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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Speisesaales, in welchem die Kerzen flammten über dem blitzenden Tisch, stand Beate in dem raschelnden grau- und schwarzgestreiften Taffetkleide, das sie jetzt regelmäßig bei den Mahlzeiten zu tragen pflegte.

„Mein Bruder läßt Ew. Durchlaucht bitten, seine Abwesenheit zu verzeihen; Se. Hoheit haben ihn für sich in Anspruch genommen, soeben kam der Wagen leer zurück,“ sagte sie, sich leicht verneigend, mit ihrer zuweilen so hart klingenden Stimme.

Das Strahlende aus dem Gesichte der Prinzessin war verschwunden, sie saß still neben Beate; die alte Prinzessin hatte sich mit plötzlich aufgetretenem Kopfweh entschuldigt. Komtesse Moorsleben unterdrückte mühsam ein Gähnen, der Kammerherr sprach gedämpft mit Frau von Berg, sonst hörte man nichts, als das leise Klappern der Teller oder Beatens Stimme, die laut und deutlich wie immer erscholl. Einmal redete sie die Prinzessin an; die wandte auch den Kopf herum zu ihr; ohne zu antworten, aber noch ehe der Nachtisch kam, erhob sie sich, winkte der Komtesse, sie solle zurückbleiben, und lief wie ein trotziges Kind in den Gärten hinaus. Als sie nach ein paar Stunden in ihr Zimmer zurückkam, war ihr Haar feucht vom Nachtthau und die Augen verschwollen. Aber diese Augen sahen nicht das, was sich vor ihnen befand – sie sahen ein lauschiges Gemach und an dem Flügel ein schönes Mädchen, um dessen Blondhaar der Lichtschein eine Glorie wob, und einer lauschte den süßen weichen Tönen, die sein Herz bestricken mußten wider Willen. Es war zum Verzweifeln!

„Frau von Berg soll kommen,“ sagte sie zur Kammerjungfer, „ich will kein Licht.“

Nach ein paar Minuten rauschte die Schleppe der schönen Frau über die Schwelle des dunklen Gemaches, und die kleine zitternde Hand der Prinzeß faßte nach der ihren.

„Den Beweis, Alice, geben Sie ihn mir!“ flüsterte die bebende Stimme.

„Hier!“ erwiderte Frau von Berg gelassen und legte den verräterischen Brief in die Rechte der Prinzessin „Ich glaube, es lohnt der Mühe nicht. Werfen Sie den Zettel fort, Durchlaucht, wenn Sie ihn gelesen.“

„Es ist gut, Alice, ich danke. Sie können mich verlassen.“

Die Prinzessin ging in ihr Schlafzimmer und las beim Schein der rosa Ampel, die vom Plafond herabhing. „Auch trotzdem eine Freundin? Arme Liesel!“ flüsterte sie.

Dann machte sie eine Bewegung, als wollte sie das Blättchen zerreißen, und hielt wieder inne. Eine heiße Blutwelle stieg ihr zum Kopf, sie holte schwer Athem. In dem Raume lag noch die Schwüle des Tages und durch das offene Fenster strömte der süße berauschende Duft blühender Linden, berauschend wie die Sehnsucht, die das Herz des Mädchens erfüllte – nach Glück und Seligkeit. Und sie wollte glücklich werden um jeden Preis, auch um den größten! Mit bebenden Fingern faltete sie den Brief so klein wie möglich zusammen und schloß ihn in eine goldene Kapsel, die sie am Halse trug. Ein Bild war darin, ein Männerkopf; sie nahm es einst ihrer Schwester heimlich fort, als diese Braut war – Lothars Braut. Es war ihr tiefstes Geheimniß.

„Nur für den Nothfall!“ flüsterte sie noch einmal und verbarg das Medaillon.

(Fortsetzung folgt.)


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Alle Rechte vorbehalten.
Vom Nordpol bis zum Aequator.
Populäre Vorträge aus dem Nachlaß von Alfred Edmund Brehm.
Wanderungen der Säugethiere.
(Schluß.)

