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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

holdesten Liebesschein zu ihm aufsahen. Fritz, Mensch – das war der schönste Moment meines Lebens! Nein, einer war noch schöner.

„Hildegard!“ schallte die Stimme der Tante jenseit der Biegung, und Hildegard wand sich los, hochathmend, glühend, und hielt die Händchen vors Gesicht. „Die Tante merkt’s!“ flüsterte sie – und wir gingen schnell hinterher. Die Tante merkte nichts; aber Aennchen machte lächelnd eine allerliebste Grimasse.

Und eine selige Zeit fing an. Erinnere dich der Mittagsstraßenbummel, wie’s da in der Hauptstraße von Studenten aller Farben schwärmte. Siehst du sie nicht noch oben im Fenster am Eckhaus zum Markt, die beiden reizenden Mädchenköpfe; und schaust du das Schwesterpaar nicht, wie es daherwandelte im Schloßgarten in der Abendkühle? Da stand, ganz verborgen, eine Bank unter und zwischen süß duftendem Jasmingesträuch; da hielt ich wohl an manchem Abend eine kurze prächtige Viertelstunde lang zwei kleine, weiche Händchen und sah, oft stumm vor Glück, in ein liebliches Blumengesicht. Das Glück ruhte dann aus bei uns auf seiner rastlosen Fahrt durch die Welt. „Und Du kannst noch zehn Jahre warten – zehn Jahre sind bald herum!“ sang sie leise vor meinem Ohr. Ja, was waren uns zehn Jahre? Wozu eigentlich überhaupt heirathen? Waren wir nicht selig genug? – Ja, dann konnten wir freilich immer beisammen sein und brauchten nicht auf den Schlag der Thurmuhr ängstlich zu horchen. „O wenn Papa das wüßte!“ hauchte sie wohl – „er ist auf die Studenten gar nicht gut zu sprechen! Sei nur recht fleißig, daß wir uns bald verloben können!“ – Wir waren beide reinen Herzens und darum waren wir auch so selig. – Eine Mama war nicht mehr im Hause; Hildegard ging selbst in reizender Wichtigkeit mit dem klirrenden Schlüsselbund am Schürzenband über den Flur, wenn ich bei dem alten Herrn Kirchenrath, der über ihnen wohnte, meine Korrekturbogen ablieferte. Nöthig hatte ich es im Grunde nicht, Korrekturen zu lesen; weshalb that ich es wohl? Um einen lächelnden Gruß, einen feurigen Blick, einen schnellen, verstohlenen Kuß zu erhaschen! – Aber Liebe und Korrektur und Kneipe, sie hielten mich nicht vom Arbeiten ab. Im Gegentheil, die süße, stille, verschwiegene Leidenschaft für Hildegard war mir wie ein Leitstern durch alle Fährlichkeiten und Verlockungen des Lebens. „Du bist für ihr Leben mit verantwortlich!“ das stand überall geschrieben, wohin mein Blick geleitet wurde. „Mein eigen soll sie sein – keines andern mehr als meins – und so leben wir in Freud und Leid, bis uns Gott der Herr auseinander scheid’t!“ sang ich still in mich hinein über dem Corpus juris. – Es sollte bald genug zum Scheiden gehen!

Du erinnerst dich des großen Kellerfestes am Schluß des Sommersemesters und des Auszugs dorthin nach dem Festmahl im „Goldenen Löwen“, weißt noch, wie stolz wir drei Renommirfüchse, der Senden, du und ich, zu Pferd stiegen, als der Zug sich ordnete und wir in großem Wichs, den Schläger in der Faust, hinter der Musik dreinritten an der Spitze all der braven ritterlichen Gesellen; hinter uns die Fahne und die Chargirten? Wie ließ ich meinen Schimmel steigen, und wie fühlt’ ich mich frei und groß, nach dem alten Liede: „In seinem Arm wohnt Riesenkraft – und Freiheit ist sein Los!“ Aber ein anderes Lied sollte es mir anthun! Auf den Bürgersteigen stand wohlgefällig lächelnd der Philister Schar; aus den Fenstern schaute es Kopf an Kopf – war manch lieb Gesicht darunter! – aber das liebste auf Erden neigte sich dort in dem hohen Eckhaus heraus, lächelnd, bethörend. Warum mußte die Musik auch gerade, als wir dicht daran waren, anstimmen:

„Es ritten drei Reiter zum Thore hinaus – ade!
Feinsliebchen die schaute zum Fenster hinaus – ade!“

Und droben, da winkte sie, von der ich glückseliger Bursch kein Auge verwandte, mit dem Tüchlein – und wie ich unten so vorbeiritt, entfiel es ihrer Hand und flatterte herab. Da gab ich dem Schimmel die Sporen, daß er steil aufbäumte, und riß ihn an der Kandare herum, daß er mit mächtigem Satz zu Seite und fast in die gaffende, aufkreischende Menge hineinsprang; und ehe noch das Tuch zur Erde kam, hatte ich es aufgefangen mit der Spitze des Speers und barg es, die Zügel lassend, an meiner Brust, den Schläger senkend zum Gruß vor der lieblichen Mädchenblüthe – und dann euch nach, wie das Wetter! Es war ein gutes Reiterstückchen, geübt im Rausch der Jugend und der ersten Liebe – aber es sollte mir und ihr verderblich werden.

