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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

der Pachtung arbeitsfreier zu machen. Indeß die Regierung hatte damals nicht davon hören wollen. Erst, als ich nach dem Verlauf meines ersten Studienjahres in Ilsenburg in die Ferien nach Hause gehen wollte, war er zu einem Abkommen mit der Regierung gelangt, da sich ein geeigneter Mann gefunden, welchem der Minister die Vortheile des Benwitzer Rentmeisteramtes zuzuwenden wünschte. Der Vater war grade mit der Uebergabe von Benwitz an den neuen Pächter beschäftigt, als ich in Schönfelde anlangte. Ich war seit länger als einem Jahre nicht mehr dort gewesen, denn ich hatte in den vorigen Sommerferien meine Mutter in das Bad nach Pyrmont zu begleiten gehabt und war von dort geradeswegs in meine Lehre zurückgegangen. Auch diesmal war mein Verweilen bei meinen Eltern nur kurz bemessen, und so wollte ich, die Zeit zu nutzen, schon am zweiten Tage nach Dambow hinüber reiten.

Meine Mutter sagte, ich würde dort große Veränderungen gewahren. Franull entwickle sich körperlich und auch geistig mit merkwürdiger Schnelligkeit. Der Graf habe neben Madame Fleuron, der Schweizerin, die schon langer bei Franull war, noch einen Hauslehrer für sie angenommen, einen ältlichen sehr braven Kandidaten der Theologie, der schon in verschiedenen adligen Häusern Erzieher gewesen sei, weil ein Halsleiden ihm das Predigen verbiete, und der Graf lebe nur in und mit Franull. Er habe ihr im Frühjahr ein Pferd zugeritten, sie reiten gelehrt, ihr von dem Schneider, welcher in Berlin für die Damen des Hofes arbeite, den Reitanzug kommen lassen, und er sei täglich zu Pferde mit ihr zu sehen. Wenn man nicht so genau Tag und Stunde ihrer Geburt wisse, müsse man sie um mehrere Jahre älter halten als sie sei. Sie habe die große Statur des Grafen Dubimin und des Grafen ganze Art geerbt. Er nenne sie offen seine Tochter; sie nenne ihn Vater, und darüber könne man so allenfalls hinwegsehen, da dies zwischen Pflegeeltern und Pflegekindern nichts Ungewöhnliches sei. Ob sie und mein Vater für ihr Theil richtig gehandelt, als sie des Grafen Zutrauen nicht abgewiesen, darüber habe sie sich schon manchmal schwere Gedanken gemacht – aber der Graf sei ein so edler, vortrefflicher Mann und das Kind habe sie gejammert. Was man am Hofe und in der Welt dem Könige Friedrich Wilhelm dem Zweiten nachzusehen für erlaubt halte, damit müsse sich der Einzelne auch abzufinden suchen, wo es der Befriedigung eines treu bewährten Freundes und einer Gerechtigkeit gelte, die zu üben im Grunde seine Pflicht sei. Der Graf allein nenne seine Tochter noch Franull. Die Uebrigen seien angewiesen, sie als Fräulein Franziska anzureden. Die alte Haushälterin und die andere alte Dienerschaft habe das nur schwer erlernt, und in der Umgegend habe man Franull so lange als das gnädige Fräulein von Dambow verspottet, bis es zur feststehenden Gewohnheit geworden sei, sie das Fräulein von Dambow zu nennen. Was der Graf schließlich mit ihr im Sinne habe, könne man ja nicht wissen. Er sei, nachdem er sich vor Jahren zur Beerdigung des Königs zum ersten Male wieder an den Hof begeben, jetzt öfters zu Hofe gegangen und von dem König Friedrich Wilhelm dem Zweiten in Berlin und im Marmorpalais sehr gnädig aufgenommen worden; es gehe sogar das Gerede, daß er den nächsten Winter in Berlin verleben und Franull und seinen ganzen übrigen Hausstand mit sich nehmen werde.

Mit diesen ‚Nachrichten‘ beschäftigt, hatte ich mich aufs Pferd geworfen und war raschen Trabes durch die köstlichste Herbstlust gen Dambow geritten, als mir kurz vor dem Heck des Dorfes der Graf und Franull von der Waldseite entgegenkamen. Als wir nahe genug bei einander waren, rief der Graf mir mit den Worten. ‚Nun! läßt Du Dich wieder einmal sehen?‘ seinen Willkomm entgegen, und während Franull ihr Pferd mit einer Kraft und Sicherheit zum Stehen brachte, die mir an dem so jungen Mädchen auffielen, fügte sie dem Gruß ihres Vaters die Aufforderung hinzu: ‚Komm heran, daß man Dir die Hand doch geben kann!‘

Ich gehorchte, doch fühlte ich mich verwirrt; denn während ihre Schönheit mich entzückte, verdroß mich ihr gebieterischer Ton, der Ton des Herrenkindes, das gewohnt war, zu befehlen und Gehorsam zu finden. Weil ich aber doch etwas entgegnen mußte, sagte ich: ,Sie sind eine vortreffliche Reiterin geworden!‘