So erhebliche Strecken alle bisher erwähnten Wandersäugethiere durchmessen, mit denen, welche Robben und Wale zurücklegen, lassen sie sich kaum vergleichen. Das Wasser begünstigt alle Bewegungen eines für dasselbe gestalteten Thieres, bietet ihm im Wesentlichen überall die gleichen Lebensbedingungen und dieselben Annehmlichkeiten, gestattet ihm daher, leichter, mühe- und gefahrloser als jedes andere Wanderthier weite Reisen auszuführen. Gleichwohl setzt es einigermaßen in Erstaunen, zu erfahren, daß viele Seesäugethiere, insbesondere die Wale, zu den wanderlustigsten aller Geschöpfe zählen, ja, daß viele, vielleicht die meisten von ihnen, ihr ganzes Leben auf der Wanderung verbringen. Streng genommen hat kein Wal einen bleibenden Aufenthalt während des ganzen Jahres, zieht vielmehr einzeln, paarweise, mit seinen Jungen oder zu mehr oder weniger zahlreichen Scharen, sogenannten Schulen gesellt, ununterbrochen von einer Gegend des Weltmeeres in die andere, manchmal in regelmäßiger Weise gewisse Lieblingsorte aufsuchend und zwar andere im Sommer als im Winter erwählend. Die Meere, in denen eine und dieselbe Walart im Sommer und im Winter sich aufhält, liegen oft weiter aus einander, als man gewöhnlich anzunehmen scheint; denn einige Wale durchwandern jährlich zweimal mehr als ein Viertel es Erdenrunds; man begegnet ihnen während des Sommers an den Eisbarren des nördlichen Eismeeres und im Winter nicht selten jenseit des Gleichers.

Gesellig in hohem Grade und ihren Jungen mit der zärtlichsten, aufopferndsten Liebe zugethan, versammeln sich namentlich die weiblichen Wale zu manchmal erstaunlich zahlreichen Scharen und ziehen, unter Anführung einiger Männchen, auf bestimmten Straßen und zu bestimmten Zeiten durch das weite Meer, die einen auf hoher See, die anderen längs der Küsten ihren Weg verfolgend. Stürme und nicht rechtzeitiges Auftreten gewisser Beutethiere, deren Erscheinen und Verschwinden offenbar die hauptsächlichste Ursache der Wanderungen ist, können die Richtung ihres Zuges und ebenso die Zeit ihres Auftretens einigermaßen beeinflussen, im allgemeinen aber geschieht die Wanderung so regelmäßig, daß man an nordischen und südlichen Küsten der Ankunft der Wale von bestimmten Tagen an entgegensieht und von diesem Zeitpunkte an Wachen ausstellt, um sofort nach jener Ankunft die ersehnten Jagden auf sie beginnen zu können. Durch irgend welche Merkmale, z. B. verstümmelte Flossen, den Küstenbewohnern bekannte und mehrmals vergeblich verfolgte Wale haben sich viele Jahre nach einander, genau zu derselben Zeit und an denselben Orten gezeigt, und Jagden auf diese so hohen Nutzen abwerfenden, daher so unerbittlich befehdeten Thiere werden hier und da mit derselben Regelmäßigkeit abgehalten, wie auf dem Festlande Hasenjagden, während man zu anderen Zeiten des Jahres vergeblich nach ihnen ausziehen würde.

Nach Heiligendreikönigstag sehen die Norweger von allen Bergen nach den Walfischen aus, welche ihnen durch die Heringe angezeigt werden.

Zuerst erscheint der Springwal, drei bis vier, höchstens vierzehn Tage später der Finnwal, obgleich der eine, wie es scheint, aus der Davisstraße, der andere von Grönland aufbricht. An den südlichen Küsten der Färinseln, und zwar vorzugsweise im Qualben-Fjord, zeigen sich alljährlich, um Michaeli, drei bis sechs Döglinge, heut zu Tage wie vor einhundertundneunzig Jahren. In einer Bucht Schottlands fand sich zwanzig Jahre nach einander, immer zu derselben Zeit, ein Finnwal ein, welcher unter dem Namen „Hollie Pyke“ allgemein bekannt war, jedes Jahr verfolgt und endlich erbeutet wurde. An den Küsten Islands wählen einzelne Walfische alljährlich dieselben Buchten zu ihrem zeitweiligen, stets in dieselben Monate und Wochen des Jahres fallenden Aufenthalte, so daß die Küstenbewohner sie als Persönlichkeiten kennen gelernt und ebenfalls mit besonderen Namen belegt haben. Gewisse wohlbekannte Walmütter besuchen ein Jahr um das andere dieselbe Bucht, um hier ihre Jungen zur Welt zu bringen, genießen Schonung, müssen ihr Leben aber durch das ihrer Jungen, deren man sich regelmäßig bemächtigt, theuer genug erkaufen. Aeußerst selten nur geschieht es, daß die wandernden Wale weder Zeit noch Straße einhalten; im allgemeinen ziehen sie mit solcher Regelmäßigkeit durch das weite Weltmeer, als ob sie sich nach dem Stande der Gestirne richteten und auf gebahnten, seitlich begrenzten Straßen bewegten. Kein anderes Säugethier wandert regelmäßiger als sie, deren Reisen sich geradezu mit dem Zuge der Vögel vergleichen lassen. Wie die Wale unternehmen auch die Robben alljährlich mehr oder minder weite, im ganzen ebenfalls sehr regelmäßige Wanderungen.

Von allen bisher genannten Wandersäugethieren zählt kein einziges zu den Winterschläfern, welche, wohlgeschützt, in tiefen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 226. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_226.jpg&oldid=- (Version vom 16.3.2018)