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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

mit Bäumen bepflanzt ist, den Linden an die Seite stelltet! Thiergarten bleibt Thiergarten, damit basta; hier ist immer etwas und meistens Neues zu sehen, zumal wenn auf dem endlosen Rennplatze bei Westend jenseit Charlottenburg die sonntäglichen Hindernißrennen stattfinden. Da zieht sich auf der Chaussee eine undurchdringliche Wagenkette dahin; alle Gefährte sind vertreten, von der seidenausgeschlagenen, von echtem Vollblute gezogenen fürstlichen Equipage bis zu dem berüchtigten „Hammelwagen“, der sonst zum Viehtransport dient, heute jedoch von den scherzenden und lachenden Verwandten des dicken Schlächtermeisters, der wie ein Prinz auf dem Bocke thront, besetzt ist, von der mit Offizieren in leuchtenden Uniformen geradezu besäeten, schwankenden, die Baumäste streifenden Mail-Coach bis zu der klappernden Droschke „zweiter Güte“, deren Rosinante philosophische Betrachtungen über die Entfernung zwischen Berlin und Charlottenburg anzustellen und darüber das Gehen – denn Laufen zu sagen wäre eine ungeheuerliche Uebertreibung – zu vergessen scheint. Ein menschenüberfüllter Pferdebahnwagen folgt dem andern; dichtbelebt von Reitern sind die Nebenwege, und flink wie Eidechsen schießen die Velocipedisten in ihren kleidsamen Trachten an uns vorbei. Die Mehrzahl freilich benutzt Schusters Rappen, eine sehr billige Gelegenheit zum Vorwärtsgelangen und nicht minder dazu geeignet, die vorüberhastenden Reitenden und Fahrenden zu kritisiren und zu bespötteln – man weiß ja, wie wohlfeil und kostenlos diese Waare in der deutschen Kaiserstadt ist.

Auf dem Reitweg.

Wer an diesen Tagen nicht selbst zur Rennbahn hinauspilgert, um auf seinem Fünfzigpfennigplatz sich derart sportgemäß zu benehmen, als ob er mindestens zehn Rennpferde im Stall hätte, wer nicht dem weihe- und stimmungsvollen Charlottenburger Schloßpark, in welchem uns ernst und feierlich aus dunklem Grün das Mausoleum grüßt, einen kurzen Besuch abstattet: der läßt sich den Korso, der im Frühling und Hochsommer sich den Rennen anschließt, nicht entgehen. Ein entzückendes , farbenreiches Bild bietet sich uns dann in der Hofjägerallee dar, die den Thiergarten quer durchschneidet: auf und nieder rollen die eleganten Gefährte – nur den herrschaftlichen ist die Zufuhr von der Polizei gestattet – mit ihren ebenso eleganten Besitzern und Besitzerinnen, letztere in den modernsten sommerlichen Toiletten; nebenher sprengen die Reiter und auch schlanke Amazonen; duftige Blumensträuße fliegen herüber und hinüber, und wir wetten: oft hat sie Amor gebunden und lenkt ihren Flug zum richtigen Ziel. Die Blüthe der Jugend und die Blüthe des Adels ist hier vertreten, jene Kreise, die im Winter auf dem Hofparkett zu finden sind, wohlbekannte, weitberühmte Namen, die unter den Zuschauern, welche schwarz zu beiden Seiten die Allee einsäumen, von Mund zu Munde schwirren. Dazu die flotten Weisen der in den Gebüschen aufgestellten Militärkapellen, das vergnügte Leben ringsum, der wolkenlos blaue Himmel hoch über uns – man darf sich nicht wundern, nirgends ein mürrisches Gesicht zu sehen.