,Ich habe einen guten Lehrer gehabt an Papa!‘ gab sie mir zurück, den Blick nach dem Grafen hingewendet, der mich nach dem Ergehen der Eltern, nach der Dauer meines Aufenthaltes fragte. So erreichten wir das Schloß. Die Reitknechte kamen heran; ich war schnell vom Pferde, Franull meine Dienste anzubieten, und als ich dann den kleinen Fuß in meiner Hand hielt und sie die ihre auf meine Schulter legte, sagte sie mit der fröhlichen Unbefangenheit ihrer frühesten Kindheit. ,Nun Du da bist, Josias, bleibst Du auch!‘

Ich versetzte, daß ich das nicht könne. ‚Ach!‘ lachte sie, ‚nicht können! Ich werde dem Papa sagen, daß er Dich nicht fortläßt, und damit ist es gut!‘

Sie eilte, ihr Reitkleid zusammenraffend, die Rampe hinauf und der Graf nahm mich mit sich in das Zimmer des Erdgeschosses, in dem sich sein Arbeitspult und die Registraturen befanden und in dem er sich früher ganz ausschließlich aufgehalten hatte, wenn wir nicht seine Gäste gewesen waren und man oben die Zimmer geöffnet hatte.

Er fragte mich nach meiner Beschäftigung in Ilsenburg, erkundigte sich nach meinen weiteren Plänen, und wir waren noch nicht lange bei einander, als der Diener meldete, daß das Essen bereit sei. Der Graf hieß mich vorangehen, weil er die Reitstiefel ablegen wolle. Oben im Wohnzimmer stand Franull in gewählter modischer Tracht an dem Käfig eines Papageis, mit dem sie sich zu schaffen machte. Madame Fleuron saß an demselben Fenster, eine Näharbeit in den Händen.

Ich stellte mich ihr vor; sie meinte, ich sei doch noch gewachsen, was ja mit zwanzig Jahren nicht auffallend sei, aber Franull fiel ihr ins Wort. ‚Mon amie!‘ rief sie ihr zu, ‚handeln Sie das nachher beim Diner mit ihm ab! Jetzt komm her, Josias, und mache Bekanntschaft mit Coco! Er bekommt heute eine neue Lektion, er soll Dich rufen lernen: Komm, Josias! – Sprich‘s nach, Coco! Komm, Josias! – Sprich! Sei ein guter Coco! Komm! Sage: Josias!‘

Sie hatte sich mir dabei an den Arm gehängt, aber Madame Fleuron trat dazwischen. ‚Chérie!‘ mahnte sie, ,Sie sind kein Kind mehr: es schickt sich nicht für Sie, die Gäste des Herrn Grafen Du zu nennen!‘

,Gäste!‘ sprach Franull ihr nach, ‚es kommen ja keine in das Haus, und Josias ist nicht des Vaters Gast, er ist sein Pathe! – Nicht wahr, Papa, der Josias ist ein Pathe, also mein Freund und wie ein Stück Bruder von mir!‘

Der Graf klopfte ihre heißen rothen Wangen. ‚Man kann sehr gut Freund sein ohne einander zu duzen!‘ bedeutete er sie, ‚und Josias ist nicht mehr ein Wildfang wie Du! Madame Fleuron hat Recht! Nun aber zu Tisch!‘

Wir gingen in den Speisesaal, wo der Kandidat uns erwartete. Der Graf war in seiner würdigen Gehaltenheit gütig für mich, wie ich es gewohnt war, allein Franull hatte ihr fröhliches Geplauder eingestellt und ich sehnte mich fortzukommen. Ich mußte mir sagen, daß nur das Schickliche geschehen war; ich hatte Franull auch bei den ersten Worten nicht mehr Du genannt, denn sie sah nicht mehr wie ein Kind aus. Aber die ertheilte Parole lag mir auf der Seele, und ich war froh, als die Tafel aufgehoben war, als ich mit dem Grafen und dem Kandidaten wieder allein unten in dem Arbeitszimmer und dann die Zeit gekommen war, in welcher ich mit Anstand meinen Rückzug nehmen konnte. Als man mein Pferd vorführte, fragte mich der Graf, ob ich mich nicht Madame Fleuron empfehlen und Franziska Lebewohl sagen wolle, da ich so nach meiner Aussage zunächst nicht wiederkehren könne. Ich nahm die Erlaubniß mit gebührendem Danke an, und schon auf der Treppe kam Franziska mir entgegen.

‚Du willst also doch fort!‘ sprach sie – gegen die von Madame Fleuron erhaltene Weisung – ,Du willst fort!‘ und als ich das bejahte, schlang sie ihre schönen bis zum Ellbogen entblößten Arme um meinen Hals und rief, französisch sprechend: ‚So erlauben Sie, Monsieur Josias, daß Mademoiselle Franziska Sie umarmt zum Abschied! Und nun –‘

‚Du bist ein Engel, Franull!‘ Das war alles, was ich, hingerissen von dem fröhlichen Uebermuth des entzückenden Mädchens, hervorzubringen vermochte, während ich es an mich zog.

Sie aber riß sich von mir los. ‚Ach was, Engel!‘ rief sie; ‚und nun geh‘ und nimm Abschied von ma bonne amie, und umarme sie auch, wenn Du Lust hast!‘

Ihr Lachen schallte noch an mein Ohr, als sie bereits hinter der nächsten Thür verschwunden war. Eine Viertelstunde später war ich auf dem Weg nach Schönfelde, voll Freude über

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