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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Dieser Maßstab wäre manchem fürstlichen Haupte gefährlich; König Ludwig aber kann ihn sich ruhig gefallen lassen; er war unter allen Umständen, auch wo er irrte und fehlte, ein nach dem Höchsten strebender Mensch, voll Begeisterung für große Zwecke, und was der Wille des einzigen Mannes in wenig Jahrzehnten bei beschränkten Mitteln geschaffen hat, das muß heute Vewunderung erwecken, ganz abgesehen von dem ästhetischen Genuß an seinen Werken selbst. Auch den bei Lebzeiten Ludwigs stets wiederholten Vorwurf, daß er die Straßen und Brücken im übrigen Königreich verfallen lasse, um München herauszuputzen, werden wir heute nicht mehr erheben. Straßen und Brücken sind inzwischen längst von andern gebaut worden; aber niemand würde heute König Ludwigs Kirchen und Museen bauen!

Der junge Prinz hatte das Glück, früh mit den Wechselfällen des menschlichen Lebens bekannt und dadurch ein selbständiger Mensch zu werden. Seine Kindheit fiel in böse Zeiten: sieben Jahre war er alt, als sein königlicher Pathe in Paris geköpft wurde, und vor den herandrängenden Sansculotten flüchtete sein Vater, Prinz Max von Zweibrücken-Birkenfeld, der künftige Thronerbe Bayerns, seine Familie nach Mannheim. Dort besuchte ein halbes Jahrhundert später der alte Ludwig noch pietätsvoll das Haus am Theaterplatz, das einst seine Kinderstube enthielt, und erging sich in Erzählungen von der höchst einfachen Kost und Kleidung, die er und seine Geschwister gehabt, sowie von der Ruthe hinterm Spiegel, welche seine Erzieherin, Demoiselle Weyland, mit Kraft und Geschicklichkeit zu führen wußte. „Ich sage Ihnen,“ schloß er seinen Bericht gegen den ihn begleitenden alten Mannheimer Verehrer, „ wir waren streng gehalten. Aber das war gerade recht. Kinder müssen eine tüchtige Zucht haben. Die Schläge meiner alten Weyland haben mir nicht geschadet, im Gegentheil.“

Und er nahm sofort eine Droschke und fuhr nach dem weit entlegenen Kirchhof, am das verfallene Grab des alten Fräuleins aufzusuchen und für Herrichtung desselben und ein schönes Gitter zu sorgen. Er dankte ihrer strengen Erziehung die große Einfachheit und Bedürfnislosigkeit, die ihn zeitlebens zu einem von seiner Umgebung unabhängigen Menschen machten.

Es ist bekannt, mit welchen Gefühlen der Jüngling nach der Thronbesteigung seines Vaters das napoleonische Joch ertrug, wie er mit den Tirolern sympathisierte, die er bekämpfen mußte, und wie in seinem Herzen das Ideal „Deutschland“ brannte, während die besten Geister unseres Volkes mit einem traurigen Weltbürgerthum sich über ihre Vaterlandslosigkeit hinwegzutäuschen suchten.

Nach Napoleons Sturze, als die Welt wieder friedlich geworden war, konnte endlich der Kronprinz einen längeren Aufenthalt in Italien nehmen, das er 1804 zum ersten Male gesehen. Schon in München hatte er mit den wenigen Gelehrten und Künstlern verkehrt, die es dort gab, und in ihrem Umgang, wie man bei Hofe glaubte, die ungraziösen Manieren und die ungestüme Lebhaftigkeit erworben, die ihm zeitlebens zu eigen blieben. In Wirklichkeit war sein selbständiger und lebhafter Geist wenig mit äußerlichen Dingen beschäftigt; er überließ die Sorge darum gern seinem schönen und graziösen Bruder Karl, der den Ruf eines vollendeten Kavaliers genoß. Ludwig war mehr als mittelgroß; er hielt sich aber vornübergebeugt und schoß im abgetragenen Böcklein eiliger auf der Straße dahin, als der Würde königlicher Majestät angemessen sein mochte. Seine Züge waren nicht unschön, die Augen hell und lebhaft; aber die stete Unruhe seines Wesens kam auch im Gesicht zum Ausdruck, das überdies in seinen späteren Jahren durch einen ziemlich starken Auswuchs auf der Stirn entstellt war. Aber eine gewinnende Erscheinung war er trotz alledem, und die liebenswürdige Wärme, die er zeigte, wenn ihn jemand interessirte, nahm die Herzen für ihn ein, besonders in jenen schönen römischen Tagen, wo er, jung und vertrauensvoll, in den Kreis hochbegabter Künstler und tüchtiger Menschen eintrat, welcher damals die eine Seite der Fremdenkolonie ausmachte, während die andere den ganzen Trümmersturz napoleonischer Herrlichkeit umfasste, Brüder, Schwestern und die alte Mutter des so unerhört Gestiegenen und Gefallenen.

