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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Gesellschaft kann sich Glück wünschen, eine so tüchtige Kraft gewonnen zu haben.“

„Nun, das ist wahrhaftig nicht das Verdienst der Gesellschaft,“ sagte Nordheim achselzuckend. „Ich habe damals, als es sich um seine Ernennung handelte, Kämpfe genug gehabt, und ihm selbst hat man seine Stellung auch so schwer gemacht, daß ein anderer vielleicht gewichen wäre. Es trat ihm ja überall die ausgesprochenste Feindseligkeit entgegen.“

„Er ist aber ziemlich schnell damit fertig geworden,“ meinte Gersdorf trocken. „Ich erinnere mich, es gab im Anfange bedenkliche Stürme von Seiten der Kollegen, die sich dieses souveräne Auftreten nicht gefallen lassen wollten, aber sie verstummten nach und nach. Ich glaube, der Herr Oberingenieur ist sehr energisch in solchen Dingen, und er hat so auch in den drei Jahren so ziemlich alles in seine Hand gebracht. Man weiß es nun nachgrade, daß er keinen über oder auch nur neben sich duldet als allenfalls den Chefingenieur, und der ist jetzt auch gänzlich auf seiner Seite.“

„Ich tadle diesen Ehrgeiz durchaus nicht,“ sagte der Präsident kühl; „wer empor will, muß sich freie Bahn schaffen. Meine Menschenkenntniß hat wieder einmal recht behalten, all dem Lärm gegenüber, der damals losbrach, als ich dem allerdings noch sehr jungen Manne die wichtige Stellung sicherte. Auch der Chefingenieur war anfangs gegen ihn eingenommen und gab nur widerwillig nach. Jetzt ist er froh, eine so unbedingte Stütze zu haben, und was nun vollends die Wolkensteiner Brücke betrifft, Elmhorsts eigenstes Werk – ich denke, damit kann er sich getrost in die erste Reihe stellen.“

„Die Brücke verspricht allerdings ein Meisterwerk zu werden,“ stimmte Gersdorf bei. „Ein kühnes, großartiges Bauwerk schon in der Anlage, es wird zweifellos der Glanzpunkt der ganzen Bahnlinie. – Es bleibt also dabei, daß ich selbst mit dem Oberingenieur spreche; ich finde ihn doch in seinem gewohnten Hôtel?“

„Nein, Sie finden ihn diesmal bei mir. Ich habe ihm die Gastfreundschaft meines Hauses angeboten.“

„Ah so!“ Ueber das Gesicht des Doktors glitt ein eigenthümliches Lächeln. Er wußte, daß Nordheim Beamte von dem Range des jungen Oberingenieurs stundenlang in seinem Vorzimmer warten ließ; diesen Elmhorst lud er als Gast in sein Haus ein. Man erzählte sich freilich noch viel erstaunlichere Dinge von seiner Vorliebe für den Mann, der von Anfang an sein Günstling gewesen war.

Der Rechtsanwalt aber ließ die Sache für diesmal auf sich beruhen; er hatte andere, wichtigere Dinge im Kopfe und verabschiedete sich etwas zerstreut und eilig von dem Präsidenten mit der Bemerkung, daß er Herrn Elmhorst sogleich aufsuchen werde. Trotzdem schien er keine besondere Eile damit zu haben; denn die Karte, welche er draußen dem Diener übergab, war für die Damen des Hauses bestimmt, bei denen er sich anmelden ließ.

Die Wohn- und Empfangsräume lagen im oberen Stockwerk, und im Salon thronte Frau von Lasberg in gewohnter feierlicher Gemessenheit. Nicht weit von ihr saß Alice; auch sie hatte sich kaum verändert in den drei Jahren. Es war noch immer die zarte, blasse Erscheinung, mit dem müden, theilnahmlosen Ausdruck in den anmuthigen Zügen, die „Treibhauspflanze“, die ängstlich vor jedem rauhen Luftzuge behütet wurde und ein Gegenstand fortwährender Sorge und Schonung für ihre Umgebung war. Ihre Gesundheit schien sich allerdings etwas mehr befestigt zu haben; aber es lag auch nicht ein Hauch von Jugendfrische und Jugendfreude auf dem farblosen Antlitz.

Die junge Dame, welche neben der Baronin Lasberg saß, hatte um so mehr davon. Es war eine kleine, zierliche Gestalt, der die dunkelblaue Straßentoilette mit dem pelzbesetzten Jäckchen allerliebst stand. Unter dem blauen Sammethute blickte ein reizendes, rosiges Gesichtchen hervor, mit dunklen, muthwillig blitzenden Augen, und eine Fülle von schwarzen Ringellöckchen krauste sich über der Stirn. Dazu lachte und plauderte der kleine Mund unaufhörlich; das etwa achtzehnjährige Mädchen war von übersprudelnder Lebhaftigkeit.

