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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Theater ist es auch nichts, gerade wie bei mir mit der hohen Kunst; Sie sehen, ich bin gerade wieder bei meinem alten rechtschaffenen Handwerk gewesen, wie ich da hereinkam. Aber, Aea … nun gerade heraus … wenn Sie … ich meine, wenn Sie mich zum Manne nehmen wollten? Ich habe Sie mir so herausgefischt, Sie gehören mir ein klein wenig … sonst hätte ich mich auch gar nicht unterstanden, Ihnen das zu sagen. Ich weiß, ich bin ein einfacher Mensch, und es liegt Ihnen so nichts an mir oder doch nicht viel … ich weiß, Sie haben es auf den Abschiedszettel geschrieben – gerade nur so viel wie an einem Reisegenossen auf kurzer Ueberfahrt. Aber, Aea, wenn wir heirathen, so könnten Sie das vielleicht einmal an einer Tochter – das mit dem Theater meine ich – wenn Sie es ihr so von klein auf lehren und beibringen, wie Sie es gar so wunderschön selber können … was denken Sie, Aea … es wäre doch besser, als die Vortragsmeisterin bei den fremden Konservatoristinnen zu machen … und wenn …“

Aber er kam nicht weiter. Aea hatte sich aufgerichtet und hing plötzlich an seinem Hals und weinte sich da recht herzlich allen den unsäglichen Kummer ihres Lebens aus. Er schlang den Arm um sie und trug sie hinaus in die Küche.

Fräulein Nina ließ bei diesem Anblick vor Schrecken die kupferne Gugelhupfform fallen, welche sie gerade in der Hand gehalten, und diese rollte klirrend über die Steinplatten. Hierauf griff sie hastig, wie jedesmal in äußerster Erregung, nach den weißen Schläfenlöckchen, ob sie sich nicht von den Haarnadeln gelöst hätten. Dann erst schlug sie die Hände über den Kopf zusammen: ihr netter himmelblauer Schlafrock, welchen sie der kranken Jakobäa geliehen und beim Aufstehen angezogen hatte, war mit aschgrauen Strichen und Flecken ganz bedeckt. Der oberste graue Klecks war auf Jakobäas Stirn, der unterste auf dem Saum des Schlafrockes, welcher, viel zu lang für sie, wie ein endloses Schleppkleid an ihr und an Florian niederflatterte, da dieser sie noch immer hoch in seinen Armen hielt. Was zwischen jenen beiden Klecksen lag, war eine weite Himmelsbläue mit zahllosen grauen Feder- und Lämmerwolken. Und eben warf sich Jakobäa von Florians Hals an Fräulein Ninas Brust und verpflanzte die frische Oelfarbe weiter auf deren meergrünen Feiertagsschlafrock. Nun war auch Fräulein Nina fertig: ihre schöne stille Meeresgrüne erschien jetzt aus einmal von grauen Wogenkämmen durchfurcht und gekräuselt. Da standen nun die drei Menschen, bis zu den Stirnen hinauf in Oelfarbe aschgrau marmorirt, in ihren Seelen aber leuchtete ein sanftes Rosenroth.

Nur der Verstoß gegen alles altbürgerliche Herkommen wollte Fräulein Nina nicht aus dem Kopfe weichen. Sie machte sich auch endlich Luft mit den Worten: „Aber, Florian, wie hast Du denn in einem solchen Aufzuge Deine Brautwerbung anbringen können?“

Aber Jakobäa sagte mit feuchten Augen: „Laß, Tante, Herzensgute! Gerade so hat es ja sein müssen, in seinem alten Werktagskleid!“

Die Hochzeit wurde in einem abgelegenen Gebirgsdörfchen gefeiert. Als sie wieder heimzogen, war Jakobäa blühend und roth und stattlicher geworden. Das Glück hatte um ihren Mund einen ganz neuen Zug entfaltet, der fast an Schalkhaftigkeit streifte, und der scharfe harte Stahlglanz der Augen war einem weichen Leuchten, wie von sanftgrauem Silber, gewichen. Mit einem glückseligen Lächeln, wie man es vordem noch nie an ihr gesehen hatte, zog sie ein über die Schwelle des alten ehrsamen Bürgerhauses, indeß Florian einen wohlgefälligen Blick über den aschgrauen Oelanstrich gleiten ließ, welcher alle die alten Thorheiten in einer ungewöhnlich dicken Lage überzog. Er selbst war auffallend schlank und beweglich geworden; das Klettern im Gebirge mit der leichtfüßigen Jakobäa und ihr zu Liebe hatte ihn erheblich leichter gemacht als einst die Karlsbader Kur. Die bösen Nachbarn aber, zumal die bösen Nachbarstöchter, welche einst begehrlich nach dem reichen Hausherrn geschielt hatten, blickten jetzt hämisch nach seinem kleinen reizenden Frauchen und ersannen bei Strickstrumpf und Kaffee allerlei erbauliche Abhandlungen über das alte Sprichwort. „Wirf ein Glückskind in den Fluß, und es kommt gesund wieder heraus, mit einem Fisch im Munde.“

Der Fluß war der Donaukanal, und der Fisch – Florian Haushuber.

