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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Aus dem Leben des Kaisers Wilhelm I.[1]
(Schluß.)

Die durch Deutschlands weise Friedenspolitik herbeigeführte Isolierung Frankreichs zwang dasselbe, die Erfüllung seiner Revanchehoffnungen immer wieder zu verschieben. Als der Zar Alexander III., der nach seines Vaters schmählicher Ermordung durch Nihilistenhände am 13. Mai 1881 den Thron Rußlands bestiegen hatte, das Bedürfniß empfand, sich ebenfalls dem Zweibunde wieder zu nähern, wurde die Vereinsamung der französischen Republik eine vollständige. Die Zusammenkunft von Skierniewice vom 15. bis 17. September 1884 stellte das Dreikaiserverhältniß bis zu einem gewissen Grade wieder her, wenn auch im übrigen die engere Allianz zwischen Oesterreich-Ungarn und Deutschland in Kraft blieb. Das etwas künstliche Gebäude der Verständigung von Skierniewice hielt jedoch nicht allzulange stand. Der Wirbelsturm der bulgarischen Frage warf das Dreikaiserverhältniß abermals über den Haufen. Das besonnene, streng vertragsmäßige und selbst gegen die Sympathien des deutschen Volkes den im orientalischen Kriege erworbenen Ansprüchen Rußlands gerecht werdende Verhalten des deutschen Reichskanzlers während der ganzen Krisis konnte nicht verhindern, daß der Panslawismus den Fürsten Bismarck und das Deutsche Reich gemäß den Traditionen Gortschakows und Katkows für die Mißerfolge Rußlands verantwortlich machte und der Gegensatz der Ostmächte im Orient sich immer schärfer zuspitzte. Vielfache Fäden zwischen Moskau, Petersburg und Paris wurden abermals angesponnen, um einer russisch-französischen Allianz die Wege zu bahnen.

Den wegen seiner naturgemäßen Abneigung gegen die Republik vor solchem Bündniß noch zurückschreckenden Zaren veranlaßte man sogar – wie sich bei der späteren Durchreise desselben durch Berlin und bei der berühmten Auseinandersetzung zwischen ihm und dem deutschen Reichskanzler am 18. November 1887 herausstellte – durch gefälschte diplomatische Schriftstücke, sich von einer Begegnung mit seinem kaiserlichen Großoheim in Stettin fernzuhalten.

Alle diese Vorgänge bestimmten die Regierung Kaiser Wilhelms, das Bündniß mit Oesterreich-Ungarn unter erneutem Zutritt des Königreichs Italien, dessen rückhaltloser Anschluß aller Welt durch des Ministerpräsidenten Crispi Besuch beim Fürsten Bismarck in Friedrichsruh bekundet wurde, im Jahre 1887 auf eine längere Zeit hinaus so fest zu knüpfen, daß diese drei starken Mächte sich dadurch verpflichtet haben, beim Angriff auf eine von ihnen den Kriegsfall für alle drei als gegeben zu erachten. Wie fern der hierdurch im Herzen Europas geschaffenen gewaltigen Friedensliga die ihr von russisch-französischer Seite verleumderisch zugeschriebenen Angriffsgelüste liegen, bewies die am 3. Februar 1888 gleichzeitig in Berlin, Wien und Pest erfolgte und in ganz Europa, namentlich aber in Rußland großes Aufsehen erregende amtliche Veröffentlichung des das Datum des 7. Oktober 1879 tragenden, grundlegenden Bündnißvertrages zwischen Deutschland und Oesterreich-Ungarn. Im Eingange desselben versprechen die beiden Monarchen „einander feierlich, daß sie ihrem rein defensiven Abkommen eine aggressive Tendenz nach keiner Richtung jemals beilegen wollen.“

Das aus diesem „Bunde des Friedens und der gegenseitigen Vertheidigung“ entspringende Gefühl der Sicherheit, aber auch der festen Entschlossenheit angesichts der drohenden Weltlage spiegelte sich in der Sprache wieder, mit welcher der Deutsche Reichstag am 24. November 1887 im Auftrage des Kaisers eröffnet wurde: „Das Deutsche Reich hat keine aggressiven Tendenzen und keine Bedürfnisse, die durch siegreiche Kriege befriedigt werden könnten. Die unchristliche Neigung zu Ueberfällen benachbarter Völker ist dem deutschen Charakter fremd, und die Verfassung sowohl wie die Heereseinrichtungen sind nicht darauf berechnet, den Frieden unserer Nachbarn durch willkürliche Angriffe zu stören. Aber in der Abwehr solcher und in der Vertheidigung unserer Unabhängigkeit sind wir stark und wollen wir mit Gottes Hilfe so stark werden, daß wir jeder Gefahr entgegensehen können.“

Von demselben Willen wie die Regierung des Kaisers zeigte sich in der Folge auch der Deutsche Reichstag beseelt, als er nach der großartigen Rede des Fürsten Bismarck in der denkwürdigen Sitzung vom 6. Februar 1888 einmüthig und ohne jede weitere Verhandlung die neue Wehrvorlage genehmigte. Durch diesen von größtem Patriotismus zeugenden Beschluß der deutschen Volksvertretung wurden gleichzeitig die durch Ausführung dieses Gesetzes erwachsenden Kosten in Höhe von 280 Millionen bewilligt, ohne mit der Wimper zu zucken. Die Wehrhaftigkeit der deutschen Nation wurde durch diesen historisch unvergeßlichen Akt auf die denkbar höchste Stufe erhoben.

