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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

„Mein Körper brannte wie eine Esse,“ schreibt Garibaldi, „und mein Magen trocknete das Wasser, das ich unaufhörlich einschlang, wie glühendes Eisen auf. – Als sie mich losbanden, stöhnte ich nicht mehr; ich war leblos, ein todter Körper, und so legten sie mich in Ketten. Ich hatte vierundfünfzig Stunden mit gebundenen Händen und Füßen in einem Sumpfland zurückgelegt, und die Moskitos, die in dieser Jahreszeit unerträglich sind, hatten mich schrecklich zugerichtet. Und dann die Folter Millans! O, ich hatte viel gelitten, und jetzt lag ich gefesselt neben einem Meuchelmörder.

„Mein Gastfreund war eingekerkert, die Dorfbewohner in Schrecken, und ohne die Großmuth eines weiblichen Wesens wäre ich nicht mehr am Leben. Frau Alleman, ein Engel an Güte, ließ sich durch die allgemeine Furcht nicht einschüchtern und kam dem Gefolterten zu Hilfe. Dank meiner unvergleichlichen Wohlthäterin litt ich im Gefängniß keine Noth.“

Zehn Jahre später in den Kämpfen von Montevideo gegen die argentinische Republik führte der Zufall Garibaldi nebst andern Gefangenen auch diesen Millan in die Hände. Garibaldi gab seinen Peiniger frei, ohne ihn nur angeblickt zu haben, und so hoch steht er über jedem Gedanken an sich selbst und jedem Rachegefühl, daß er dieses Umstands in seinen Memoiren nicht einmal gedenkt.

Nach zwei Monaten erlangte er seine Freiheit wieder, und bald war er aufs neue im Dienste der kleinen Republik, für die er mit mehreren tapferen Landsleuten ohne Sold, nicht immer siegreich, aber immer mit abenteuerlicher Verwegenheit kämpfte. Das Ewig-Weibliche wirft seinen Zauber über diese Periode, die dem greisen Helden, noch während er seine Memoiren niederschreibt, als die glücklichste seines Lebens erscheint. Bei einem Ueberfall hält er mit seinen Getreuen zu vierzehn gegen hundertundfünfzig Mann Stand, und süßer als der Sieg ist ihm zu hören, daß die schöne Manuela, die, obwohl Braut eines Andern, von ihm mit reiner stiller Liebe geliebt wird, für sein Leben gezittert hat.

„Ja, wunderschöne Tochter des Kontinents!“[1] ruft er aus, „ich war glücklich, Dir anzugehören, gleichviel auf welche Weise! Du zum Weib eines Andern bestimmt! Mir aber bewahrte das Schicksal eine andere Brasilianerin auf – für mich die Einzige auf Erden – die ich heute beweine und mein Leben lang beweinen werde. Auch sie lernte mich im Mißgeschick, schiffbrüchig kennen, und mehr vielleicht als mein Verdienst zog sie mein Unglück an, und das Unglück vermählte sie mir auf ewig.“

In der Lagune dos Patos wurden zwei Schaluppen ausgerüstet und unter Garibaldis Oberbefehl gestellt, damit er zur See die Bewegungen der Landmacht unterstütze. Wie aber die kleine Flotte nach dem Ocean bringen, da die beiden Ausflüsse der Lagune durch starke kaiserliche Festungen vertheidigt sind? Doch Garibaldi findet Rath. Er läßt seine beiden Schiffe auf zwei Karren laden, die von je fünfundzwanzig Paar Ochsen durch das Bett eines kleinen Stromes nach dem See Tramandahy gezogen werden, der seinerseits ins Meer mündet. Nach längerem Kampf mit den Wellen gelingt es, von hier mit der Hochfluth den Ocean zu gewinnen, der den Verwegenen umsonst seine donnernde Warnung entgegenbrüllt; sie haben einen Weg hinter sich, den vor ihnen nie ein Fahrzeug gewagt hat – aber nicht zu ihrem Heil. Denn die leichte Brise, mit der sie ausschifften, verwandelte sich am zweiten Tag in tobenden Sturm und zwang die Schiffe, an der feindlichen Küste Landung zu suchen. Doch das kleinere und schwerer belastete, der „Rio Pardo“, den Garibaldi selbst befehligte, wurde von einer furchtbaren Welle quer gefaßt und umgeworfen. Garibaldi, vom Fockmast ins Meer geschleudert, verlor die Besinnung keinen Augenblick; er sammelt, was er an Rudern und treibenden Planken fassen kann, und schwimmt damit ans Schiff, um sie den Freunden zu bringen. Luigi Carniglia, der tapfere Oberbootsmann, dem Garibaldi seine Rettung aus früheren Gefahren dankte, hing hilflos an Bord geklammert, denn eine enge wasserschwere Tuchjacke machte ihm jede Bewegung unmöglich. Garibaldi sieht es und eilt zu Hilfe; mit einer Hand sich am Schiffe haltend, hat er schon mit seinem Taschenmesser den Sammetkragen abgetrennt und ist im Begriff, dem Freund die unselige Jacke vom Leib zu schneiden, als eine fürchterliche Welle über sie hereinschmettert und das Schiff mit allen, die daran hängen, in den Abgrund reißt. Garibaldi selber schoß wie ein Pfeil auf den Grund, und als er wieder auftauchte, war sein unglücklicher Freund auf immer verschwunden. Jetzt blieb auch ihm nichts übrig, als an seine eigene Rettung zu denken, und er war unter den Ersten, die das Ufer erschwammen. Aber zurückblickend sieht er seinen Jugendfreund, seinen Edoardo Mutru, der mit ihm verbannt worden und um seinetwillen über den Ocean gekommen war, ermattend mit den Wellen ringen; denn das Holzstück, das ihm Garibaldi gereicht hatte, war ihm durch die Wuth des Meeres entrissen worden. Garibaldi springt aufs neue in die Fluth. Schon ist er dem Freund nahe; durch eine Planke hofft er ihn zu retten – vergebens! Eine Welle verschlingt beide; Garibaldi arbeitet sich hervor, aber der Freund, nach welchem er verzweifelt ruft, erscheint nicht wieder.

