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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Jahren zur Information über unsere merkwürdige Zeitepoche dienen werden.“

Diesen Glauben wird jedermann theilen, der einen Blick auf das Quellenmaterial wirft, über welches die Hand des Verfassers zu verfügen hat; denn neben den öffentlichen und geheimen Archiven und historischen Sammlungen und den seit frühester Zeit sorgfältig geführten Tagebüchern unterstützte sein Unternehmen eine Korrespondenz von unvergleichlichem Werte, welche die hervorragendsten und in ihrer Art bedeutendsten Zeitgenossen umfaßt. Da dem Herzog Ernst in seinem Werke überall, wo die Darstellung das frische Bild des Erlebten wiedergeben soll, diese brieflichen Schilderungen, entweder eigene oder geistesverwandte, zu Gebote stehen; da er nie Behauptungen bringt oder Geheimnisse aufdeckt, die er nicht aktenmäßig aus das klarste beweist; da sein eigenes scharfes Auge selbst so viel gesehen und er mit den wichtigsten Personen der Zeitgeschichte in Verkehr gestanden, und da dem regierenden Fürsten als Schriftsteller bei aller Rücksicht für Lebenserscheinungen in höheren Kreisen, die man nicht der Oeffentlichkeit preisgiebt, am höchsten die Wahrheit in der Geschichte steht, gegen deren Verhüllungen oder Schönfärbereien er sich keine Nachsicht gestattet: so ist aus der zehnjährigen Arbeit allerdings ein Werk entstanden, das für die größte Entwickelungszeit des deutschen Nationallebens immerdar ein hochwichtiges Buch bleiben wird.

Und nun zu unserem Gegenstande! Das Buch beginnt mit der Erzählung des sächsischen Prinzenraubes von 1455 und den mancherlei Beziehungen und Deutungen, die man an die Namensgleichheit jener und der koburgischen Prinzen, Ernst und Albert, knüpfte. An dieselbe fügt der Herzog die Klage über die erste Theilung des Besitzthums der Wettiner, der noch so viele Erbtheilungen in der ernestinischen wie in der albertinischen Linie des sächsischen Hauses folgen sollten – zum Unglück Sachsens, besonders aber zum größten Unsegen Deutschlands. Denn – so fragt Herzog Ernst: „Der große Kurfürst (Friedrich der Weise), welchem das deutsche Volk seine Glaubensfreiheit verdankte, – wäre er nicht der berufenste Mann gewesen, um das Kaiserthum in neue Bahnen zu leiten und seinem Hause zu sichern, wenn alles wettinische Land in seinen Händen gewesen wäre? Der getheilte Besitz gestattete ihm nicht den Muth, die angebotene Krone zu nehmen, welche an Karl V. gelangte.“ –

„Wenn wir so fort theilen, so werden unsere Herzogtümer noch kleiner als Grafschaften“ – dieser Ausspruch aus sächsischem Fürstenmunde hätte fast schon auf das koburg-saalfeldsche Ländchen gepaßt; daß dasselbe, trotz der trübseligen Zustände, in welche es durch die Kriegsaussaugungen und Mißverwaltung gekommen war, nach dem Friedensschluß in wenigen Jahren zu erfreulichstem Gedeihen gelangen konnte, verdankte es den Gliedern der Fürstenfamilie, die sämmtlich sich durch Begabung und treffliche Erziehung, die männlichen außerdem durch Tapferkeit und hervorragende Stellung in den Kriegen gegen Napoleon, die weiblichen durch außerordentliche Schönheit, die übrigens auch den Männern nicht abging, auszeichneten.

Das koburger Völkchen hatte mit seinem Fürstenhaus das bitterste Leid der Kriegsjahre und der Franzosenherrschaft treu getragen und es redlich verdient, nun auch des aufsteigenden Glücks und Glanzes desselben sich mit zu freuen, und das that es in der kräftigen und treuherzigen Weise, die der Frankenart am Thüringerwald eigen ist. Betätigt wurde dies vom ganzen Lande bei der Vermählung des aus dem Befreiungskrieg mit Ehren heimgekehrten Herzogs Ernst I. mit der schönen Prinzessin Luise von Gotha und gleich freudig bei der Geburt des ersten Prinzen, Ernst, der am 21. Juni 1818 im Residenzschlosse Ehrenburg zur Welt gekommen war: die Bevölkerung der Aemter und Städte von Koburg-Saalfeld brachte durch freiwillige Sammlungen ein „Pathengeschenk“ von 12 455 Gulden rheinisch auf, das auf Zinseszinsen bis zu Großjährigkeit des Prinzen angelegt werden sollte.

