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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

und beaufsichtigte in der ersten Zeit den Unterricht der jungen Lehrerin, meiner Schülerin.

Einmal war ich zugegen, als auch die Kaiserin, welche das Stift oft besucht, eintrat, Platz nahm und den Uebungen zusah. Die Lehrerin ließ Stabübungen vornehmen. Da winkte mich die Kaiserin zu sich und sagte, diese Uebungen mit den Stäben halte sie für ganz besonders geeignet für Mädchen, sie beförderten sehr die gerade Haltung. Sie hieß hierauf ihre Begleiterin, irre ich nicht eine weimarische Prinzessin, sich erheben, ließ sich einen Stab geben, und die Prinzessin mußte den Stab so nehmen, daß er zwischen dem Rücken und den gewinkelten und zurückgezogenen Armen lag. Diese Stabhaltung, bemerkte daraus die Kaiserin, erscheine ihr vortrefflich, und fügte hinzu, ihr Gemahl, der Kaiser, habe die Gewohnheit, seinen Gehstock so auf den Rücken gehalten auf und ab zu wandern, und davon, meinte sie weiter, habe er wohl seine schöne gerade Haltung. –

So war der Kaiser ein wirklicher und warmer Freund und Förderer des deutschen Turnens. Wenn er auch, wie er mir einmal mittheilte, in seiner Jugend nicht in jetzigem Sinne geturnt habe, so habe er doch körperliche Uebungen getrieben und sei namentlich ein tüchtiger Springer gewesen. Für das Turnen in den Schulen hat der Kaiser sich stets lebhaft interessirt; in seine Regierung fällt die Entwickelung unseres jetzigen Turnens in Preußen. In Schloß Babelsberg erblickte ich auf seinem Arbeitstisch den amtlichen Leitfaden für den Turnunterricht in den preußischen Volksschulen kurz nach dessen Erscheinen. Kaiser Friedrich hat als Knabe und Jüngling wacker geturnt.

Unter Kaiser Wilhelms I. Regierung ist dem Begründer der deutschen Turnkunst, Friedrich Ludwig Jahn, in der Hasenhaide bei Berlin das stattliche Denkmal errichtet worden; durch Kabinettsordre ist eine Straße „Jahn-Straße“, eine andere „Friesen-Straße“ nach Jahns und Körners Freund Friedrich Friesen genannt worden. Die von mir verfaßte, bei Karl Krabbe in Stuttgart erschienene Biographie Jahns durfte ich dem Kaiser überreichen und ebenso die von mir herausgegebenen Schriften Jahns[1]. Beides ist huldvoll mit freundlichem Dank entgegengenommen worden. In dem letzten Dankschreiben vom 4. November 1887 läßt der Kaiser seiner Freude darüber Ausdruck geben „nunmehr im Besitz des ganzen, von so echt patriotischem Geist zeugenden Werkes (der Schriften Jahns) zu sein.“

Auch den deutschen Turnvereinen, die als echte Jünger Jahns treu zu Kaiser und Reich stehen, war der heimgegangene Kaiser freundlich gesinnt. Und sie verehrten in ihm nicht allein den Freund aller kräftigen und gesunden Leibesübungen, sondern auch den Mann, der Jahns Lebenstraum: ein geeintes Deutschland unter einem deutschen Kaiser aus dem Hohenzollerngeschlecht, so herrlich zur Erfüllung gebracht hat.




Blätter und Blüthen.



Friedrich Rückerts Gedenktag. Am 16. Mai sind es hundert Jahre, daß Friedrich Rückert zu Schweinfurt geboren wurde, ein Sohn des Frankenlandes, welches in Jean Paul der deutschen Litteratur einen der originellsten Dichter, in dem Grafen Platen einen der formgewandtesten geschenkt hatte. Friedrich Rückert vereinigt den barocken Humor des einen und die seltene Macht über die Sprache, welche den andern auszeichnete. Von den nachklassischen Dichtern hat er neben Uhland die angesehenste Stellung in der Geschichte deutscher Poesie behauptet. Viel von dem, was er mit unermüdlicher Schaffenskraft gedichtet, ist dem deutschen Volke fremd geblieben, doch viele seiner mächtigen wie in Erz gegrabenen Geisteswerke, viele seiner eigenartigen Lieder, welche zwar nirgends den duftigen Reiz der Eichendorffschen aber dafür oft einen warmen vollen Gefühlston anschlagen, gehören dem Hausschatze unserer nationalen Poesie an.

