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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Ihrem Gewissen nicht verantworten und so weiter, und hier sei der Beweis –“

Die Prinzessin wandte den Kopf und schrieb. Draußen tobte das Wetter, und wenn ein Donnerschlag das Haus erschütterte, hielt die schreibende Mädchenhand inne. Zuweilen fuhr sich die Prinzessin ängstlich über die Stirn; dann flog die Feder aufs neue über das Papier, und endlich reichte das Mädchen der bewegungslos inmitten des Zimmers stehenden Frau das Schreiben.

Diese trat näher zu der kleinen Kerze und las. „Wie immer con passione,“ sagte sie, „rührend! Und nun das Briefchen Sr. Hoheit, Durchlaucht,“ und ihre Augen schimmerten wie die einer beutegierigen Katze.

Die Prinzessin zog das Kettchen unter ihrem weißen gestickten Kleide hervor; zögernd nahm sie den Brief aus der Kapsel und schloß dann die Hand zur Faust darum. Ein letzter Kampf rang in ihrem Herzen. Frau von Berg lehnte an der Wand neben dem Tische und spielte mit der Quaste ihres Kleides. „Uebrigens,“ sagte sie langsam, ohne aufzuschauen, „süperbe sah sie aus, gestern diese Claudine. Sie haben einen eigenen Reiz, diese blonden Frauen mit den feuchten blauen Augen –“ Aber sie bemerkte doch, daß die Prinzessin bereits mit zitternden Fingern das Kouvert schrieb.

In diesem Augenblick erschien die Komtesse, um ihre junge Gebieterin zu der Mutter zu rufen. Die alte Prinzessin hatte Nervenzufälle und war in jener krankhaften Verfassung, wo sie Sachen zerschlug, Stoffe zerriß und mit Schimpfwörtern verschwenderisch umging. Auch heute tobte sie wie das Wetter draußen. Mit verweinten Augen kam die Prinzessin nach einer halben Stunde zurück in ihr Gemach; sie hatte mit stummem Trotz die ganze Fluth der Vorwürfe hingenommen. Sie war doch wahrhaftig nicht schuld, daß ihre Mutter in dieser dumpfen Luft nicht länger athmen konnte, und daß die Herzogin-Mutter so kühl geantwortet auf das vertrauliche Schreiben Ihrer Durchlaucht! Warum schrieb sie an diese formenstrenge Dame mit ihren untadeligen Manieren, die ja stets eine Affenliebe für Claudine gezeigt hatte? – Auf dem Schreibtisch flackerte noch das Wachslicht im Verlöschen; die hastig hingeworfene Feder lag neben dem Schreibzeug, aber – die kleine Hand fuhr nach der Stirn – der Brief? Wo war der Brief?

Eine zitternde Angst überfiel sie; sie stürzte durch den Korridor nach Frau von Bergs Zimmer.

„Alice!“ schrie sie in die Dunkelheit hinein, „der Brief! Wo haben Sie den Brief? Ich will ihn noch einmal lesen!“

Keine Antwort.

„Alice!“ rief sie heftig und trat mit dem Fuße auf.

Alles blieb still.

Ohne an ihre verweinten Augen zu denken, lief sie die Treppe hinunter; durch die halb geöffnete Thür der Halle drang wundervoll erfrischende Luft herein, es hatte aufgehört zu regnen. Draußen auf den Steinfliesen glitt ein Schatten auf und ab.

„Alice!“ rief die Prinzessin zum dritten Male und eilte hinaus. „Der Brief? Wo ist der Brief?“

„Durchlaucht, ich habe ihn pünktlich besorgt.“

Ein halb erstickter Schrei kam aus dem Munde der erregten Prinzessin.

„Wer hat Ihnen befohlen, den Brief abgehen zu lassen?“ stammelte sie zornig und faßte die Schulter der Dame.

„Nun, Durchlaucht,“ erwiderte diese, nicht im mindesten aus der Fassung gebracht, „ich fand just Gelegenheit.“

Aber die Prinzessin beruhigte sich nicht. „Und was soll ich sagen, woher ich dieses entsetzliche Billet habe?“ fragte sie, die Hände in einander windend.

„Gefunden!“ erwiderte die Berg.

„Ich lüge nie!“ rief das fürstliche Mädchen und ihre zierliche Gestalt wuchs förmlich. „Von Ihnen wisse ich es, werde ich sagen, so wahr mir Gott helfe, und ich spreche die Wahrheit damit, Alice!“

„Wie Durchlaucht darüber denken – dann habe ich das Briefchen gefunden,“ erwiderte sie. „Ich gab es dem Reitknecht mit, den der Baron an Fräulein von Gerold noch Altenstein sandte; er soll es an Frau von Katzenstein abgeben; ich schrieb ihr ein paar Worte, daß sie das inliegende Billet Ew. Durchlaucht morgen früh Ihrer Hoheit überreichen solle.“

Die Prinzessin war still geworden; sie hielt sich an dem im blassen Mondlicht schimmernden Thürklopfer von Bronze, den der sterngeschmückte Hirsch krönte. Sie konnte nicht mehr klar denken, sie fühlte sich unsäglich elend.

