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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

mit mir geboren, glaub’ ich! mit mir geboren wie die Liebe für meinen Vater!‛

Sie ließ die Arme sinken, machte sich von mir los – ich wollte sie halten.

‚Laß mich! laß mich!‛ stieß sie hervor. ,Mein Vater! ach! mein Vater!‛ und heiße Thränen entströmten ihren Augen.

Wie ein Blitzstrahl war das Wort niedergefahren zwischen ihr und mir.

‚Er wird nicht unerbittlich sein!‛ sagte ich trotz der Gewißheit, daß er’s sein würde.

Es war uns nicht zu helfen.

‚Er wird unerbittlich sein, er muß es sein!‛ sagte Franull. ‚Ich habe ihm, er hat dem Vetter sein Wort gegeben! Ich, grad’ ich darf meinem Vater mein Wort nicht brechen, und er bricht auch das seine nicht. – Andere Töchter mögen’s können! Aber es ist nicht zwischen mir und meinem Vater wie zwischen andern! Oder könntest Du mich lieben, könnte ich vor ihm, vor Dir die Stirn erheben, wenn ich ehrlos handelte gegen ihn, der mir mehr gegeben als das Leben, der mir seine ganze Liebe gegeben, seine Ehre, seinen Namen? Der sein Leben neu auferbaut hat in seiner Liebe für meine Mutter und für mich?‛

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Eine Münchener Japanerin.
Nach dem Oelgemälde von F. Dvorak.


‚Und mit der Liebe, die Du, Du Abgott meiner Seele, mir eingestehst, mit der Leidenschaft, die uns durchzittert in dem seligen Augenblick, den Du geruht an meiner Brust, mit dieser Liebe willst Du Dich einem Anderen anverloben, willst Du das Weib werden eines Anderen?‛

‚Mach’ mich nicht wahnsinnig!‛ flehte sie, die Hände zusammenschlagend und wie im Gebet zu mir erhoben.

‚Besinne Dich!‛ mahnte ich, auf ihre Liebe bauend, und hoffend – ich wußte nicht worauf; denn daß der Graf sie mir nicht geben würde, darüber konnt’ ich mich nicht täuschen, hätt’ ich’s auch gewollt.

‚Ja!‛ sagte sie, ‚ich besinne mich! ich komme zur Besinnung!‛ Und wieder sank sie mir ans Herz, wieder hielt ich sie umschlungen. Dann richtete sie sich auf, und mit einer Stimme, deren Wehklage in mir nachtönen wird in meiner letzten Stunde, sprach sie. ‚Nun geh – und laß mich gehen!‛

‚Aber was soll denn werden aus Dir, aus mir?‛

‚Was aus mir werden soll? Was zu sein ich eben jetzt vergessen: meines Vaters Eigenthum und Hans von Klothens Frau, zu der er mich bestimmt. Kein Athemzug soll je daran erinnern, daß ich Dich geliebt, daß ich es Dir gestanden, daß ich diesen Augenblick der Freiheit und des Glücks gekannt! Ich muß es vergessen, Dich vergessen – vergiß auch Du!‛

Die gewaltsame Fassung, zu der sie sich zwang mit ihrer jungen Kraft, brachte mich außer mir, ich grollte ihr darüber. Unfähig, den Gedanken zu ertragen, daß sie mich liebend, geliebt von mir, einem Andern angehören solle, rief ich: ‚Franull! bedenke, was Du thust, entehre Dich nicht, unsere Liebe nicht! Thust Du’s, so ist’s mein letzter Tag!‛

Ihre Arme waren schlaff herabgesunken, sie trat vor mir zurück, starren Angesichtes. Sie sah sich selbst nicht ähnlich. Ich rief sie an, sie gab mir keine Antwort. ‚Franull, sprich, Franull! Sage mir wenigstens, daß Du mich hörst!‛

‚Ich darf Dich nicht hören, ich höre Dich auch nicht. Die Franull ist jetzt gestorben. Ich muß sie vergessen, Dich vergessen, diese Stunde! Alles! Alles! Kein Wort mehr zwischen Dir und mir! Und kannst Du nicht leben – nun! Mach’ mich nicht wahnsinnig!‛ rief sie noch einmal, sich selber unterbrechend. ‚Soll ich denn leben mit dem Bewußtsein, Dich in den Tod gejagt zu haben?‛

,Lebe! Lebe! Du Engel meines Lebens!‛ rief ich. ‚Lebe, Franull! Ich will nicht kleiner sein als Du! Ich will leben, weil Du leben mußt! Es soll kein Schatten fallen auf Deine Zukunft! Aber vergessen kann ich nicht! Ich will’s im Herzen tragen für uns beide, will’s bewahren in mir, unser ach! so kurzes leidensvolles Glück! Und nun ein letztes Lebewohl! – Leb’ wohl!“ Und noch einmal hielt ich sie – dann war’s zu Ende!“




Josias fuhr sich mit der Hand über die Stirn und trocknete sich dabei die Augen, die ihm feucht geworden waren.

„Josias! guter Josias!“ rief ich, „ach! nun verstehe ich’s! Nun weiß ich, was Du gemeint, als Du das Wort gesprochen, das mich damals so schwer gekränkt hat, als Du den Werther einen Feigling, einen Deserteur genannt, der sein Leiden höher angeschlagen als das Leiden und als das Glück der Geliebten!“

Er wiegte schweigend das Haupt. Meine Mutter fragte, was meine Worte bedeuteten. Ich hatte es ihr zu erklären, und wie ich es gethan – ich konnte mir nicht helfen, und warum sollt ich’s nicht? – da kniete ich vor ihm nieder und küßte ihm die Hand.

„Recht so!“ sagte die Mutter. „Verdient es einer, daß man ihn mit Verehrung liebt, so ist es unser Freund! – Jetzt erst sind Sie ganz der Unsere, wir die Ihren! – Und nun nur noch das Eine: Wie ward’s danach mit Ihnen? Haben Sie die Gräfin in der That nicht mehr wiedergesehen?“

„In den ersten Jahren sah ich sie nicht! – Ich hatte es zu vermeiden für uns beide. Später habe ich sie oft gesehen, zuerst einmal, als sie an mir vorüberfuhr Unter den Linden, an ihres Vaters Seite, ihr Gatte und zwei schöne Knaben mit einer Wärterin ihr gegenüber – und später bin ich ihr öfters begegnet, noch ganz neuerdings habe ich sie im Theater gesehen mit ihrem Mann, mit ihren verheiratheten Kindern. Das Leben hat eine heilende Kraft und die Narben hören auf zu schmerzen. Daß ich aber über jenen ersten Tag hinweggekommen bin, das ist mir heute noch ein Räthsel.

Als sie mich verlassen hatte, ging sie nach der andern Seite, ohne sich umzublicken, dem Schlosse zu und entschwand mir in der Thür von ihres Vaters Arbeitsstube. Ich sah ihr nach, wußte, daß ich allein sei, und sah sie doch noch immer so deutlich vor mir stehen, daß ich mich halten mußte, nicht die Arme auszustrecken ins Blaue. Mir bangte für meinen Verstand. Ich schaute um mich her! Die Bäume, der Garten, es war alles so


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 257. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_257.jpg&oldid=- (Version vom 31.12.2020)