„Wie schade, daß Erna ausgegangen ist!“ rief sie. „Ich hatte etwas Wichtiges mit ihr zu besprechen; aber Du erfährst keine Silbe davon, Alice; es handelt sich um eine Ueberraschung zu Deinem Geburtstage. Es wird doch hoffentlich getanzt bei dem Feste?“

„Ich glaube kaum,“ sagte Alice gleichgültig; „wir sind ja schon im März.“

„Aber noch mitten im Winter! Heut morgen hat es geschneit, und tanzen kann man überhaupt immer!“ versicherte die junge Dame, und dabei geriethen ihre Füßchen in eine eigenthümlich zuckende Bewegung, als wolle sie gleich auf der Stelle den Beweis davon liefern. Frau von Lasberg sandte den vorwitzigen kleinen Füßen einen strafenden Blick zu und bemerkte kühl:

„Ich glaube, Sie haben in diesem Winter sehr viel getanzt, Baroneß Wally.“

„Aber noch lange nicht genug!“ erklärte die kleine Baroneß. „Wie bedauere ich die arme Alice, der das Tanzen verboten ist! Man will doch seine Jugend genießen, und wenn man heirathet, ist es ohnehin vorbei damit. ‚Ehe bringt Wehe!‘ pflegte unsere alte Kinderfrau immer zu sagen, und dann weinte sie regelmäßig und sprach von ihrem Seligen. Eine schlimme Prophezeiung! Glaubst Du auch daran, Alice?“

„Alice giebt sich schwerlich mit solchen Gedanken ab,“ sagte die alte Dame zurechtweisend. „Ich muß Ihnen überhaupt gestehen, liebe Wally, daß ich dieses Thema unpassend finde.“

„O!“ rief Wally, „finden Sie das Heirathen auch unpassend, gnädige Frau?“

„Wenn es mit Zustimmung und Billigung der Eltern, mit Beobachtung aller nöthigen Rücksichten geschieht – nein.“

„Dann ist es aber meist sehr langweilig!“ platzte die junge Baroneß heraus und erweckte damit sogar Alice aus ihrer Theilnahmlosigkeit.

„Aber Wally!“ mahnte sie vorwurfsvoll.

„Baroneß Ernsthausen scherzt selbstverständlich,“ sagte Frau von Lasberg mit einem vernichtenden Blick; „aber selbst solche Scherze sind nicht zu billigen. Eine junge Dame kann nicht vorsichtig genug sein in ihren Aeußerungen und ihrem Benehmen; die Gesellschaft ist leider sehr zu Klatschereien geneigt.“

Die Worte mochten wohl irgend eine geheime Beziehung haben; denn um die Lippen Wallys zuckte es, als unterdrücke sie das Lachen; aber sie entgegnete mit der unschuldigsten Miene:

„Da haben Sie vollkommen recht, gnädige Frau. Denken Sie nur, im vergangenen Sommer hat die ganze Badegesellschaft von Heilborn über die häufigen Besuche des Herrn Oberingenieur Elmhorst geklatscht. Er kam allerdings fast in jeder Woche –“

„Zu dem Herrn Präsidenten,“ schnitt ihr die alte Dame das Wort ab. „Herr Elmhorst hatte die Pläne und Zeichnungen für die neue Gebirgsvilla entworfen und leitete selbst den Bau; da war eine häufige Rücksprache unerläßlich.“

„Ja, das wußte alle Welt, aber man klatschte doch! Man hielt sich an die Blumenspenden und die sonstigen Liebenswürdigkeiten des Herrn Baumeisters und meinte –“

„Baroneß, ich muß Sie wirklich bitten, uns mit derartigen Berichten zu verschonen,“ unterbrach sie Frau von Lasberg, indem sie sich in zürnender Majestät aufrichtete. Die vorlaute junge Dame hätte wahrscheinlich noch eine längere Strafpredigt erhalten, wenn nicht ist diesem Augenblick der Diener eingetreten wäre und gemeldet hätte, daß der Wagen vorgefahren sei. Die Baronin erhob sich und wandte sich zu Alice.

„Ich muß in die Sitzung des Frauenvereins, mein Kind, Du darfst heut selbstverständlich nicht ausfahren bei dieser rauhen Luft. Du scheinst überhaupt etwas angegriffen zu sein, und ich fürchte –“

Ein sehr bezeichneter Blick ergänzte die Worte und gab das dringende Verlangen nach einer baldigen Entfernung des Besuches kund, aber leider vergebens.

„Ich bleibe bei Alice und leiste ihr Gesellschaft,“ versicherte Wally, mit der liebenswürdigsten Bereitwilligkeit. „Sie können ganz ohne Sorge sein, gnädige Frau.“

Die gnädige Frau preßte in gelinder Verzweiflung die Lippen zusammen; aber sie wußte aus Erfahrung, daß dies enfant terrible nicht fortzubringen war, wenn es sich einmal in den Kopf gesetzt hatte zu bleiben; sie küßte deshalb Alice auf die Stirn, neigte das Haupt gegen deren junge Freundin und nahm einen würdevollen Abgang.

Kaum hatte sich die Thür hinter ihr geschlossen, so flog Wally wie ein Gummiball in die Höhe.

„Gott sei Dank, daß sie fort ist, Deine allergnädigste Frau Oberhofmeisterin! Ich habe Dir etwas anzuvertrauen, Alice, etwas unendlich Wichtiges; das heißt, eigentlich wollte ich Erna ins Vertrauen ziehen, aber sie ist ja leider nicht da, also

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 454. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_454.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)