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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

„Die Herzogin soll sie ja förmlich mit Schmuck und Kostbarkeiten überhäufen, sie sind den ganzen Tag beisammen, lesend, plaudernd und spazierengehend, wahrscheinlich dichten sie auch mit einander. Prinzeß Helene hat vorgestern zu Isidore von Moorsleben gesagt, sie nennten sich ‚Du‛!“ rief die Komtesse Pausewitz.

„Nicht möglich! Unglaublich!“

„Die Gerolds machen eigenthümliches Fortune!“

„Was sagt Seine Hoheit dazu?“ fragte plötzlich die kecke Stimme eines jungen Diplomaten.

Die alte Excellenz mit weißem Scheitel und würdevollem Gesicht am oberen Ende der Tafel räusperte sich vernehmlich und schüttelte mißbilligend das Haupt.

Man sah sich lächelnd und vielsagend in die Augen, trank schweigend seinen Wein aus, reichte längst zurückgewiesene Kompottschüsseln noch einmal herum; die weibliche Excellenz begann nach einer Pause vom Wetter zu sprechen. Ein paar Gräfinnen-Mütter erfaßten mit einem Blick auf die Töchter begierig das neue Thema, „ob man es wagen dürfe, auf die hohe Warte zu steigen, einen der beliebtesten Aussichtspunkte der Umgegend?“ – Und als die Tafel aufgehoben war, traten die älteren Damen zusammen und flüsterten und zuckten die Achseln und hielten die Taschentücher vor den Mund und lächelten dahinter.

Bis jetzt war es noch nicht gelungen, mit eigenen Augen sich zu überzeugen, denn bis zu diesem Augenblick hatten sämmtliche um das Befinden der hohen Frau besorgten Herren und Damen sich damit begnügen müssen, ihre Namen in das Buch einzutragen, das in einem Saale zu ebener Erde des Altensteiner Schlosses auslag. Aber man hörte doch dieses und jenes, man vermuthete, man kombinirte. Man war so neugierig aus den nächsten Donnerstag; denn daß die fürstlichen Herrschaften auf dem Feste des Baron Gerold erscheinen würden, ließ sich mit Bestimmtheit annehmen, man erwartete sogar ganz sicher, an diesem Tage eine große Neuigkeit zu hören, nichts Geringeres als die Bekanntmachung einer längst erwarteten Verlobung.

Ja, es konnte interessant werden! Und während aller dieser Vermuthungen, während aller dieser Erwartungen lebte man auf Neuhaus und Altenstein scheinbar in aller Ruhe weiter.




Prinzeß Helene saß im Neuhäuser Garten und neben ihr stand das elegante Kinderwägelchen der kleinen Leonie. Ihre Durchlaucht spielten noch immer die zärtliche Tante in der stürmischen Art, wie sie alles auffaßte, was ihr durch das Köpfchen schoß. Sie schleppte die Kleine überall mit herum, sie bemühte sich mit unermüdlicher Ausdauer, ihr geliebtes Nichtchen das Wort „Papa“ zu lehren; doch die scheuen schwarzen Kinderaugen sahen sie zwar groß an, aber das trotzige Mündchen blieb geschlossen. Sie wußte nicht, daß selbst das jüngste Kind schon in den Zügen zu lesen versteht, und die Ungeduld und Leidenschaft, die aus den Blicken der Prinzessin sprühten, machten das arme kleine Wesen furchtsam. Es fing gewöhnlich nach ganz kurzer Zeit an zu schreien.

Und dann ward es mit Inbrunst getragen, beschwichtigt, geküßt und mit unmöglichen Koseworten überschüttet, so daß Beate die Hände rang in ihrem Zimmer und mit besorgten Mienen lauschte, ob nicht jemand dem unglücklichen Würmchen zu Hilfe kommen wollte. Aber wer denn? Lothar saß wie vergraben in seiner Stube, wohin er sich nach beendeten Mahlzeiten zurückzuziehen pflegte; Prinzeß Thekla lag meistens auf ihrer Chaiselongue, gähnte oder schrieb Briefe, und Frau von Berg – nun, die bestärkte Prinzeß Helene noch in ihren Extravaganzen; diese große, überstolze Person beugte sich bis in den Staub vor der kindischen Herrin.

Die alte Kinderfrau, die erschreckt hinzulief, ward höchstens dazu benutzt, den süßen Liebling etwas zu beruhigen und, wenn das kaum geschehen war, ihn seiner fürstlichen Tante wiederzugeben, bis er aufs neue zu schreien anfing. Beate, die bisher nicht wußte, was Nerven zu bedeuten haben, spürte zum ersten Male in diesen Tagen ein merkwürdiges Kribbeln in den Fingerspitzen; es flog ihr mitunter heiß um die Ohren, wie sie selbst sagte; sie ertappte sich sogar einmal auf einer unerklärlichen Lust zum Weinen. Das war, als Lothar vor dem Fest apathisch erklärte, ihm sei es ganz gleich, wie sie es arrangiren wolle. Da stand sie nun, die sich nie im Leben um derartiges bekümmert hatte, und sollte für Konzertprogramm, Tanzordnung und Kotillon sorgen. Sie hatte nicht übel Luft, dem, der da in seinem verdunkelten kühlen Zimmer so schweigend und brütend auf- und abschritt, die Wahrheit zu sagen:

„Du bist hier der Herr vom Hause, und wenn Du Dir Gäste einladest, so habe auch die nötige Geduld, um die Pflichten des Wirthes zu ertragen.“

Aber ehe sie noch die Lippen geöffnet, wandte er sich um, und sie blickte in ein blasses Gesicht von so sorgenvollem Ausdruck, daß sie erschrak; sie hatte in letzter Zeit gar nicht Muße gefunden, ihn anzuschauen.

