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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

In ihrer resoluten Art nahm sie mit der Freundin, die sie in ihr Geheimniß eingeweiht, auf der Bank neben dem Studenten Platz.

Sie grüßte beim Niedersitzen leicht, sah dann in das Grün, wo das Sonnenlicht lieblich still zwischen den Blättern flimmerte, und fragte nach einigen Momenten des Schweigens den jungen Mann, ob sie ihn auch nicht im Lesen störten.

„Nein, durchaus nicht,“ stotterte Pablo – er wolle im Gegentheil, falls er den Damen hinderlich sei, eine andere Bank aufsuchen.

Das konnte Inesilla nun keineswegs zugeben. „Ich liebe die Gelehrten,“ sagte sie, „und ihre Gespräche. Was für ein Buch studiren Sie da, Señor?“ erkundigte sie sich teilnahmsvoll.

„Den ‚Virgil‛, Señora.“

„Wer ist das – hieß nicht ein alter Zauberer so?“ warf Inesilla ein, den jungen Mann neben sich einen Moment fast ängstlich anblickend.

„Nein, ein Zauberer war Virgil nie – die mittelalterliche Sage machte ihn zu einem solchen. Virgil war ein altrömischer Poet, der die Erzählung von Aeneas und Dido und Lobgesänge auf den Ackerbau gedichtet hat.“

So erläuterte der Student. Das interessirte Inesilla sehr und sie ließ sich von Virgil und dem Inhalt seiner Dichtungen erzählen.

Sie war ganz Ohr und ihr Auge hing an dem schönen, beredten Munde des Studenten, der jetzt dieser so aufmerksamen und ihn bewundernden Zuhörerin größere Stücke des römischen Dichters vorlas, übersetzte und mit Eifer und mit Begeisterung erklärte.

Inesilla erkundigte sich nach dem Namen und den Verhältnissen des Studenten. Sie erfuhr, daß Pablo Verros der Sohn eines verarmten Gutspächters sei und „auf das höhere Lehrfach“ studire, was ihm freilich seine Mittellosigkeit sehr erschwerte. Das letzte sprach er leise, höchst schüchtern, nur andeutend, so zu sagen.

Die Damen standen auf. Inesilla erklärte sich tief in der Schuld für die angenehme genuß- und lehrreiche Stunde, die sie dem Señor verdanke, und sprach die Hoffnung aus, daß sie wohl öfter noch sich begegnen dürften, da sie in Salamanca wohne, auf der Plaza Mayor, und der Herr ja seines Studiums wegen gewiß noch eine Zeit lang hier bleiben werde. Dann empfahlen die Damen sich – Inesilla mit einem Blick in Pablos Augen, der sehr viel sagte und den jungen Mann erröthen, im tiefsten Herzen erbeben machte.

Darauf sah er die beiden Gestalten in dem verschlungenen Wege hinter dem Springbrunnen verschwinden. Eine Zeit lang saß er noch in tiefem Nachdenken da; dann ergriff er sein neben ihm liegendes Buch und wollte sich erheben, als seine Hand auf ein kleines Päckchen glitt.

Erstaunt betrachtete er es, es fühlte sich hart an – er öffnete es und hielt ein Zwanzigfrankenstück in der Hand. Erschreckt und gedemüthigt zugleich sprang er auf; er wollte den Damen nacheilen, denn nur von diesen konnte es kommen. Da flatterte aus dem Papier ein Zettel auf die Erde; er nahm ihn auf – er sah Schriftzüge auf demselben und Pablo las. „Als Honorar für die geistvolle Unterrichtsstunde. Inesilla.“

Jetzt erinnerte Pablo sich, daß er die junge Dame hatte etwas schreiben und die andere dann ein Blatt Papier zusammenfalten sehen.

„Sie ist ohne Zweifel reich,“ sprach er vor sich hin, stets eifrig in den Zettel schauend. „Als Honorar für die Stunde – ich verschmachte fast vor Hunger – das ist kein Almosen; von ihr möchte ich kein Almosen; es ist mit meinem Geist, mit meinen Kenntnissen verdient“ – überlegte er weiter; „wenn es auch mit großer Freundlichkeit und heimlich mir gegeben worden,“ setzte er etwas bedenklich hinzu; „aber ich darf es nehmen,“ schloß Pablo seine Erwägungen und ging, das gewaltige Stück Geld krampfhaft fest in der Hand haltend, zu einem Restaurant, wo er mit dem tiefsten Dankesgefühl für die großmütige eigenartige interessante Schülerin seit langer Zeit sich wieder einmal satt aß.

