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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

„Nur noch Eins,“ flüsterte sie zaghaft und sah ihm bittend in das bewegte Antlitz. „Lothar, wenn Du mich liebtest, warum hast Du mit schneidenden Worten mir wehgethan, wo Du konntest, mich vor mir selber erniedrigt, daß ich fast verzweifeln wollte?“

Er blickte sie lächelnd an. „O Du Thörin, weil ich von Angst und Eifersucht gehetzt war, weil mein Herz krank war vor Sehnsucht nach Dir, und weil ich sah, was kommen mußte; weil ich die Welt kannte und ihre Schlechtigkeit und wußte, daß Du zu Boden geschmettert sein würdest, wenn sie heranbrächen über Dich, die Verleumdung, die Gemeinheit; weil Du trotziges Kind es mir so namenlos schwer machtest, über Dich zu wachen; endlich, weil Du mich nicht verstehen wolltest. – Laß, Claudine! Die Zeiten liegen hinter uns. Ich habe Dich, und ich darf Dein Wegweiser sein auf allen Pfaden von dieser Stunde an. Gottlob!“

„Gottlob!“ sprach sie ihm leise nach.

Das Pferd ging allein mit gesenktem Kopf zu den Stallungen hinüber; die beiden stiegen die Freitreppe empor, Baron Gerold öffnete die Thür.

„Tritt ein in Dein Haus, Claudine,“ sagte er bewegt, „es soll unsere Heimath bleiben, nicht die Welt da draußen – wenn Du es willst!“

Sie lachte unter Thränen: „Ob ich will? Vertraust Du mir noch immer nicht? Nichts will ich weiter auf der ganzen Welt!“




Drei Jahre sind vergangen. Im Studirzimmer Joachim von Gerolds sitzt Frau Beate, in der Dämmerung eines Winterabends und plaudert mit ihrem Gatten.

„Wo ist Elisabeth?“ fragte er.

„Aber, Schatz, Du wirst immer zerstreuter! Wo soll sie wohl sein? In Neuhaus natürlich. Sie kann doch nicht leben, ohne ihre Tante Claudine; sie bettelt so lange, bis ich sie hinunter schicke mit Heinemann. Es sei so schön in der Neuhäuser Kinderstube, und so etwas Süßes, wie Claudinens Baby, gäbe es nicht weiter. – Sie muß übrigens bald zurückkommen.“ –

„Hast Du die Zeitung heute gelesen?“ fragte sie dann. „Nein? – Nun, da hast Du viel versäumt. Höre zu, Joachim, ich will Dir erzählen: also, erstlich steht da, daß das Gerücht von der Verlobung unseres Herzogs mit Prinzeß Helene immer mehr Glaubwürdigkeit gewinne. Ich fände es übrigens ganz passend, Joachim, denn in der Kleinen steckt neben aller Launenhaftigkeit ein guter Kern. Sie hat damals in Cannes so rührend die Herzogin gepflegt, und gegen Claudine ist sie seitdem doch wahrhaft erfinderisch in Freundlichkeiten; sie möchte alles gutmachen. Ich bin überzeugt, daß es keine Passionsheirath sein würde, denn ich vermuthe, sie hat Lothar noch nicht vergessen; sie heirathet aber den Herzog, weil sie glaubt, eine Pflicht zu erfüllen.“

„Ich will es auch Sr. Hoheit wünschen,“ sagte Joachim behaglich, „es ist furchtbar öde, ein Leben ohne ein Paar freundliche Augen und eine weiche Frauenhand.“ Und er griff nach Beatens Rechten und küßte sie.

Frau Beate lacht; es ist das frische silberne Lachen, das ihn einst bethörte; jenes kurze harte Lachen hat sie verlernt. Er begreift überhaupt gar nicht, wie er sie mit ihrem kinderguten Herzen jemals als „barbarisch“ bezeichnen konnte. Er hat es ihr aber einmal gestanden, und da hat sie erst recht gelacht und gesagt. „Ich fühle mich zu weiter nichts gut als zur Wirthschaft, und Du sahst so geisteshochmüthig auf mich herunter – ich hatte Dich damals schon lieb, Dich und Deine Gedichte, hatte damals schon Durst nach allem Herrlichen, was das trockene Leben verschönt. Aber keiner wollte es mir glauben. Da ward ich ein richtiger Wirthschaftsteufel, rechthaberisch und allzustrenge.“

Ein Weilchen blickte sie wie träumend vor sich hin.

