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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Spielplätzen und in den Gärten von Potsdam und Bornstedt das Paradies der Kindheit geschaffen, – aber nicht nur der eigenen, sondern vieler Kinder der Stadt und des Dorfes, die sie zu Spielkameraden derselben auserwählten. Von den Kinderfesten in Bornstedt erzählen alle, die dort mitgespielt haben, ja sie erzählen noch mehr: welch heiliger Ernst es dem Kronprinzen stets mit guter Volksbildung war, bethätigte er dadurch, daß er häufig die Dorfschule besuchte und den alten Lehrer Scheffler im Unterricht unterstützte; ja, als der Lehrer einmal, an das Krankenbett seiner Mutter gerufen, die Schule hätte schließen müssen, da vertrat der Kronprinz seine Stelle. Das vermochte derselbe Fürst, der zu anderer Zeit Regimenter führte und Heere befehligte. –

Zu Kaiser Friedrichs schönsten Lebenserinnerungen gehörte die Reise nach Italien zur Thronbesteigung des Königs Humbert im Januar 1878. Als nach der Krönung der König mit Gemahlin und Sohn und seinem deutschen Gaste auf dem Balkon sich dem Volke zeigte, hob der Kronprinz den kleinen Prinzen empor, nahm ihn auf den Arm, zeigte ihn so der zahllos versammelten Menge und küßte ihn. Diese einfache Herzensthat des hohen, ritterlichen Mannes erregte ungeheuern Jubel und tilgte den letzten Zug des alten „Morte ai Tedeschi!“ aus. – Und am 18. Februar erlebten die Eltern die erste Hochzeit ihrer Kinder, die der Prinzessin Charlotte mit dem Erbprinzen von Meiningen. Das war die letzte Freude dieses Jahres. Mit dem Mai brachen die Tage des Unheils an.

Am 11. Mai erlebte man in Berlin das erste Attentat auf den zweiundachtzigjährigen Kaiser Wilhelm, dem am 2. Juni Nobilings Mordanfall folgte. Die furchtbare Nachricht wurde dem Kronprinzen nach England telegraphirt, und schon am 3. Abends stand er am Schmerzenslager seines Vaters. Ein halbes Jahr nahm die Heilung der schweren Wunden in Anspruch; inzwischen führte der Kronprinz die Regierung. Während derselben fand der noch heute vielbesprochene „Berliner Kongreß“ mit dem „Berliner Frieden“ statt, hatte im Vatikan der Tod Pius’ des Neunten beim Thronwechsel Leo XIII. auf den päpstlichen Stuhl gebracht und den Kronprinzen zu einem echt kaiserlichen Brief an denselben veranlaßt. Gegen den Jahresschluß hin verabschiedete sich Prinz Heinrich von der Familie, denn er bestieg das Schiff zu einer zweijährigen Fahrt um die Erde.

Noch waren Trennungsleid und Sorge um Heinrich nicht verwunden, da sollte ein viel härterer Abschied die Familie und die Großeltern treffen: der elfjährige blühende Knabe Waldemar wurde den Seinen am 27. März 1879 durch die Diphtheritis, diese tückische Krankheit, entrissen.

Damit schien das Schicksal die schwarzen Tage des Hauses schließen zu wollen, denn am 21. Mai brachte es wieder eine erste große Freude: Prinzessin Charlotte legte das erste Enkelkind, Feodora, in die Arme der Großeltern und der Urgroßeltern, die dazu am 11. Juni ihre Goldene Hochzeit feierten, und zwar umgeben von ihren beiden Kindern, acht Enkeln und einem Urenkelchen.

Hochzeitsfeste füllen auch die nächsten Jahre aus; denn nun führte auch Friedrich Wilhelms ältester Sohn seine Braut zum Altar, und die kaiserliche Familie eilte nach Karlsruhe, um die silberne Hochzeit des großherzoglichen Paares zu feiern.

