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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

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Der Kampf um die Kunst.
Von Karl Erdm. Edler.
(Fortsetzung.)

Ueber das neue Erziehungsmittel Jakobäas war die Tante entzückt und schließlich so verzückt, daß sie zu sehen vermeinte, wie aus den Höhen der Seligen Monsieur Demarre dem Anschlage Beifall zunickte. Jakobäa bat nämlich Herrn Haushuber, wenn er just Zeit habe, ihr doch ein wenig bei dem Einstudiren ihrer Rollen behilflich zu sein – es handle sich um die Stichworte. Florian war ungemein gutmüthig, und da er aus ihren Bitten zu sehen glaubte, daß es ohne ihn gar nicht gehe, so nahm er willig das Buch in die Hand.

„Mein Gott!“ sagte sie, indem sie die Hände faltete und voll Anbetung an ihm emporblickte. „Was wären Sie für ein wunderbarer Siegfried, Othello, Herodes, Ingomar!“

Er lachte herzlich darüber und begann dann seinen Ingomar herunterzukauen – er hatte nämlich die Cigarre im Munde – in jenem breitvokaligen gespreizten Hochdeutsch, dessen gekünstelte Greuelklänge nur der eingeborene Wiener zu Stande bringt, wenn er seinen gemüthvollen Dialekt verleugnen will oder muß. Dabei zeugte sein Vortrag von einem solchen Verständniß und klang so überzeugt und überzeugend, wie wenn ein kleiner Schuljunge als Leseübung KantsKritik der reinen Vernunft“ herableiern würde.

Es war unmöglich – so ging es am allerwenigsten! Fräulein Nina blickte trostlos zum Himmel empor, von wo der Theaterfriseur entrüstet ganz verschwunden war; Jakobäa widmete sich plötzlich mit großem Eifer wieder ihrer Unart, die Finger zu ziehen. Als alle zehn nach der Reihe geknackt hatten, wollte sie wieder von vorn beginnen, aber es ging nicht mehr. Da warf sie Herrn Haushuber einen Blick zu; der stieg nicht mehr bewundernd von unten empor, sondern schlich trübselig von oben herab.

In ihrem Bereiche war das Erlösungswerk an ihm nicht zu vollenden, das stand nun fest – kräftig entschlossen sprang sie denn mitten in seinen eigenen Kreis. Es wäre so doch jammerschade gewesen um den herrlichen großen Menschen, um diesen Ingomar! Sie wollte eine Parthenia für ihn werden, sie wollte um den „Krug voll edlen Weines, dem nur der Kranz gebricht“, diesen Kranz als schöne Zierde flechten, doch nur dies allein – nichts weiter! Hätte jemand sie an den Lohn der Liebe gemahnt, welchen Parthenia für ihren Kranz gewonnen, sie hätte nur bitter lächelnd ihr eigenes kleines Figürchen mit einem schmerzlichen Blicke gemessen – nein, das war auf dieser weiten Erde nicht für sie, und sie dachte auch nie daran. Auf der Bühne freilich, in der Welt des Scheins, da liebte sie, da ward sie geliebt – da vergaß sie ihrer selbst!

Bei dem kühnen Sprung in Florians eigenen Bereich schimmerte in der That bald etwas auf, was Berechtigung zu der Hoffnung geben konnte, daß an diesem Ingomar auch nicht ewig der Waldgeruch haften werde. Er begleitete nach einiger Zeit die beiden Frauen nicht ungern in die Gemäldegalerien im Belvedere und in der Akademie, in den Palästen Liechtenstein und Harrach. Es interessirte ihn dort doch manches von seinem Standpunkte; dieser Standpunkt war anfangs freilich der, ein Dogenporträt von Tizian und einen Trafiktürken von Florian Haushuber in Parallele zu stellen. Allmählich begann ihm dann doch ein gewisser Unterschied einzuleuchten, und er fing auch an zu verstehen, was Jakobäa mit den Worten gemeint hatte: „Herr Haushuber, sehen Sie, das ertrüge ich nicht! Sie sind kein Handwerker, beileibe! Aber Sie sind auch kein Künstler – so mitten innen: ein Zimmermaler nicht mehr, ein Kunstmaler noch nicht!“

Florian lächelte über diese Worte auch jetzt noch, selbst als ihm deren Sinn aufzugehen begann. Dies denkwürdige und in seinem Leben Epoche machende Ereigniß geschah im Belvedere vor der heiligen Justina von Moretto da Brescia. Denn wenngleich obiger Herr Moretto Heilige vorzüglicher malte als Herr Haushuber, was letzterer vor diesem Bilde nicht leugnen konnte, so malte andererseits Herr Haushuber Semmeln, Kerzen, Buchstaben besser. Nahm man aber selbst den unwahrscheinlichen Fall an, daß der Heiligenmaler auch diese Dinge ebenso gut zu Stande brachte, so war auch das Herrn Haushuber höchst gleichgültig. Er betheiligte sich an keinem Wettschwimmen, Wettrudern, Wettreiten, Wettlaufen und ebenso wenig an einem Wettmalen mit Herrn Moretto. Die Lehre überzeugte ihn demnach nicht im mindesten, wohl aber die begeisterte Prophetin derselben.

