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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Und wenn er dann kam, würden sich Brüder und Schwester in die Augen sehen und finden, daß sie gealtert; der Eine in der schwülen sengenden Hofluft, die Andere in der Einsamkeit und in der Sehnsucht nach eigenem Glück.

Sie erschrak selbst über den schluchzenden Ton, der sich ihr wider Willen entrungen; sie biß die Zähne zusammen und schloß mit umflorten Augen die Truhe auf, die ihr zunächst stand, und raffte eilig Teppiche und bunte gewirkte Decken heraus. Es waren köstliche Sachen; sie wollte damit die Halle dekoriren lassen. Joachim hatte sie auf seinen Reisen gesammelt, diese Smyrnagewebe und türkischen Stoffe, und bei der Auktion hatte sie es erstanden mit ihren eigenen Mitteln. Und während sie die stimmungsvolle Farbenpracht der wundervollen Gewebe betrachtete, rollten ihr die Thränen unaufhaltsam über das stille Gesicht.

Was war ihr nur eigentlich? Sie kannte sich gar nicht so! – Mit einer energischen Bewegung wischte sie die Tropfen ab und zwang sich, an Kotillonbouquetts und Schleifen, an unzählige Stöße Porzellanteller und Tassen, an eine Friseurin, an Eis, Mandelmilch und Gott weiß an was zu denken, und zuletzt an diese unglückliche Idee der kleinen Prinzeß, ein Kostümfest mit Tanz aus dem einfachen Kaffee machen zu wollen.

Sie eilte die Treppen wieder hinunter, gab Befehle, schickte Boten fort, sprach mit Gärtner und Mamsell, und mitten in diesen Trubel kam die Absage von Claudine und Joachim. Auf letzteren hatte man ja kaum gerechnet; aber Claudine? Beate suchte eilenden Schrittes ihren Bruder auf. Sie fand ihn im Garten; er stand neben Prinzeß Helene und der Komtesse auf dem improvisirten Ballparkett, das unter den Linden hergerichtet war. Die Zimmerleute waren eben fertig geworden und ein paar Gärtnerburschen bekleideten die grob behauenen Pfähle der Einfriedigung mit Tannengrün und zogen Festons von Pfeiler zu Pfeiler.

„Lothar,“ begann sie, „Claudine sagt ab; willst Du nicht hinüber und sie bitten, dennoch zu kommen?“

Er sah in diesem Augenblick noch bleicher aus. „Nein!“ erwiderte er kurz.

In Prinzeß Helenens Augen blitzte es auf, sie hatte dies Blaßwerden bemerkt.

„Dann werde ich hinfahren, wenn Du es erlaubst,“ sprach Beate.

„So wirst Du Deine Schritte nach Altenstein lenken müssen. Im Eulenhause triffst Du sie schwerlich.“

„Heute Abend, wenn sie zurückgekehrt ist,“ erwiderte Beate. „Ich komme nicht ohne ihre Zusage wieder.“

„Sie scheinen Unglück zu haben, Baron,“ sagte die Prinzessin mit unheimlich flackernden Augen, „wie Mama mir mittheilte, wird auch der Herzog höchst wahrscheinlich dem Feste seine Gegenwart versagen. Ihre Hoheit, die soeben wegen einer kleinen Toilettenfrage schrieb, theilte es Mama tiefbetrübt mit.“

Auf der Stirn des Barons schwoll eine Ader; sonst veränderte sich kein Zug seines Gesichtes; er sah gespannt den Gärtnern zu, welche roth-weiße Fähnchen auf den Säulen befestigten. „Es sieht gut aus,“ bemerkte er gelassen, „meinen Durchlaucht nicht auch?“

Die kleine Durchlaucht nickte.

„Warum nicht auch die Farben Ihres Hauses?“ fragte sie bezaubernd liebenswürdig. „Abwechselnd das Gelb und Blau mit dem Purpur und Weiß?“

„Ich liebe diese Zusammenstellung nicht,“ erwiderte er. „Es sind gesuchte Kontraste.“

Beate, die sich eben zurückziehen wollte, wandte sich erschreckt ab. Aber die Prinzessin lächelte, sie mochte einen andern Sinn heraus gehört haben, als Beate.


* *
*


Claudine stand am Nachmittag dieses Tages, Adieu sagend, am Schreibtisch ihres Bruders.

„Meine Absage ist doch besorgt?“ fragte er.

Sie nickte. „Deine und meine. Leb’ wohl, Joachim!“

„Deine?“ fragte er bestürzt.

„Ja! Ich sehne mich nicht nach derartigen Festen; sei nicht böse, Joachim!“

„Böse? Ich verstehe Dich nur nicht, Du wirst Beate sehr betrüben.“

Ueber das schöne Gesicht der Schwester flog ein leiser schelmischer Zug.