Am 18. Oktober 1881 feierte Friedrich Wilhelm seinen fünfzigsten Geburtstag, und der 6. Mai des folgenden Jahres sah zum ersten Male vier hohenzollernsche Thronfolger unter einem Dach, als Urgroßvater, Großvater und Vater an der Wiege von Prinz Wilhelms Erstgeborenem standen.

Noch in diesem Jahr war nicht nur am Hofe und in vielen Kreisen Berlins, sondern weit hinaus selbst über die Grenzen des Reichs vorgearbeitet, gerüstet und gesammelt worden für eine Hauptfeier von 1883, die Silberhochzeit des Lieblings aller Deutschen am 25. Januar. Da fiel ein schwarzer Trauerschleier mitten in all die bunte Pracht; am 22. Januar starb, nach kurzem Krankenlager, Einer, der sich so herzlich mit auf das Fest gefreut hatte, Kaiser Wilhelms ältester Bruder, Prinz Karl. Ruhte auch ein Schleier auf dem Fest, so duldete das gute Herz des Kaisers es doch nicht, daß kostspielige Vorbereitungen zum Schaden der Unternehmer vergeblich gewesen sein sollten wie z. B. das große Kostümfest, das am 8. Februar noch stattfand. Des Kronprinzen größte Freude waren die vom ganzen Reiche aus kleinsten Beiträgen gesammelten 800 000 Mark „Kronprinzenspende“ zu einem wohlthätigen Werk.

Am 17. November unternahm der unermüdliche Mann der Pflicht die große Reise nach Spanien, an den Hof des Könige Alfons XII., welcher infolge der am deutschen Kaiserhofe genossenen Ehren auf der Heimreise in Paris rohester Behandlung ausgesetzt gewesen war. Von da eilte der Kronprinz nach Rom, um dort König und Papst zu begrüßen. Welche Reihe von Erlebnissen dieses einen Mannes! Viele Einweihungen, Ehrenbesuche, Manöver, Volksfeste müssen wir unerwähnt lassen oder können nur daran erinnern, wie an die herrlichen Tage von 1886 in Elsaß und Lothringen.

Nie ist ein Tag auf deutschem Boden mit freudigerer Begeisterung gefeiert worden, als der 22. März 1887, Kaiser Wilhelms neunzigster Geburtstag. Ihn feierten die Deutschen, die der gerechte Stolz beseelte, Deutsche zu sein, als höchsten Nationalfesttag in aller Welt, und alle edlen Völker stimmten bewundernd und neidlos diesem Jubel bei.

Und doch – nur eine kurze Spanne Zeit, und das Unglück warf seinen Schatten über das Reich, immer dunkler und unheimlicher, immer drohender, bis das unerbittliche Schicksal sich vollzogen hatte. Gleich darauf erkrankte der Kronprinz, und während er in Italien weilte, starb Kaiser Wilhelm I. Der 9. März ward der erste große Trauertag des neuen deutschen Reichs – und nur ein Trauerflor war es, der bis zum zweiten, bis zum 15. Juni, dem Todestag Kaiser Friedrichs, reichte.

Was Kaiser Friedrich in den letzten Monaten seines Lebens leiden mußte und mit welchem Heldenmuth er die unaussprechlichen Qualen der heimtückischen Krankheit ertrug, das haben wir alle mit bangen Herzen miterlebt und mitgefühlt. Zu schwach sind Worte, um der Tragik der letzten Ereignisse Ausdruck zu verleihen, und wer würde auch im Stande sein, heute, wo noch der tiefste Schmerz unsere Seelen durchzuckt, die Geschichte dieses Kaiserthums niederzuschreiben? Es zählt nur nach wenigen Monaten – und doch ist es reich genug an Thaten und sogar an Kämpfen gewesen, um in der deutschen Geschichte ein ergreifendes Blatt zu füllen. So viel Trauer und so viel Liebe zugleich hat noch keine Nation empfunden wie Deutschland in diesen letzten Monaten. Möge die veredelnde Kraft von beiden im vielgeprüften Vaterlande fortwirken!

Friedrich Hofmann.     

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 446. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_446.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)