Als Florian einmal in den ersten Frühlingstagen heimkam, vernahm er schon vor der Thür einen heftigen Wortwechsel. Jakobäa saß an dem Schreibtisch mit der Feder in der Hand, ganz roth vor Erregung; neben ihr stand die Tante, ebenso roth. Das war noch nie dagewesen – ein Streit war etwas Unerhörtes zwischen beiden! Sie liebten einander zärtlich wie Mutter und Tochter.

„Was giebt es denn?“ fragte er ganz erstaunt.

Fräulein Nina stand beleidigt auf und ging hinaus, sie räumte freiwillig das Feld.

Jakobäa warf die Feder hin, stützte den Kopf in die Hand und murmelte: „Und das geht gar nicht! Nie! Wie man nur so auf etwas bestehen kann, wenn es einmal nicht geht!“

„Ja, was denn, Aea?“ fragte er ganz verwundert.

„Die Tante besteht auf der Parthenia – wie kann man diese Parthenia …?“

Florian griff sich zuerst an seinen Kopf; dann sagte er, indem er Jakobäas Kopf zwischen seine beiden Riesenhände einrahmte. „So – und jetzt erkläre mir einmal die Sache in einer Weise, daß sie mein einfacher Menschenverstand fassen kann!“

Sie sah ihn an und ward plötzlich über und über roth. Sie langte nach dem Bogen, den sie beschrieben hatte, reichte ihm denselben und barg ihr Gesicht verschämt an seiner Brust.

Er nahm das Papier, legte es auf ihre Haare wie aus ein niedriges Lesepult, und las: „Repertoire für unsere Tochter …“ und nun folgte ein langes Verzeichniß – es war das ganze eigene Repertoire Jakobäas. Wegen der Parthenia hatte sie sich mit der Tante gezankt, seit ihren eigenen Partheniawerken an Florian, welche ihr jetzt geradezu sündhaft vorkamen, war ihr diese Gestalt ganz zuwider geworden.

Während Florian noch mit tiefer Rührung diese Botschaft las, welche ihm auf eine ganz wunderliche Weise ankündigte, daß ihm in nicht allzu ferner Zeit ein Töchterlein beschert werden sollte, kam Fräulein Nina wieder herein. Sie brachte ein Ding mit, daran sie eben gestrickt hatte, und hielt es Florian dicht vor die Augen.

„Ist das ein Handschuh für mich?“ fragte er. „Ich soll ihn wohl probiren? Aber es sind ja erst zwei Finger fertig!“

Sie sah ihn nur mitleidig an. „Ein Handschuh! Da sieht man … so ein Mann! Ein Jäckchen ist es für unsere Parthenia … Par – the – ni – a!“ wiederholte sie nachdrücklich, aber sie lächelte dabei schon wieder.

„Aber wenn es ein Junge wird, Aea?“ warf Florian ein.

Jakobäa ward nachdenklich. Diesen Fall hatte sie gar nicht in Betracht gezogen – er war ja ganz undenkbar. Und wenn auch! Dann wird es ein großer Schauspieler … plötzlich blickt sie auf – da steht ihr herzensguter, edler, vielgeliebter Mann lächelnd und gleichsam erwartungsvoll. Sie darf, sie kann ihm gegenüber nicht selbstsüchtig sein, und lächelnd bringt sie das Opfer.

„Ein Junge?“ sagt sie mit einer wunderbaren Ruhe. „Dann wird er ein Rubens, natürlich!“




Kaiser Wilhelm I., ein Freund des Turnens.

Persönliche Erinnerungen von Dr. C. Euler.

Als im März des Jahres 1878 Kaiser Wilhelm I. der ersten Schlußvorstellung der seit einem halben Jahre selbständig gewordenen königlichen Turnlehrer-Bildungsanstalt zu Berlin beiwohnte, äußerte er zu mir, der ich in seiner Nähe stand, um auf etwaige Fragen zur Antwort bereit zu sein:

„Wir kennen uns doch schon recht lange.“

„Im März 1861,“ erwiderte ich, „hatte ich zum ersten Male die hohe Ehre, Eurer Majestät unsere Civileleven in ihren Leistungen vorführen zu dürfen.“

„Also so lange ist es schon her!“ sagte der Kaiser und fügte nach kurzem Besinnen hinzu. „Ja, Sie haben Recht.“

Und so war es.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 319. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_319.jpg&oldid=- (Version vom 3.7.2020)