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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

hatte, wo die beiden Aerzte mit dem Kammerherrn saßen. „Nichts weiter. Lassen Sie die Patientin ganz ungestört, morgen wird sie wohl und frisch sein. Ich bitte Sie, bei solcher Jugend und Kraft! Fahren Sie ruhig nach Neuhaus, lieber Baron!“

Herr von Gerold wies die Kammerjungfer selbst an und schärfte ihr ein, die Diakonissin zu rufen, falls ihr irgend etwas bedenklich erscheine bei dem gnädigen Fräulein; dann bat er auch Frau von Katzenstein, die Kranke zu beaufsichtigen.

Die alte Dame wollte eben noch einmal zu Claudinen hineingehen, um ihm Nachricht von ihr zu holen; er stand indeß wartend im Korridor. Jetzt hörte er Claudine drinnen sprechen – mit wem wohl? Deutlich konnte er jedes Wort verstehen, Frau von Katzenstein hatte die Thür nicht fest geschlossen.

„Vergeben Sie mir!“ scholl laut die Stimme der Prinzeß Helene, aber es klang nicht flehend, es klang wie befehlend.

Lothar runzelte die Stirn; er hatte Mühe, an sich zu halten, um nicht sofort hinein zu gehen.

Frau von Katzenstein kam diskret zurück. „Durchlaucht ist bei Fräulein von Gerold,“ flüsterte sie.

„Se. Hoheit haben mir befohlen, Sie um Verzeihung zu bitten, Fräulein von Gerold,“ klang es abermals da drinnen. „Ich bitte Sie also hiermit um Verzeihung. Haben Sie es gehört?“

Außer sich trat der Baron über die Schwelle des matt erleuchteten Zimmers. Ueber das weiße Mädchengesicht dort in den Kissen der Chaiselongue ergoß sich Purpurgluth, als sie ihn erblickte.

„O mein Gott!“ stammelte sie und machte eine abweisende Bewegung mit der gesunden Hand. Ein furchtbares Herzklopfen nahm ihr die Sprache.

Es hatte sie nicht befremdet, daß er hier eingedrungen; sie dachte weiter nichts, als daß jetzt ein vernichtender Schlag auf dieses trotzige Geschöpfchen fallen müsse, das da so hochmütig an ihr Lager getreten war, um auf höheren Befehl „abzubitten“.

Die Prinzessin hatte ihn nicht bemerkt; sie stand da wie die verkörperte Opposition; ihre Zerknirschung verwandelte sich, angesichts der Verhaßten, in Empörung.

„Sie wollen wohl nicht?“ fragte sie. „Ich habe nicht lange Zeit zu warten, ich muß nach Neuhaus; Mama hat Frau von Berg nach mir geschickt; ich fahre aber nicht mit ihr, ich will nicht. Ich werde Baron Gerold um seinen Wagen ersuchen. Also zum dritten Male – ich bitte Sie um Verzeihung, Fräulein von Gerold!“

„Prinzessin, ich weiß zwar nicht, wofür eine Verzeihung erbeten wird – aber von Herzen gern,“ erwiderte Claudine mit bebenden Lippen.

„Durchlaucht, auf diese Weise eine schwer Gekränkte und Leidende um Verzeihung zu bitten, ist nett,“ scholl jetzt Lothars erregte Stimme.

Die Prinzessin wandte sich wie von einem elektrischen Funken berührt. Claudinens Augen sahen mit flehender Angst zu den seinen hinüber; sie hielt den Athem an – o, sie mußte ja aus eigner Erfahrung, wie furchtbar sie wirken kann, die Gewißheit, den geliebten Mann verloren zu haben!

„Es gehört die ganze große Güte und Selbstlosigkeit meiner Braut dazu, um Ew. Durchlaucht die so eigenthümlich erbetene Verzeihung zu gewähren.“

Da war es gesprochen. Eine Todtenstille herrschte im Gemach; Claudine sah wieder jene rothe heiße Fluth vor ihren Augen. Wie? Konnte ein Mann so schonungslos verfahren mit der, die er liebte, um die er geworben seit Wochen schon? War es ein Akt der Verzweiflung, weil er sie aufgeben mußte?

Sie streckte die Hand aus. „Prinzessin,“ sagte sie matt, als wollte sie um Verzeihung bitten.

Aber die zierliche weiße Gestalt schwankte nicht, wie Claudine gefürchtet hatte; sie schüttelte das dunkle Köpfchen mit dem kurzen Gelock stolz in den Nacken zurück. „Meinen Glückwunsch,“ sprach sie kurz. Einzig in der forcirten lauten Stimme erkannte Claudine die furchtbare Erschütterung des Mädchens, dessen glühende Liebe soeben den Todesstreich empfangen hatte.

Die Prinzessin übersah die Hand, die sich ihr bot; stolz neigte sie den Kopf. „Begleiten Sie mich, Baron!“ sagte sie befehlend.