„Gottlob, das ist vorüber. Aber nun höre weiter.“ Und sie fuhr fort in ihren Neuigkeiten. „Dann steht auch noch darin, Joachim, daß Lothar Altenstein zurückgekauft hat. Der scharfsinnige Zeitungsschreiber sagt: ‚Vermuthlich wünscht Baron Gerold das alte Stammgut der Familie seinem zweiten, ihm vor einigen Monaten gebornen Sohne dereinst zu übergeben, wie wir hören, wird vor der Hand Baron Joachim von Gerold das einst ihm zugehörige Schloß bewohnen. ‘– Wie klug die Leute sind! Wir werden uns doch hüten, Joachim; – mich bringst Du nicht heraus aus dem Eulenhause, ich bin zu glücklich hier geworden.“

„Ja! Ja!“ sagte er rasch, „wir bleiben hier, Beate; wir haben ja völlig Platz, seitdem angebaut ist; und es ist so still und so friedlich. Hoffentlich denken die Neuhäuser nicht daran, das von uns zu verlangen.“

„O behüte, Joachim! Die denken an nichts als an sich selbst,“ lächelte Beate. „Aber das soll kein Vorwurf sein, wir machen es ja auch nicht besser. – Weißt Du auch, Schatz, daß heute unser Verlobungstag ist?“ plauderte sie. „Siehst Du, wie Du alles vergißt? Ja, heute sind’s zwei Jahre, da saßen wir am Bettchen Elisabeths und wußten, das schwerkranke Kind ist gerettet, es schläft den Schlummer der Genesung. Und da sprachen wir flüsternd vom Tode, vom Seelenleben und von der Unsterblichkeit. Du lasest mir das Gedicht vor, das Du auf den Tod Deiner Gattin gedichtet, und klagtest, wie einsam Du seist, nun auch Claudine gegangen, und wie verlassen das Kind, – und –“

„Und dann fragte ich Dich, Beate –“

„Und ich sagte ,ja‘.“

„Und da kam es dann auch zur Sprache, wer mir damals heimlich meine Bibliothek zurückgekauft.“

„Freilich!“ lachte sie, „ich hatte eben von jeher ein gefährliches Mitleiden mit dem Träumer, dem unpraktischsten, hilfsbedürftigsten Menschen auf Gottes weiter Welt.“ Und sie küßt ihn und nimmt ihr Schlüsselkörbchen. „Ich muß noch die alte Lindenmeyer besuchen“ entschuldigte sie ihr Fortgehen; „sie hat nach mir verlangt, und sie sitzt da so geduldig in ihrem Lehnstuhl, die gute Alte, und strickt Kinderstrümpfchen für Claudine. Diese muß wahrhaftig schon einen ganzen Scheffel voll haben.“

Und während sie hinuntergeht, fliegt die Hausthür auf und ein Kind, ein Mädchen, kommt an des alten Heinemann Hand über die Schwelle, um sich im nächsten Moment von ihm los zu reißen und jubelnd der stattlichen Frau entgegen zu fliegen. Die ist im Flur stehen geblieben und fängt das Kind lachend in ihren Armen auf.

„Wildfang!“ sagt sie mütterlich stolz und nimmt das rosige Kindergesicht zwischen ihre beiden Hände. „War’s schön bei Tante Claudine, Töchterchen? Was habt Ihr gespielt? Und war Onkel Lothar daheim?“

„Ja! Aber Onkel war böse, und Tante Claudine auch,“ sagt das Kind und sieht plötzlich ganz bekümmert zu Heinemann hinüber.

Der Alte hat seine Mütze, auf der die ersten Schneesterne des Winters leuchten, abgenommen und schwenkt sie hin und her.

„Nicht wahr, Heinemann?“ fragt die Kleine ängstlich.

Der alte Mann hatte einen ganz verschmitzten Ausdruck in den Augen.

„Grausam hat sie sich gezankt, die Herrschaft,“ bestätigt er ernsthaft und blinkt Frau Beaten zu, „und gar vor mir. Just als ich hinein kam, um unserem Kind das Mäntelchen umzuthun, weil der Schlitten vorgefahren war, sagte der Herr. ‚Du wirst das Kleid anziehen, Claudine, das ich Dir kürzlich geschenkt habe, und mit mir nach der Residenz fahren zur Hochzeit Sr. Hoheit. Ich möchte wirklich einmal probiren, ob ich noch immer eifersüchtig sein kann‘– hat er gesagt.“

„Und da,“ fiel die Kleine ein, „war Tante Claudine traurig und sagte. ‚Wie Du willst, Lothar.‘“

„Freilich!“ nickte schmunzelnd der Alte. „Und da ging’s los. – ‚Nein, wie Du willst!‘ rief der Herr Baron – ‚Nein, wie Du gesagt hast, Lothar.‘ – ‚Nein, bitte, Du hast recht, Dina, was sollen wir auch da, wir bleiben daheim.‘ – ,Wenn ich nun aber gern möchte, Lothar?‘ – ‚Das kenne ich schon, Dina, wir bleiben hier.‘“

„So haben sie sich gezankt, gnädige Frau, eine Viertelstunde lang, endlich – –“

„Nun?“ unterbrach Beate lächelnd, „und wer behielt recht?“

„Gnädige Frau, wer allemal recht behält, wenn sich ein Ehepaar zankt,“ erwiderte der Alte schelmisch. „Die Frau Baronin natürlich. Sie lassen einen schönen Gruß bestellen an die gnädige Frau, und an dem Tage, wo unser Herzog heirathet, wollten sie und der Herr Baron zu einem gemütlichen Theestündchen herüber kommen und von alten Zeiten plaudern.“



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