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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

rothen „Blatt“ des Hirsches, welcher „wannenbreit“ vor der Büchse steht – und da bricht mir der Schuß.

Dumpfhallend rollte das Echo über den Bergwald, während ich durch den verwehenden Pulverdampf den Hirsch mit langen, prächtig anzuschauenden Fluchten die Höhe gewinnen sah. Dort oben hielt er plötzlich inne, drehte den Grind nach allen Seiten und verschwand dann langsam hinter dem Rücken. Was war das nun für ein „Zeichen“? Es konnte das beste sein – aber auch das schlimmste. Entweder saß ihm die Kugel in der „Kammer“ – oder er war „wurzweg“ gefehlt. Das letztere konnte ich nicht glauben – der Schuß hätte mir bester und ruhiger nicht brechen können. Das sagte ich mir ein um das andere Mal vor, und dennoch stieg mir die Erregung heiß unter die Haare, während ich mein Zeug von der Erde raffte. Ein paar Minuten – und ich hatte mich durch all den Storren- und Kräuterwust bis zum Schußplatz durchgekämpft.

Aufs Blatt getroffen.

Der tiefe „Fluchtriß“ in dem moosigen Grunde bezeichnete die Stelle. Nach Schnitthaaren zu suchen, wäre bei der herrschenden Dämmerung vergebliche Mühe gewesen. Doch wenige Schritte nur brauchte ich der Fährte zu folgen, da fand ich schon den ersten Schweiß. Wie auf dem Präsentirteller bot er sich meinen suchenden Blicken – in großen Flocken lag er auf einer weißen Felsplatte. Ich bückte mich und fand ihn durchsetzt mit schaumigen Bläschen. Ein Lungenschuß also – ein Schuß, mit dem der Hirsch gewiß keine hundert Gänge weit gekommen war. In hastigem Eifer überstieg ich den Rücken – und da flog mein Hut in die Höhe, während mein lachender Mund einen jauchzenden Juhschrei in die dämmerigen Lüfte schickte. Kaum zwanzig Schritte vor meinen Füßen lag der kapitale Herr verendet im dunklen Kraut. Und welch ein Geweih! Die Zehnerstangen weit gespannt, von lichtem Braun und übersäet mit dicken Perlen.

Während ich vor dem Hirsche knieete, um die „Granen“ aus seinem Aeser zu schneiden, kam der Jagdgehilfe, den mein Schuß aus der Hütte gerufen – und an mein Waidwerk schloß sich nun das Handwerk des Jägers. Bis der Hirsch aufgebrochen, ins nahe Dickicht geschleift und mit Fichtenzweigen überdeckt worden war, hatte sich die Dämmerung zur Nacht gewandelt. Und während wir plaudernd heimwärts schritten zur Hütte, blitzten vom schwarzen Himmel nieder schon die Sterne in zahlloser Schar.

Als ich mich dann nach lustigen Stunden, in denen der steinerne Krug gar häufig den Weg zwischen Tisch und Faß gemacht, zur Ruhe streckte, vergaß ich ganz, das zerlegene Heu wie sonst frisch aufzuschütten. Und dennoch hab’ ich selten so gut geschlafen wie in dieser Nacht.




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Im Taifun.
Seenovelle von Helene Pichler.
(Schluß.)


Walter blieb allein und überdachte sein Schicksal und seine Lebenshoffnungen. Ersteres war grausam mit ihm umgegangen; vor Jahren hatte ihm der Verlust des besten Freundes und der Braut den Glauben an die Menschheit geraubt; um sich zu zerstreuen, hatte er eine Weltreise unternommen und war allmählich durch seine Beobachtungen und Erfahrungen wieder ruhig, mild und heiter geworden. Aber eine tiefere Empfindung, besonders eine solche für ein weibliches Wesen, war ihm seither fremd geblieben. Nun hatte die edle Erscheinung und eigenartige Schönheit Ellen Howards einen mächtigen Eindruck auf ihn gemacht, dem er sich vergeblich zu entziehen suchte. „Sie hat kein Herz, o, ich Thor, in jedem schönen Körper eine gleich schöne Seele zu suchen! O, ich Thor, der ich noch einmal von Glückseligkeit zu träumen wagte!“

Wohl sagte er sich das immer und immer wieder vor, aber das Schlagen seines Herzens, so oft er die schöne Feindin sah, schien gegen diese schwarzseherische Auffassung zu protestiren, und völlig unhaltbar wurde dieselbe seit einer Scene, die sich während eines kleinen Sturmes unter dem Aequator bei der Einsegelung in die Straße von Malacca ereignete und die Walter unvergeßlich geblieben war. Eine grobe See hatte das Schiff jählings in die Seite getroffen und durch den Ruck ward der auf der äußersten Kante hoch oben hangende Matrose mit weitem Bogen in die brausende See geschleudert. Unter unsäglichen Anstrengungen glückte es, den Mann aufzufischen; stumm, bleich, aus klaffender Kopfwunde blutend, lag er auf den Planken des Vorderdecks, ein Opfer seines Berufs. Da geschah etwas Unglaubliches: Ellen Howard, die wieder, von Langeweile getrieben, auf Deck gekommen war, riß den weißen Seidenshawl von ihrem Haupte, ballte ihn zusammen und preßte ihn dem quellenden Blutstrom entgegen. Alle Farbe war aus ihrem Antlitz gewichen, und als nach wenigen Augenblicken Kapitän und Steuermann mit Hilfsmitteln zur Stelle waren und ein regelrechter Verband angelegt wurde, wankte sie bebend der Kajütentreppe zu. Walter Iversen bot der Wankenden seinen Arm. Warum wollte der deutsche Mann ihr seine Hand reichen? Sie bedurfte keiner Unterstützung; kühl dankend neigte sie nur das Haupt.

In des Deutschen Gemüth aber sang und klang es und Frau Howard fragte sich im Stillen verwundert. „Warum mag der Deutsche so impertinent glücklich aussehen?“ –

Heute rollte nun der weite indische Ocean seine tiefblauen langen Wellenzüge dem „Wotan“ entgegen, welcher sie mit scharfer Brust durchschnitt. Glühend heiße Pfeile sandte das Himmelsgestirn hernieder, jedoch war die Atmosphäre nicht klar. Es lagerte vielmehr ein weißer Dunst über den Wassern, der die Sonne mit dichtem Schleier verhüllte, aber ihre Gluth zu erhöhen schien.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 381. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_381.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)