbten sich purpurn vor Erregung.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 203. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_203.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)