Er ließ sich seit jenem Tage, da er vor der heiligen Justina gestanden, aus reiner Gutmütigkeit von Jakobäa schieben, indem er dabei still in sich hineinlächelte. Es ging anfangs wohl ziemlich schwerfällig; dann aber, als er einmal in Bewegung war, ließ er sich nicht nur recht leicht schieben, sondern auch, ohne daß er sich dessen bewußt ward, allmählich emporschrauben.

Einem armen Zögling der Kunstakademie wurden die Bodenkammern eingeräumt; dafür und für weiteren reichlichen Geldlohn weihte er den Hausherrn in die geheimsten Tücken der Perspektive, in die heillosen Launen der Oelfarbentechnik ein und hielt ihm überdies freie Vorträge über die Geschichte der Malerei. Florian saß behaglich in seinem Lehnstuhl und sah und hörte ihm mit einem wohlwollenden Lächeln zu, in das sich manchmal etwas Mitleid mischte – der arme Junge gab sich eine so unsinnige Mühe. Dazwischen griff Florian auch wohl zum Pinsel, um die frische Weisheit in Thaten umzusetzen – eigentlich aber aus menschlichem Mitgefühl, um den armen Jungen aufathmen zu lassen. Nach und nach aber begann ihm die Sache Spaß zu machen. Nach einiger Zeit war die Ziehharmonika und die Laubsäge ganz verstummt – Florian malte.

Aber es war merkwürdig: die sichere Hand, das scharfe Auge, die richtige Zeichnung, der kecke Pinselstrich, die er ehedem besessen, ja fester und untrüglicher besessen hatte als sein jugendlicher Lehrer von der Akademie – das Alles war auf einmal irgendwie verloren gegangen. Was er vordem nachlässig wie eine Improvisation mit breitem Pinsel hingeworfen hatte, das strichelte er jetzt unsicher und zaghaft, zögernd und nachdenklich, prüfend und versuchend.

Als ihm Jakobäa einmal zusah, sagte er lachend: „Mir scheint, ich bin jetzt eher auf dem Wege zum Zimmermaler hinunter, als zum Kunstmaler hinauf – was meinen Sie, Aea?“ so nannte er sie in einer bequemeren Verkürzung.

„Herr Haushuber, glauben Sie, daß man so über Nacht zum Künstler wird?“ antwortete sie. „Sehen Sie doch, wie ich arbeite und studire!“

„Ja Sie, Aea, das ist ganz etwas Anderes!“

„Gar nichts Anderes, Herr Haushuber! Sie lassen sich nur so gehen … wenn Sie nur ernstlich wollten und ganz dabei wären … auch sonst!“

Dann nahm sie ihr Buch, und eifrig hineinschauend, deklamirte sie, indem sie auf- und abging:

„Nur Anmuth fehlt und Ebenmaß der Sitte,
Und das wird kommen! Wer aus rohem Stein
Ein Götterbild ins Leben rief, gewiß,
Der muß auch noch den Marmor glätten lernen.“

Diese Worte standen nicht in dem Buche; sie stehen in Halms „Sohn der Wildniß“, und Jakobäa hielt Shakespeares „Macbeth“ in der Hand.

Florian sagte nichts mehr. Er verstand jenes „auch sonst“, womit sie ihre Rede kurz abgeschlossen hatte, ließ sich aber nicht träumen, daß die deklamirten Verse eine poetische Umschreibung davon und an seine Adresse gerichtet waren. Jenes „auch sonst“ schloß in sich die Hemdärmel, den Ohrring, die Haarstoppeln, die Ziehharmonika, das bequeme Hindämmern und viele andere derartige Dinge mehr, ein ganzes Register unkünstlerischer Sünden. Aber dank den rastlosen Bemühungen Jakobäas um den herrlichen großen Menschen, welche von seiten der Tante stets eine nachdrückliche Unterstützung erhielten, schrumpfte dieses Register mit der Zeit immer mehr zusammen.

Die Werkstatt hieß jetzt Atelier und gestaltete sich allmählich auch zu etwas dergleichen unter vier weiblichen Händen, welche von einem akademisch gebildeten Kopf gelenkt wurden; wenigstens versicherte der junge Akademiker, daß keiner seiner Professoren ein so großartiges Atelier besitze. Zu Weihnachten lag auf dem Tische, welcher unter dem Christbaum für Florian bestimmt war, ein kastanienbrauner und ein schwarzer Sammtflaus nebst einigen ungewöhnlich langen seidenen Halstüchern. Eines derselben ward

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 286. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_286.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)