Ist der Korso vorüber, sind die Wagen und Reiter verschwunden, hat das Auge sich genug gesättigt, dann kommt auch der Magen und dabei wieder vor allem der Durst zu seinem Recht. Der Hauptstrom wendet sich, ganz wie früher, den Zelten zu; man weiß zwar, daß sie schon gefüllt sind; aber man versucht es doch und findet auch sein Plätzchen in den kleinen, dicht mit Männern, Frauen, Kindern vollgepfropften Vorgärtchen. Wie das möglich ist und wie sich die Kellner mit ihren speisenbesetzten Tablets durchzudrängen vermögen, das wird selbst den aufmerksamsten Beobachtern ein Räthsel bleiben. Bricht die Dunkelheit herein, flammen im benachbarten Krollschen Garten die sich zu den niedlichsten Arabesken, Kronen und Lauben verschlingenden Illuminationsguirlanden auf, dann wird es hier leerer und die dunklen Massen wälzen sich wieder dem Brandenburger Thore zu. So mancher von ihnen hegt sicher im Innern ein stilles Dankgefühl gegen den Thiergarten, und sein abendliches Rauschen läßt die schwere Arbeit, welche die neue Woche in Fülle bringen wird, in besserem Licht erscheinen; horch, jetzt setzt auch noch der Stelzfuß dort am Damme die Kurbel seines Leierkastens in Bewegung; einige Stimmen fallen leise, schüchtern ein; andere schließen sich an und die Melodie wird von Hunderten gesurrt und gesummt, bis es ganz laut und vernehmlich im Chor erschallt: „Wer hat dich, du schöner Wald“ – und unter diesem Wald, was könnten die Berliner darunter anderes verstehen als ihren Thiergarten!

Uns, wenn wir offen sein sollen, ist er allerdings am Alltage lieber, besonders wenn mit duftigen Schwingen der Lenz nahte oder diesem mit goldiger Sonnenfluth der Sommer folgte. Dann am frühen Morgen im Thiergarten – es ist wirklich ein Stückchen reiner, frischer Natur, welches dort seinen ganzen unbeschreiblichen Zauber auf uns einwirken läßt. Die weiten Rasenflächen, die dichten Gebüsche, die Zweige und Kronen der Bäume, die Blumen, welche an vielen Stellen zu zierlichen Beeten vereint sind, schimmern von Millionen Perlen Thaus, und wenn die ersten Sonnenstrahlen darüber huschen, scheint ein Diamantenregen niedergefallen zu sein. Aus dem dichten Grün leuchten die marmornen Statuen der Königin Luise, ihres Gemahls und des Dichterkönigs Goethe, alle drei von Meisterhand geschaffen, hervor; ein kräftiger, würziger Erdgeruch umfängt uns; zitternde Reflexe fallen durch die Wipfel der mächtigen Buchen und Eichen auf die sorgsam gesäuberten Wege, über welche in munteren Sprüngen Eichhörnchen huschen, während Fink, Amsel und Drossel ihre Morgenkonzerte beginnen und von fernher die süßen Töne der Nachtigall herüberschallen. In den Straßen der Stadt ist es noch still und öde; hier aber beginnt, früher als dort, das erste Leben; mit sorgsamen Schritten nahen die Brunnentrinker, welche den vorgeschriebenen Weg mit denkbarster Genauigkeit zurücklegen, einige poetische Gemüther schwärmen ganz in dem Morgengenuß und blicken mit deutlicher Verachtung auf den schlanken jungen Künstler, der, die Skizzenmappe unter dem Arm, mit sichtlichem Behagen die bläulichen Ringel seiner Cigarre in die klare Luft hinaufsteigen läßt; mehrere junge Damen, denen wir begegnen, haben schöne, rothgebundene Bücher mit Goldschnitt unter dem Arm; verstohlen werfen sie hin und wieder einen Blick hinein, ja, es ist doch ganz anders, Heine und Lenau und Rückert hier zu lesen, als in den engen vier Wänden!

Mit jeder Stunde nimmt das Leben zu. Lange Arbeiterkolonnen, welche in entfernten Stadttheilen wohnen, durchkreuzen den Park; ihnen folgen zahlreiche Schülerscharen, dieser und jener noch einmal den Homer oder Cicero memorirend; dann wird auch das Läuten der Pferdebahnen vernehmbar, übertönt alsbald von rauschender Militärmusik, denn die Truppen ziehen zum Tempelhofer Felde hinaus. Frohes Jubeln und Scherzen erklingt aus den mit Fahnen und Bannern geschmückten Kremsern, welche die dreikäsehohen Angehörigen der unteren Klassen einer Schule zum Grunewald hinausbefördern, während zu Fuß die herangewachseneren Schüler demselben Ziele zustreben; nachdem sie längst verschwunden,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 417. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_417.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)