Sechzehn seiner Gefährten theilten dasselbe Los, unter ihnen seine sechs Landsleute. Erprobte Schwimmer sind zu Grunde gegangen, und viele, die nicht schwimmen konnten, wurden gerettet! Vergebens sucht er unter den Ueberlebenden ein italienisches Gesicht, sie sind alle todt und er sieht sich allein auf der Erde. Am Strand niedergeworfen, überläßt er sich seinem Jammer, und das so mühsam gerettete Leben scheint ihm eine Last.

Wir haben diese Episode so ausführlich erzählt, weil sie auf Garibaldis Schicksal von weitestgehendem Einfluß war. Die Herzenseinsamkeit, in die ihn der Tod so vieler treuer Freunde versetzte, erweckt ihm einen Gedanken, den seine abenteuervolle Laufbahn bisher ferngehalten; ihm fehlt ein Wesen, das immer um ihn sei und sein ganzes Leben theile; er weiß, einen Freund zu gewinnen, braucht es Jahre; er aber will sogleich geliebt werden, und so beschließt er, ein Weib zu nehmen.

Einer wildschönen Blüthe der Poesie gleicht seine erste Begegnung mit Anita.

Vom Bord der „Itaparika“, die Garibaldi nach dem Schiffbruch des „Rio Pardo“ befehligte, späht er eines Tages nach dem malerischen, an einem Hügelabhang gelegenen Dorfe Barra, und durch das Fernglas erblickt er ein Mädchen, dessen Erscheinung ihn mit umwiderstehlicher Gewalt ergreift. Augenblicklich läßt er sich in dieser Richtung übersetzen, und ein Ortsbewohner, den er flüchtig kennengelernt hatte, lud ihn zu einer Tasse Kaffee in sein Haus. Beim Eintritt fiel sein erster Blick auf die Gesuchte. Es war der Blitzschlag der Leidenschaft: beide stehen sich stumm und entzückt gegenüber, als ob sie sich nicht zum ersten Male sähen, und jedes sucht in den Zügen des andern nach einer Erinnerung.

Doch lassen wir ihn selbst erzählen. „Ich grüßte sie endlich und sagte: ‚Du mußt mein sein!‘ Da ich des Portugiesischen wenig mächtig war, sprach ich die verwegenen Worte aus italienisch. Gleichviel, ich wirkte magisch in meiner Frechheit. Ich hatte einen Bund geschlossen, den nur der Tod zerreißen konnte, ich hatte einen verbotenen Schatz gefunden, aber einen Schatz von hohem Werth.

„Wenn ein Unrecht geschehen ist, so war es ganz auf meiner Seite – und es ist ein Unrecht geschehen. Ja – zwei Herzen schlossen sich in gewaltiger Liebe zusammen und die Existenz eines Unschuldigen ging darüber in Stücke. Sie ist todt, ich unglückselig, und er gerächt! Ja, gerächt! Das große Unrecht, das ich begangen, ward mir bewußt am Tage, wo ich noch in der Hoffnung, sie lebend wiederzuhaben, die Hand einer Leiche drückte und Thränen der Verzweiflung weinte. Ich habe schwer gefehlt und ich allein!“

Diese Worte haben so viele Mißverständnisse[2] hervorgerufen, daß sie einer Erklärung bedürfen: Anita war unvermählt, als Garibaldi sie auf sein Schiff entführte; sie wurde ihm in rechtmäßiger Ehe angetraut, wie die noch vorhandene Urkunde aus San Francisco d’ Assisi in Montevideo beweist, und es ist die rührende Anekdote überliefert, daß Garibaldi, der von der Regierung keinen Sold bezog, den Priester mit seiner silbernen Taschenuhr, dem einzigen Besitzthum, das er aus dem Schiffbruch gerettet hatte, bezahlen mußte. Doch der Fluch ihres Vaters, der ihr ein anderes Schicksal bestimmt hatte, folgte dem jungen Weibe in ihr neues Leben.

Von jenem Tage an ficht die brasilianische Amazone unzertrennlich an der Seite ihres Gatten, „die Schlachten sind ihr

  1. So nennt man die Provinz von Rio-Grande.
  2. Vgl. Gartenlaube S. 163 des lauf. Jahrgangs.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 348. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_348.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)