Lothar faßte statt ihrer die dargebotene Hand und führte sie an die Lippen; Claudine entzog sie ihm hastig und unwillig.

„Wozu?“ fragte sie und drehte den Kopf nach der Wand; „das ist überflüssig bei unserem Abkommen.“

Sie waren gegangen. Claudine klingelte und ließ sich bei der Nachttoilette helfen und die Lichter löschen. Frau von Katzenstein schlich behutsam durch das dämmernde Gemach dem Bette zu – es rührte sich nichts hinter den Vorhängen, die Patientin schlief wohl schon den Schlummer der Erschöpfung? Als Frau von Katzenstein aber genauer hinsah, erblickte sie das Mädchen im Bette sitzend.

„Aber, Claudine, Sie ruhen noch immer nicht?“ flüsterte die freundliche alte Dame besorgt und drückte einen Kuß auf das schöne Antlitz. „Eben erfahre ich Ihre Verlobung,“ setzte sie bewegt hinzu, „Gott segne Ihren Herzensbund, meine liebste Gerold!“ Dann ging sie still hinaus.

Claudine griff sich wild an die Stirn. „Herzensbund!“ sagte sie bitter, „welch furchtbarer Hohn!“

Sie grübelte und grämte sich bis über Mitternacht hinaus, bis sich ihre Gedanken verwirrten. Der schrecklichste Tag ihres Lebens war vorüber; was würde ihm nun noch folgen an Qual und Herzenselend?




In der Frühe des folgenden Tages ward Claudine aus schwerem bleiernen Schlaf geweckt durch einen Boten der Herzogin-Mutter, welche ihr einen köstlichen Blumenstrauß nebst einem Brillantring sandte.

Es that ihr weh, sich auf das Gestern besinnen zu müssen, und nur mit Anstrengung konnte sie sich erheben. Die Kammerfrau der Herzogin erschien, als sie eben angekleidet war, und beschied sie in das Krankenzimmer.

Mit müden Schritten trat sie über die Schwelle desselben; das ganze purpurrothe Gemach war von Sonnenglanz erfüllt, am Lager seiner Gemahlin stand der Herzog mit den kleinen Prinzen, die beiden jüngsten hielten Rosen in den Händen, der Aelteste etwas anderes, das funkelte und blitzte.

Der Herzog schritt ihr entgegen und küßte ihr die Hand.

„Nehmen Sie meinen und meiner Söhne innigsten Dank für Ihren freudigen Opfermuth,“ sprach er, indem er sie zum Bette führte; „sehen Sie selbst, gnädiges Fräulein, er hat Großes vollbracht!“

Die Herzogin streckte ihr die Hände entgegen, während der Erbprinz sich jubelnd an sie hing. „Ich habe ja immer gewußt,“ sagte er, „Sie haben Kourage, Fräulein von Gerold, und dies geben wir Ihnen, ich und mein Bruder, weil Sie Mama wieder gesund gemacht haben.“

Er reichte ihr ein kostbares Schmuckstück und die Händchen der Andern hielten ihr stumm die Rosen entgegen.

„Claudine,“ flüsterte die Herzogin.

Sie kniete in alter Gewohnheit am Bette nieder, aber der Kopf legte sich nicht wie sonst zutraulich an die Wange der Freundin; sie verharrte wie eine jener gemalten alten Beterinnen in der Schloßkirche, mit niedergeschlagenen Augen und unbeweglicher Miene. „O, warum den Dank! Ich that ja nichts,“ sagte sie.

Die Herzogin gab, von ihr ungesehen, ihrem Gemahl ein Zeichen, sich zu entfernen; leise trat er hinaus, die beiden ältesten Prinzen folgten ihm; nur das Baby blieb auf dem Bette sitzen und spielte mit den Rosen.

„Dank, Claudine, tausendfachen Dank! Und nimm auch meinen treuesten Glückwunsch zu Deiner Verlobung; ich erfuhr sie vorhin durch Mama. Es hat mich überrascht, Claudine; warum sagtest Du mir nie davon, daß Du ihn liebst?“

Claudine blieb stumm; dann erschrak sie. Wenn sie ihre Rolle so schlecht spielte, dann war ja die ganze Komödie vergeblich! Hier galt es also vor allen Dingen, sich muthig zu zeigen.

„Mir wurde es so schwer, darüber zu sprechen“ stammelte sie; „ich wußte ja nicht, ob er mich wieder liebt.“

Die Herzogin drückte ihr die Hand.

„Claudine,“ flüsterte sie, „weißt Du – der Herzog dauert mich, denn er liebt Dich!“

„Hoheit, nein!“ rief das Mädchen, „er liebt mich nicht!“

„Doch, Claudine,“ versicherte die Kranke, „sieh, ich hatte ja einen Brief von ihm in Händen – an Dich.“

Claudine fuhr empor. „Einen Brief? Ich habe nur einen von Sr. Hoheit erhalten, und der –“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 343. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_343.jpg&oldid=- (Version vom 14.5.2018)