Das Leben des Dichters war nicht ereignißreich. Professuren an verschiedenen Universitäten, darunter diejenige in Berlin, wohin ihn König Friedrich Wilhelm IV. 1840 berufen, wo er sich nicht heimisch fühlte und in der stürmischen Zeitbewegung nicht die Sympathien des jüngeren Geschlechtes fand, unterbrachen die Idylle von Neuses bei Koburg, jenem thüringischen Heim, in welches er immer wieder zurückkehrte. Als der Patriarch von Neuses ist er so auch am meisten volkstümlich geworden; hier bezeichnete er jeden Kalendertag mit einer Naturbetrachtung, einem Weisheitsspruche und wußte dem kleinsten häuslichen Erlebniß eine sinnvolle Bedeutung zu geben. Diese „Haus- und Jahreslieder“ haben den alten Patriarchen dem deutschen Volke nähergerückt, als seine Nach- und Neudichtungen der arabischen, persischen und indischen Vorbilder. Im schlichten Hausrock deutscher Idylle sehen ihn seine Landsleute lieber als in den buntbeblümelten Prunkgewändern der west-östlichen Lyrik.

Rückert begann als patriotischer Sänger zur Zeit der Befreiungskriege mit den „Geharnischten Sonetten“; seine Dichtung rasselte in eiserner Wehr, kräftig und trotzig, und die Sonettenform mit ihrer melodischen Weichheit und ihrer üppigen Reimfülle wollte nicht recht zu diesem Kraftstil passen, der so herausfordernd an den Schild schlug. Deshalb übten diese Sonette auf die Zeitgenossen nur geringe Wirkung aus, und doch haben sie einen vollen Ton und großen Stil und sind das Schwunghafteste, was Rückert geschaffen hat.

Von seiner Reise nach Italien brachte Rückert eine Menge farbenreicher poetischer Bilder mit und sang den italienischen Dichtern in den dort üblichen Strophenformen und Reimverschlingungen ihre Weisen nach; er brachte gleichsam einen Fruchtkorb mit Citronen und Goldorangen mit nach Hause.

Anheimelnd deutsch waren dagegen sein Liebesidyll „Amaryllis“, seine schönen nicht genug bekannten „Aprilreiseblätter“ und vor allem sein „Liebesfrühling“, jener Gedichtcyklus, der ihn auch zum Liebling der deutschen Frauen gemacht hat. Diese Liederblüthen sind auf dem Boden des deutschen Gemüthes gewachsen und sinnig zu einem geschmackvollen Kranze geordnet. In diesen Gedichten hat Rückert den wärmsten Ton angeschlagen, über den seine Muse zu gebieten hat.

Ganz anders ist der Ton der „Oestlichen Rosen“; da herrscht die ganze Farbenpracht des Orients und die Feier eines üppigen Lebensgenusses, da sind die Bahnen betreten, in denen später die deutschen Hafise und Mirza-Schaffy wandelten. Dem Beispiele des alternden Goethe folgend, suchte Rückert seiner Poesie jetzt ein Heimathrecht im Orient zu erwerben, dem er ja auch seine wissenschaftlichen Studien gewidmet hatte. Und welches umfassende dichterische Gemälde des ganzen Ostens, der asiatischen Gedankenwelt und Lebenssitte hat er uns in seinen Nach- und Neudichtungen entrollt, von dem chinesischen Liederbuch des Schi-king, der reizenden Episode „Nal und Damajanti“ aus dem großen indischen Heldengedicht bis zu der tiefen Gedankenwelt des persischen Dichters Dschelaleddin-Rumi, zur großen Dichtung des Persers Firdusi, der er die Heldengeschichte „Rostem und Suhrab“ entlehnte, zu den scherzhaften Plaudereien des Arabers Hariri, den arabischen Volksliedern und den Poesien des Dichterkönigs Amrilkais! Und eine große Zahl von Sagen, Geschichten, Erzählungen hat Rückert auf dieser orientalischen Grundlage geschaffen. Ein Sprachgewaltiger und Formenbändiger wie wenige hat er diese Dichtungen der verschiedensten Völker, mit Wahrung ihrer Eigenart, der deutschen Sprache angeeignet und diese selbst mit neuen Wendungen bereichert.