Frau von Berg wußte ganz genau, daß es ein Brief Beatens war, den der Reitknecht forttrug; aber warum das sagen? So wurde das Feuer noch mehr geschürt.

Die Prinzessin wandte sich in die Halle zurück und dort stand sie still. Es war eine Furcht, ein unnennbares Grauen über sie gekommen.

Beate trat eben aus dem Zimmer Lothars, das Schlüsselkörbchen am Arm. „Prinzessin!“ rief sie erschreckt, „wie sehen Sie aus!“

Da kam es wie Leben über sie. Sie eilte die Treppe hinauf und in ihr Zimmer, und da wühlte sie die Hände ins Haar und lag angekleidet auf ihrem Bette die Nacht hindurch, halb bewußtlos, und fürchtete, daß es Tag werden möchte.




Die Herzogin hatte beim Ausbruch des Wetters ihre Kinder holen lassen; das jüngste schmiegte sich an sie, die, von Kissen unterstützt, im Bette hoch saß; der Erbprinz stand muthig am Fenster und schaute in die blitzdurchzuckte Nacht hinaus, und den zweiten Prinzen hatte Claudine auf dem Schoß.

Neben dem Erbprinzen stand der Herzog und horchte auf das Prasseln des Hagels und betrachtete die Wassermassen, die der Sturm an die Scheiben warf; die Herzogin plauderte mit dem Baby; im Nebenzimmer befanden sich Frau von Katzenstein, die Gouvernante der Prinzen und die Kammerfrau.

Als der Donner sich entfernte und der Regen nachließ, wurden die fürstlichen Kinder in ihre Zimmer entlassen. Der Erbprinz sah Claudinen einen Augenblick in das Gesicht.

„Haben Sie sich gefürchtet?“ fragte er.

Sie schüttelte freundlich den schönen Kopf.

„Das gefällt mir,“ sagte der schlanke Junge, „Mama fürchtet sich immer gleich.“

Die Mutter zog ihr Kind an sich.

„Fräulein von Gerold gefällt Dir überhaupt?“ forschte sie mit trübem Lächeln.

„Ja, Mama,“ antwortete der Knabe, „wenn ich groß wäre, würde ich sie heirathen.“

Niemand lachte über dieses Kindeswort; der Herzog am Fenster rührte sich nicht und Claudine war verlegen. Die Herzogin nickte: „Schlaft wohl, Ihr lieben, lieben Kinder, Gott behüte Euch!“

Als das Getrappel der kleinen Füße verhallt war, sagte sie leise. „Ich bin recht müde, Adalbert.“

Auch der Herzog empfahl sich. Er küßte seine Gemahlin auf die Stirn und verließ das Gemach. „Erwache gesund morgen!“ sagte er noch.

„Ich verspreche es Dir!“ erwiderte sie freundlich.

Claudine wollte sich mit Frau von Katzenstein in die Nachtwache theilen. Sie ging in das Zimmer, das man ihr angewiesen, das nämliche, in dem sie geschlafen, als sie noch Kind dieses Hauses war, und zog sich ein bequemeres, wärmeres Kleid an. Dann kehrte sie zurück und saß neben dem Bette, still und geduldig.

Die Herzogin lag mit geschlossenen Augen. Die kleine Nachtuhr tickte leise; das Bildniß der Madonna leuchtete matt herüber, des Mädchens Augen blieben hängen an diesem holden Antlitze und wanderten dann zu dem bleichen der Kranken. Dann sank ihr Kopf an das Polster, sie schloß die Augen und dachte nach.

Sie war wohl müde von der gestrigen Nacht; ein leises traumhaftes Dämmern kam über sie; sie sah sich mit seinem Kinde aus dem Arme und fühlte seinen Dankeskuß auf der Hand und sie lächelte im Schlaf. Dann schreckte sie empor und saß wachend, und ein Grauen schlich durch ihren Körper. Sie sah in die Augen der Herzogin , die mit einem unheimlich forschenden Ausdruck auf sie gerichtet waren, so seltsam starr!

„Elisabeth,“ fragte sie unter leisem Frösteln, „kannst Du nicht schlafen?“

„Nein!“ war die kurze Antwort.

„Soll ich Dir vorlesen?“

„Nein, ich danke!“

„Willst Du plaudern? Soll ich Dir das Kopfkissen zurechtlegen?“

„Gieb mir die Hand, Claudine; war ich sehr unleidlich heute?“

„Ach, Elisabeth, das kannst Du gar nicht sein!“ rief das Mädchen und knieete neben ihr.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 295. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_295.jpg&oldid=- (Version vom 24.7.2016)