Den Propheten von der Seine und Newa, welche in Hoffnung einer französisch-russischen Allianz den Zusammenbruch des Deutschen Reiches für nicht gar zu ferne Zeit weissagen, kann daher das deutsche Volk ohne Ueberhebung, aber im Bewußtsein seines guten Gewissens, seines Rechts und seiner durch treue Bundesgenossen verdoppelten Stärke zurufen:

Und schürt ihr fort in Ost und West,
Und züngeln auf des Hasses Flammen:
Schließt sich vom Rhein zur Donau fest
Des Deutschthums Riesenwall zusammen.
Wir zagen nicht vor eurer Wuth –
Stürmt an, ihr wilden Völkerwogen!
Machtlos am Fels zerschellt die Fluth –
Und der Prophet, er hat gelogen!

Es erübrigt noch, aus den letzten beiden Jahrzehnten die mehr persönlichen Erlebnisse des Kaisers Wilhelm, sofern sie nicht schon im Zusammenhang mit der vorstehenden Darstellung erwähnt wurden, kurz vor unserem Auge vorüberziehen zu lassen.

Der 10. März 1876 brachte den hundertjährigen Geburtstag der deutschen Frau und Königin, welche die ersten Keime nationalen Fühlens und Denkens in das Kindesherz ihres Sohnes, des späteren Kaisers pflanzte. Vier Jahre darauf, am 10. März 1880, trug der im Sinne der Mutter zur höchsten Vollendung in seinem Herrscherberuf gestiegene Sohn durch Errichtung des schönen Marmordenkmals der Königin Luise im Thiergarten, nahe dem entsprechenden Denkmal Friedrich Wilhelms III., seine Dankesschuld erneuert ab.

Am 9. Februar 1877 hatte er die Genugthuung, seinen ältesten Enkel im Mannesstamm, den Prinzen Wilhelm, der am 27. Januar, seinem achtzehnten Geburtstage, großjährig geworden war, persönlich in das 1. Garderegiment zur Dienstausbildung einführen zu können. Mit den schlichten Worten: „Nun gehe und thue Deine Schuldigkeit, wie sie Dir gelehrt werden wird. Gott sei mit dir!“ - entließ der Monarch seinen Enkel.

Bei Gelegenheit seines achtzigsten Geburtstages, 22. März 1877, wurde Kaiser Wilhelm seitens der deutschen Fürsten in sinnigster Weise durch Überreichung der von Anton von Werner gemalten Darstellung der Kaiserproklamation in Versailles überrascht. Ende April 1877 wohnte er der Feier des fünfundzwanzigjährigen Regierungsjubiläums seines Schwiegersohnes, des Großherzogs von Baden, bei.

Wie mit seiner Tochter, der Großherzogin Luise, so verbanden den Kaiser stets die innigsten Beziehungen auch mit dem kronprinzlichen Hause. Kein schöneres Bild herzlichsten Familienlebens konnte es geben, als wenn die kronprinzlichen Eltern mit der Enkelschar im Palais erschienen, dem kaiserlichen Vater und Großvater zum Geburtstage oder einem der zahlreichen Jubelfeste, welche dem Kaiser beschieden waren, Glück zu wünschen und seinen Tisch mit Blumen und Geschenken zu schmücken. Andererseits ließ es sich der Kaiser nie nehmen, den Seinigen, wie auch den Personen des Hofstaates, am Weihnachtsheiligenabend unter dem Christbaum, der im königlichen Palast so wenig wie im deutschen Bürgerhause fehlen durfte, die eingekauften Geschenke persönlich zu bescheren. Wie großer Schmerz ihn daher erfüllte, als aus der Schar seiner Enkel am 27. März 1879 ein hoffnungsvoller Sproß, der dritte Sohn des kronprinzlichen Paares, Prinz Waldemar, durch den Tod geraubt wurde, läßt sich ermessen.

Ein für viele herbe Stunden entschädigendes seltenes Familienfest sollte dem Kaiserpaare noch im Frühling desselben Jahres zu Theil werden: die Feier der goldenen Hochzeit am 11. Juni 1879.

  1. Nach Ernst Scherenbergs Gedenkbuch für das deutsche Volk „Kaiser Wilhelm I“. (Leipzig, Ernst Keils Nachfolger.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 266. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_266.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)