In zufälligem Zusammentreffen hatten sich dort Cornelius, Veit, Overbeck, Schnorr und Schadow gefunden; Ludwig trat in ihren Kreis ein, in dem er alle fürstliche Prätension bei Seite legte und mit Geist und Humor als gleicher unter gleichen lebte. Ein sprechendes Zeugniß davon liefert heute noch ein Bild von Capel in der neuen Pinakothek, eine der höchst einfachen Kneipereien darstellend, die der lustige Kreis in der Osterie eines alten Spaniers, Don Raffael d’Anglade, abzuhalten pflegte. Die Gesellschaft sitzt in dem räucherigen Flur um einen alten Holztisch; der dicke Wirth strebt mit zwei Flaschen, so schnell es seine kurzen Beine erlauben, dem ungeduldig winkenden Kronprinzen entgegen, während der Leibarzt Ringreis seinen Trinkspruch bereits begonnen hat, und Schnorr, Klenze, Catel, der Bildhauer Wagner, wegen seiner entsetzlichen Grobheit von den Römern „il mangia-christiani“ (der Menschenfresser) genannt, mit den Kavalieren des Königs den Frutti di mare zusprechen, die auf dem ungedeckten Tisch servirt sind.

Eine Augenzeugin jener Tage, die geistvolle Henriette Herz, berichtet in ihren Erinnerungen folgende anziehende Einzelheiten:

„Eine der angenehmsten und liebenswürdigsten Erscheinungen war mir und gewiß allen der Kronprinz Ludwig von Bayern. Er, der äußerlich so Hochgestellte, welchem bei dem Alter des Königs der Thron schon winkte, war gleichwohl der Anspruchsloseste, welchen ich jemals gekannt habe … wie er denn überhaupt seiner Würde nichts zu vergeben glaubte, wenn er weder sich noch andern Zwang auferlegte, noch selbst den Prinzen kundgab. – ‚Noch zu Hause?‘ rief er mir wohl von der Straße herauf, wenn es in Rom irgend etwas Besonderes zu sehen gab … Und ein Abend, im Freundeskreis mit dem Prinzen sehr heiter verlebt, ist mir besonders im Gedächtniß. Es war bei Signora Buti, einer achtungswerthen Witwe, welche meist deutsche Künstler logirte, bei welcher auch Thorwaldsen wohnte. Es ging da in interessanter Gesellschaft sehr heiter zu, und Frau von Humboldt, eine andere Freundin und ich hatten uns einmal für den Abend anmelden lassen. Dem Kronprinzen war ein Wink davon geworden und unerwartet stellte er sich mit seinem Gefolge auch ein. Der Abend zog sich bis zwei Stunden nach Mitternacht hin. Man denke sich die bunte Zusammensetzung der Gesellschaft, vom Kronprinzen bis zu den Töchtern des Hauses, die man dem Stand der Arbeiterinnen beizählen durfte, weil sie, um der Mutter die Bürde zu erleichtern, für Geld nähten und wuschen, durch die verschiedenen Nüancen der Stände und Bildungen durch! Aber solch ein buntes Gemisch ist auch nur in dem glücklichen Süden möglich, wo Grazie, Takt und gute Sitte in der Regel auch dem Geringsten innewohnen …

Mir erschien der Prinz von solcher Vortrefflichkeit, daß ich für ihren Bestand fürchtete. Als ich in solcher Stimmung einst in seiner Begleitung die spanische Treppe heraufsteigend ihn fragte: ‚Werden Sie denn auch als König so bleiben, wie Sie setzt sind? ‘ antwortete er mir, die Schillersche Zeile parodirend:

‚Was der Jüngling verspricht, leistet der Mann auch gewiß.‘

Als dann Ludwig nach mehrmonatigem Aufenthalt wieder nach Deutschland zurückmußte, gaben ihm zu Ehren die Künstler ein großartiges Abschiedsfest im lorbeergeschmückten Saale, zu dem Cornelius und die andern die Transparente gemalt hatten. Alle Nationen waren unter den Gästen vertreten; Ludwig bewegte sich heiter und glücklich unter ihnen, tanzte mit den schönen Frauen und saß zuletzt in ihrem Kreis, während die Künstler deutsche Lieder sangen und ein unsichtbares Orchester begleitete. Der Rheinwein funkelte in den Gläsern; durch Fenster und Balkone drang die warme Nachtluft, blickte der dunkelblaue südliche Himmel mit seinen Sternen, und unter der hochgelegenen Villa breitete sich schweigend das ewige Rom aus …

Es ist wohl begreiflich, daß Ludwig für alle Zeiten seine geistige Heimath dort fühlte. Er ist im ganzen zweiundfünfzigmal in Rom gewesen.

Die Uebernahme der Regierung 1826 gab ihm endlich die Möglichkeit, seine künstlerischen Pläne in größerem Maßstabe als bisher auszuführen. Freilich war es nicht immer leicht, die dazu notwendigen Mittel zu finden; der Hofhalt war unter dem guten Vater Max zu unglaublicher Verschwendung gediehen und jede versuchte Ersparungsmaßregel verletzte liebgewordene Gewohnheiten der hohen und niederen Schmarotzer. Der Kontrast war allerdings schmerzlich für sie: Max Joseph war ein äußerst lebenslustiger Herr von bequemem Wesen, der die lascive Spaßweise des alten Frankreich, in dem er aufgewachsen, mit der Gemütlichkeit eines gut bürgerlichen Familienvaters vereinigte. Er gewährte leicht und gern und wurde deshalb aufs äußerste mißbraucht.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 402. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_402.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)