Der Herzog gesteht: „Ich denke nicht ohne Rührung noch jetzt an dieses Opfer treuer Bürger, das damals nach so vielen Kriegsjahren ein namhaftes war.“

Und als schon am 26. August 1819 auf dem Sommerschloß Rosenau ein zweiter Prinz, Albert, geboren wurde, stand es im Lande fest, daß man das schönste fürstliche Ehepaar im herrlichsten Glück besitze. – Und doch fiel ein Giftthau in diese Rosenblüthe, es kam zur Trennung der Gatten und 1826 zur Scheidung der Ehe. Welchen Antheil das Volk an diesen traurigen Ereignissen nahm, habe ich in dem Artikel „Drei Tage aus dem patriarchalischen Staat“ („Gartenlaube“ 1862, S. 41) zu schildern versucht.

Der Herzog verweist hinsichtlich dieses Ereignisses auf das Buch der Königin Viktoria über den Prinzen Albert und bemerkt dazu: „Für die Welt, welche man mit dem vielsagenden Worte der historischen zu bezeichnen pflegt, können diese persönlichsten Dinge des Menschenlebens nicht für vollwerthig betrachtet werden und sie sinken in das Meer der Vergessenheit, mit all den Thränen, die daran hängen.“

Die mutterlosen Knaben, damals sechs und fünf Jahre alt, zog nun der Vater immer näher an sich; sie waren ihm die liebste Gesellschaft; zugleich galt er als das Haupt der gesammten männlichen und weiblichen Verwandtschaft, da „eine in fürstlichen Familien sehr oft fehlende freundschaftliche Gesinnung alle einzelnen Glieder verband.“

„So innig aber auch der Verkehr unter denselben sein mochte, nichts läßt sich mit der vollkommenen Gemeinsamkeit vergleichen, in welcher ich und mein Bruder mit einander aufgewachsen sind. Von frühester Jugend theilten wir alles in Freud und Leid, was immer das Leben darbot. Und da wir auch nach unserer persönlichen Trennung im intimsten Austausch unserer Gedanken und Pläne verblieben, so darf ich sagen, daß vielleicht selbst in bürgerlichen Kreisen ein Beispiel so enger Verbindung von Brüdern nicht eben häufig vorgekommen sein mag.“

So leitet Herzog Ernst die Geschichte seines brüderlichen Verhältnisses ein, dessen Darlegung und Verherrlichung die schönsten Seiten seines Buches einnimmt. Von besonderem Interesse ist der Bildungsgang beider Prinzen. Während der Vater alle ritterlichen Uebungen der Knaben und Jünglinge überwachte und ihre Abhärtung aufs gründlichste betrieb, verfolgte der Erzieher Florschütz eine eigene Lehrmethode. „Von Hause aus waren wir sozusagen einsprachig aufgewachsen. Das Deutsche war wahrhaft unsere Muttersprache und beherrschte ausschließlich die kindlichen Vorstellungen, ein Umstand, der bei keinem Menschen ohne Einfluß auf die spätere Entwicklung und Denkungsart bleibt.“

Mit dem deutschen Unterricht verband sich der von Professor Hassenstein geleitete in Naturgeschichte, Chemie und Physik in einer damals in deutschen Lehranstalten ungewöhnlichen Ausdehnung. Florschütz selbst unterrichtete in Mathematik, Latein und Geschichte. Französisch und Englisch kamen später dran; aber in allen Sprachen wurde Gutes, im Latein so viel geleistet, daß beide Prinzen später in Bonn an Disputationen theilnehmen konnten.

Das war der Weg, auf welchem beide Prinzen, die schon als Knaben für alles Volksthümliche schwärmten, zu der sie auszeichnenden Vorurtheilsfreiheit gelangten. Herzog Ernst gesteht: „Der unbestimmte politische Freiheitsdrang, von welchem damals fast alle jungen Gemüther in Deutschland erfüllt waren, regte sich auch in uns und wirkte auf unser ganzes Leben ein.“

Die Lehr- und Wanderjahre dieses Lebens begannen, nachdem die Brüder 1835 konfirmirt worden waren, im Mai 1836 mit der ersten großen Reise, auf welcher sie ihren Vater an die Höfe von Holland, England, Frankreich[1] und schließlich nach Brüssel begleiteten, wo sie unter Aufsicht ihres Oheims, des Königs Leopold, ihre wissenschaftlichen und Kunststudien fortsetzten und ihre militärischen begannen. Dies geschah vom Juni 1836 bis Ende Juli 1837. Der ungezwungene Verkehr mit Leuten aller politischen Richtungen, welchen König Leopold seinen Neffen gestattete, hat freilich böse Diplomatenberichte angeregt und in Deutschland hochbedenklichen Eindruck gemacht. Dieselbe Verurtheilung traf auch den nächsten damals für Prinzen gewagten Schritt derselben – zur Universität. Am 3. Mai 1837 wurden

  1. In Paris, wo Erbprinz Ernst rasch die Gunst Louis Philipps gewann, würde damals eine Verbindung desselben mit der Prinzessin Clementine eingeleitet worden sein, wenn nicht die Konfessionsunterschiede dazwischengetreten wären. Später heirathete Clementine einen Vetter des Herzogs, den Prinzen August von Koburg-Kobary; ihr Sohn ist der bulgarische Fürst Ferdinand.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 282. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_282.jpg&oldid=- (Version vom 24.7.2016)