Sein Hauptwerk auf diesem Gebiete bleibt aber doch „Die Weisheit des Brahmanen“, ein überaus reicher Schatz von Sprüchen und Gedanken tiefer Weltweisheit und praktischer Lebensweisheit, dessen Unerschöpflichkeit von dem Tiefsinn und Scharfsinn des Dichters und seiner Kunst, immer neue Sinnsprüche rasch zu münzen und prägen, ein beredtes Zeugniß ablegt. Es war das alles Kleingeld des Gedankens, aber das Gepräge oft bedeutend.

So sehr auch Rückert in die Ferne schweifte, er hat doch als deutscher Poet seine nationale Bedeutung gewahrt. Gerade der freie Weltblick ist echt deutscher Art: eine Weltlitteratur zu schaffen, wie sie Goethe ins Auge gefaßt, ist unser Volk mehr als andere berufen. Rückert hat dazu einige Bau- und Ecksteine gelegt; er hat die Bestrebungen der Wissenschaft dem Volke näher gerückt. Auch ist der Tiefsinn der östlichen Völker uns nichts Fremdes; wir werden dadurch auf die asiatische Wiege unserer Kultur hingewiesen; aus demselben Wurzelgeflecht sind jene hochschattenden Bäume der Erkenntniß hervorgegangen, unter denen die Weisen des Morgen- und Abendlandes wandeln. Der Brahmane borgt zwar manche fremdartige Hülle für seine Weisheitsworte, aber es ist doch der deutsche Patriarch von Neuses, der zu uns aus ihnen spricht, und was er sagt, hat vollgültigen Werth für unser Leben und das der kommenden Geschlechter.

So ist der 16. Mai nicht der Gedenktag einer verschollenen Größe, die gleichsam noch in den Listen der Litteraturgeschichte fortgeführt wird. Friedrich Rückert, wenn es ihm auch nicht gelang, größere Kunstwerke zu schaffen, wie allerdings seine Dramen beweisen, hat doch eine so fruchtbare Aussaat des Schönen und Wahren in seinen Werken ausgestreut, daß unser Volk ihm stets ein dankbares Angedenken wahren wird. Sein Denkmal in Neuses soll erst am 16. Mai des nächsten Jahres enthüllt werden, jedenfalls hat er sich selbst in unvergänglichen Liedern und Sprüchen ein dauerndes Denkmal gesetzt.

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Ernst Possart. (Mit Illustration S. 321.) Wir haben bereits im Jahrgang 1876 unseres Blattes (Nr. 1.) eine Lebensbeschreibung des gefeierten Künstlers gegeben, zugleich mit einer Abbildung, welche seinen Richard III. darstellte. Seitdem hat er sowohl in seiner Kunst, wie auch aus der Bahn des Ruhms glänzende Fortschritte gemacht.

Der am 11. Mai 1841 in Berlin geborene Künstler war, wie wir damals berichteten, seit 1864 am Münchener Hoftheater engagirt. Im Jahre 1878 wurde er Direktor des Königlichen Schauspielhauses und Professor und gab der seit 1876 dort bestehenden Theaterschule eine neue Organisation. Dem Vorgange Dingelstedts folgend, regte er die Gesammtgastspiele von 1880 an, welche die namhaftesten Künstler der Gegenwart an der Isar versammelten und der Schauspielkunst wie der dramatischen Kritik die förderlichsten Anregungen boten. Zahlreiche, oft eine längere zusammenhängende Epoche umfassende Gastspiele machten ihn nicht nur dem deutschen Publikum aller großen Städte bekannt, sondern er hatte auch in Rußland und Holland glänzende Erfolge, die glänzendsten freilich

  1. Erschienen in drei Bänden bei Rudolf Lion in Hof.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 323. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_323.jpg&oldid=- (Version vom 25.2.2018)