„Um Gottes wissen, Lothar,“ sagte sie und trat zu ihm, „Du bist krank?“

„Nein! Nein!“

„Dann hast Du Sorgen!“

„Sorgen wie ein Mann, der sein ganzes Hab und Gut, seine Hoffnung, seine Zukunft auf ein gebrechliches Schiff lud und es vom sicheren Ufer aus Sturm und Wellen preisgegeben sieht; der dasteht, ohne retten zu können, und weiß, daß der Untergang gleichbedeutend ist mit Elend und Verzweiflung –“ sagte er leise.

„Aber, Lothar!“ rief Beate entsetzt. Sie war es nicht gewohnt, ihn in solchen Bildern sprechen zu hören und mit einer so bitteren Betonung. Und fast flehend bat sie. „Schenke mir Dein Vertrauen, Lothar, erkläre Dich deutlicher – Du ängstigst mich!“

„O nichts – nichts, Beate; kehre Dich nicht daran, es kam just so unwillkürlich über die Lippen. Es wird überwunden werden – dann – wenn es wieder still und einsam ist hier auf Neuhaus. Habe Nachsicht mit mir.“

Aber die Schwester wich nicht. „Lothar,“ begann sie resolut, obgleich ihr das Herz wehthat, „ich glaube, Ihr Männer seid in manchen Sachen schwer von Begriffen; ich denke, Du darfst auch diesmal nur die Hand ausstrecken.“

„Nein, mein kluges Schwesterchen, diesmal nicht,“ erwiderte er. „Ueber meine geöffnete Hand hinweg streckt sich siegesgewiß eine andere; und als ich das sah, da habe ich die meine still zurückgezogen und zur Faust geschlossen. So, und nun frage nicht mehr und laß mich allein, Beate!“

„Du bist noch immer der thörichte Junge wie früher,“ murmelte sie und wandte sich. „Bei Gott, sie läuft Dir nach, wie Deine Diana da –“ Und sie wies auf den Hühnerhund, der mit klugen Augen jeder Bewegung seines Herrn folgte.

Sie stand dann plötzlich in der Halle und sah mit finsterer Miene, wie Prinzessin Helene im lichten Morgenkleid, gefolgt von der Komtesse, die breite Treppe herunter kam, um im Garten zu verschwinden. Die schwarzen Augen der Prinzeß hatten durchbohrend auf die feste Eichenthür gesehen, die zu Lothars Gemächern führt, und in Beatens bekümmertem Herzen hatte sich der Zorn geregt. Sicher, das war verschroben von ihm; deutlicher konnte ihm nicht gezeigt werden, daß er geliebt wurde, nach ihrer Meinung schon viel zu deutlich! Ihr waren diese dreisten leidenschaftlichen Augen, dies unstete flatterhaft nervöse Wesen der Prinzessin unsäglich zuwider. Gott mochte wissen, was ihr jetzt wieder durch den Kopf schoß; der Kuh- und Pferdestall war so wenig vor ihr sicher wie die Kinderstube oder das Erbbegräbniß dort am Ende des Parkes, zu dem sie neulich gebieterisch den Schlüssel verlangt hatte, um die Särge der heimgegangenen Eltern zu bekränzen. Eine Aufmerksamkeit für den Sohn, die nur leider von diesem völlig übersehen worden war.

Beate schüttelte den Kopf und stieg die Treppe hinauf nach der großen Mansarde, wo die Wäschespinde und Truhen standen. Dort setzte sie sich hin und gab der Lust zum Weinen nach. War es denn ein Glück, das er ersehnte in Bangen und Verzweiflung? Dieses hochgeborene leidenschaftliche Geschöpf! – War denn die erste Ehe ein Glück gewesen? Warum flogen Lothars Wünsche so hoch? – Sie dachte seiner Zukunft an ihrer Seite; an das verlassene schlichte Haus seiner Väter, in welchem sie einsam und allein verbleiben würde, es hütend und beschützend wie jetzt. Er würde hinausgehen mit ihr in das bewegte Leben der Residenz, auf Reisen sein, wie mit der ersten Gattin; und mitunter würde er kommen, auf ein paar Tage – allein! Was sollte die erlauchte Frau auch hier? Ihre Anwesenheit jetzt bedeutete so nur eine Ermutigung; ihr spielendes Interesse an dem Haushalt des Stammsitzes war nur ein Beweis, daß auch sie sich gern herablassen werde, wie einst ihre Schwester sich herabgelassen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 242. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_242.jpg&oldid=- (Version vom 24.7.2016)