Inesilla war nach dieser Unterrichtsstunde im Parke noch entzückter von dem armen Studenten als vorher; er übertraf alle ihre Ideale und Träume von einem Manne. Bisher hatte sie nicht viel über die Männer nachgedacht, am wenigsten über Gelehrte; sie ahnte gar nicht, was höher Gebildete wissen könnten; denn außer Lesen, Schreiben und Rechnen verstand sie nichts, und von Büchern hatte sie nur das Leben der Heiligen von Pater Antonio und ein Märchenbuch gelesen – und jetzt strahlte auf sie, die eine sehr bildungsfähige Seele hatte, eine solche Fülle von Wissen, vorgetragen von dem schönen, jungen Mann, in jugendlich schwungvoller poetischer Form, daß ihre Neigung zu heller Flamme emporlohte und dieser arme Student ihr ganzes Leben derart erfüllte, daß gar nichts weiter daneben Platz fand. Das Geschäft, ihr Vater, Freunde, Bekannte, alles war ihr Nebensache; sie war glückselig, nach der zweiten von ihr klug eingefädelten Unterrichtsstunde eine merkbare Theilnahme des jungen Pablo für sich wahrgenommen zu haben, einen Blick, der wärmer war als seine früheren; er hatte ihren Händedruck beim Abschied zwar nur zart, aber doch so gefühlvoll erwidert und sie schwelgte nun in der sicheren Hoffnung, wenn nicht jetzt schon, so doch in kurzer Zeit von dem schüchternen jungen Mann so tief, wie sie es wünschte, wiedergeliebt zu werden.

Jedoch nicht nur Inesilla war selig vor Zukunftsträumen; auch ihr Vater trug sich mit rosigen Hoffnungen.

Er hatte nämlich einen neuen Artikel, den erst ganz vor kurzem ein italienischer Arzt erfunden, fabrizirt und baute darauf herrliche Luftschlösser seines Ehrgeizes.

Sein Ideal war, Hoflieferant des Königs Alphons in Madrid zu werden; nur schien dies in dem abgelegenen Salamanca fast ein Ding der Unmöglichkeit. Da erfuhr er das Geheimniß der Hanfcigarette, der Papiros canabicos; er wußte, daß König Alphons sehr an Asthma litt, und diese Cigaretten hatten die Eigentümlichkeit, das Herz so zu erleichtern, die Stimmung derartig zu heben, den Pulsschlag auf solche Weise anzuregen, daß hierdurch die Atemnot überwunden ward und eine außerordentlich heitere und behagliche Stimmung den Raucher ergriff.

Von diesen Cigaretten trachtete er, dem König ein Geschenk zu machen.

Er hatte beschlossen, zehntausend Stück dieser Gattung zu fabriziren, dieselben hochelegant umhüllt und noch mit dem medizinischen Zeugniß versehen nach Madrid an den König zu senden, und er zweifelte keinen Augenblick daran, als Erkenntlichkeit dafür den Hoflieferantentitel zu bekommen.

Vorerst, bis das Quantum fertig war, mußte jedoch, damit kein anderer etwa die Waare auf den Markt liefere, über die ganze Angelegenheit tiefes Schweigen bewahrt werden, und wirklich erfuhr niemand etwas, als der ins Vertrauen gezogene Arzt, welcher sich gleichfalls Außerordentliches für seine Person von diesem Unternehmen versprach.

So machte denn der Mediziner Hanfextrakt; Don Lorenzo tränkte damit den feinsten türkischen Tabak, trocknete das Präparat sorgfältig und ließ es in Papier füllen. Fünftausend waren schon fertig; noch zwei Monate, und das kostbare Geschenk konnte abgehen, und Lorenzo sah im Geiste schon das vergoldete Schild über seinem Ladeneingange mit der Inschrift „Provedor de la Corte d. S. M. del Rey“

Wäre er nicht so in seiner Arbeit und in seinen Träumen befangen gewesen, so hätte er sicherlich das verwandelte Wesen und die häufige Abwesenheit seiner Tochter wahrnehmen müssen. Dieser Umstand ermöglichte es Inesilla, so viel Unterrichtsstunden zu nehmen, als sie wollte, und ihren Geist ebenso wie ihre Liebe auszubilden. Nach beiden Richtungen hin machte sie reißende Fortschritte.

Ein Wurm nagte jedoch an ihrem Herzen, die Frage nämlich: liebte Señor Pablo sie auch wirklich?

Er war so zurückhaltend – nahm er ihre Hand einmal, so ließ er sie gleich wieder los; schaute sie ihm tief in die Augen, so schlug er die seinen nieder – ja trotzdem sie es ihm so nahelegte und eines Tages sogar ohne die Dueña in den Park kam, hatte er ihr nicht einmal einen Kuß gegeben. Zwar leuchteten seine Augen, wenn er sie erblickte, und zitterte seine Hand, wenn sie die ihrige ganz zufällig auf dieselbe legte; auch ging er täglich zweimal an ihrem Laden vorüber und warf einen Blick hinein, der ihr wie ein Feuerstrom in das Herz fuhr; er fehlte auch nie bei einer Unterrichtsstunde im Park, und selbst beim schlechtesten Wetter war er mit einem großen Regenschirm da und wartete geduldig; aber weshalb drückte er ihre Hand nicht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 335. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_335.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)