„O, ich denke, ich werde sie wieder versöhnen. Joachim, laß mich doch hier; Du hast keine Ahnung, wie ich mich auf diesen Tag freue, auf den Nachmittag unter der Steineiche, auf den Abend mit Dir.“

Er reichte ihr die Hand. „Wie Du willst, Claudine. Du weißt, alles ist mir recht, was Du thust.“

Und Claudine ging hinunter, küßte das Kind zum Abschied, das unter Idas Leitung Puppenkleider nähte, und schaute in Fräulein Lindenmeyers Zimmer. Die schlief im Lehnstuhl; leise machte Claudine die Thür zu und schlüpfte durch den Hausflur in den Garten hinaus, vor dessen Pforte der fürstliche Wagen hielt. Nach kaum einer halben Stunde saß sie unter den Eichen des Altensteiner Gartens und las der Herzogin vor aus Joachims Werk „Frühlingstage in Spanien“. Die Geschichte seiner Liebe war in die wundervollen landschaftlichen Schilderungen anmuthig mit eingewebt.

„Claudine,“ unterbrach die Herzogin die Lesende, „sie muß sehr reizend gewesen sein, diese kleine Schwägerin! Beschreibe sie mir!“

Das Mädchen heftete ihre blauen Augen auf die fürstliche Frau. „Sie glich Dir etwas, Elisabeth,“ sagte sie.

„O Du Schmeichlerin!“ drohte die Herzogin; „aber da bringst Du mich auf eine Idee – verzeih, daß mich die interessante Lektüre zu einer Toilettenfrage anregt. Wie wär’s, Claudine – ich nehme Fächer und Mantille und komme einmal ‚spanisch‛ nach Neuhaus? Es ist ein guter Gedanke, meine ich. Und Du, Dina?“

„Ich – ich habe abgesagt, Elisabeth.“

Ueber das Gesicht der Herzogin flog ein betrübter Zug. „Wie schade!“ sagte sie langsam und nachdenklich; „auch der Herzog hat refüsirt.“

Claudinens blasses Antlitz flammte plötzlich im Roth des Erschreckens. Die Augen der fürstlichen Freundin hefteten sich fragend in die ihren.

„Ist Dir heiß?“

„Aber weshalb will Seine Hoheit nicht teilnehmen?“ erkundigte sich Claudine ausweichend.

„Er hat mir keinen Grund angegeben,“ war die Antwort.

„Elisabeth,“ sagte das schöne Mädchen hastig, „wenn Du es befiehlst, nehme ich meine Absage zurück; ich kann das leicht, Beaten gegenüber.“

„Ich befehle es nicht, aber ich würde mich freuen,“ sagte die Herzogin mit dem alten Lächeln.

„So beurlaube mich eine Stunde früher, ich möchte Beate selbst meinen geänderten Entschluß mittheilen.“

„Natürlich! So schwer es mir auch wird, Dich zu missen. Aber berichte mir, warum wolltest Du nicht nach Neuhaus? Ich kann mir nicht denken, Claudine, daß Du die Lappalie mit Prinzeß Helene so ernsthaft genommen, um es Deine Verwandten entgelten zu lassen.“

Die Herzogin hatte während dieser Worte die Hand der Freundin erfaßt und suchte mit ihrem Blick nach den blauen Augen.

Aber die langen blonden Wimpern hoben sich nicht und unter ihnen flammte wieder die heiße Röthe auf von vorhin.

„Nein, nein!“ stieß sie hervor, „das ist es nicht. Ich hatte Joachim einen stillen Abend versprochen; ich glaubte, Du würdest mich nicht vermissen in dem Glanz und Lärm des Festes.“

„Ich fühle mich nie einsamer als unter vielen Menschen,“ erwiderte die Herzogin leise und hielt Claudinens Hand fest, die sie ihr entziehen wollte.

„Ich komme ja mit, Elisabeth.“

„Gern? Ich lasse Dich nicht früher los.“

„Ja,“ klang es zögernd und ihre Wange neigte sich gegen die der Herzogin. „Ja!“ wiederholte sie noch einmal, „weil ich Dich unsagbar lieb habe.“

Die Herzogin küßte sie. „Ich Dich auch, Dina! Seit meiner Brautzeit habe ich nicht wieder das frohe, beglückende Gefühl gehabt, wie jetzt neben Dir. Und was so gut ist: in der Freundschaft kann man nicht so leicht Enttäuschungen erleben wie in der Liebe, sie gewährt ein ruhigeres Glück!“

Claudine sah forschend in die Züge der Herzogin.

„Ja, ja, die Liebe, die Ehe bringen mancherlei mit sich, Schätzchen,“ lächelte diese; „kleine Kränkungen, kleine Enttäuschungen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 243. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_243.jpg&oldid=- (Version vom 24.7.2016)