Als die Gäste angefahren kamen und ich an ihrem Wagen stand, in dem sie mit Aennchen und ihrem Vater saß, da blickte sie mich traurig an, und ich meinte, die sonst so klaren Augen schauten trübe und verweint. Kalt und vornehm grüßte mich der Vater und hob selbst sein Töchterlein hinaus. Wohl durfte er es mir nicht wehren, daß ich nach altem Festbrauch und Burschenrecht ihr den Arm bot; aber sie ging still, den Blick gesenkt, neben mir her. Auf Schritt und Tritt folgte uns der alte Herr, und als ich sie zu ihrem Sitz geführt hatte, von wo sie dem Festspiel zuschauen sollten, da sagte er laut, daß ich’s hören mußte. „Also, Hildegard, denk’ daran, daß Du unter keinen Umständen tanzen darfst. Ich hab’ es Dir als Arzt verboten!“ Ein kurzer, stummer Blick traf mich, der mir sagte: „Warum hast Du das gethan! Nun ist unser Geheimniß verrathen und alles vorbei!“

Und auch für mich war alle Festfreude dahin. Wie die Brüder auch ihr Bestes thaten und zündender Witz raketengleich von der luftigen Bühne sprühte und wie sie da unten lachten und jubelten – ich sah nur sie, und sie lachte nicht! Wie war da für mich der frohe Tag so sonnenleer geworden! Und erst als die Paare zum Tanz sich reihten und der Sanitätsrath würdevoll seinen Wagen bestellte, da bäumte mein Herz sich auf in grimmigem Leid. Kein Wort hatte ich mit ihr reden können, und ich hatte soviel, soviel im Sinn gehabt! Sie dankte leise und befangen aus dem Wagen, und es zuckte um die rothen Lippen in verhaltenem Weinen. Dann fuhren sie ab. Aennchen, auf dem Rücksitz, sah auch nicht heiter aus. Sie schüttelte kaum bemerkbar den Kopf nach mir hin, als wollte sie sagen „Vorbei!“

Und es war vorbei. Ein einziges Mal noch sah ich sie, auf dem Flur, als ich zu meinem Kirchenrath stieg. Da huschte sie aus der Küche und warf sich stürmisch, eilig, wortlos in meine Arme; heiß brannte ihr Kuß auf meinen Lippen, und verschwunden war sie wieder. Ich stieg wie ein Trunkener die Treppe hinauf und mag tolles Zeug genug da oben im Studirzimmer des alten, trefflichen Herrn geredet haben; denn er blickte mir kopfschüttelnd zuletzt ins Gesicht und sagte milde: „Ein anderes Mal, mein Lieber! Sie sind heute zu aufgeregt!“

Ich mußte auf Ferien gehen, ohne sie wieder gesehen zu haben. Mir war gräulich zu Muth. Da drängte sich auf dem Bahnhof, gerade wie ich in den Wagen steigen wollte, ein zerlumptes Büblein an mich heran, schob mir etwas in die Hand und verschwand in der Menge. Es war ein kleiner, duftiger Briefumschlag, den ich hielt, und drin lag ihr Bild. Hildegards Gesicht schaute mich daraus an! Auf der Rückseite stand geschrieben: „Lebewohl und behalte mich lieb!“ – So reiste ich ab, freudevoll und leidvoll. Mein Herz und mein Denken ließ ich da zurück.

So weit weißt du alles. Was nun kommt, das weißt du nicht. Du kamst nicht zurück im Wintersemester. Deines Vaters Tod hatte alles für dich geändert, und das war mir schon Leides genug. Wir beide haben uns seitdem von Angesicht nicht wieder gesehen! Und als ich in einer dunklen, regnerischen Oktobernacht zum ersten Mal wieder vom Bahnhof durch die stillen Straßen meiner Bude zuwanderte, da fror’s mich bis ins Herz hinein. Und was ich dann erfuhr, zerstörte meinen wonnigen Jugendtraum bis auf den Grund. Hildegard war fortgeschickt mit ihrer Schwester! Endlich, nach langem Forschen brachte ich heraus, daß sie in oder bei Leipzig sich aufhalten sollte. Ich wagte es, einen Brief auf gut Glück an sie abzuschicken. Es dauerte nicht lange, da brachte der Laufjunge des Sanitätsraths ihn mir unter Umschlag auf die Bude.

„Meine Tochter bittet dringend, sie nicht zu belästigen!“ stand auf einem dabei liegenden Zettel.

Nun gab’s zwei Wege für mich: entweder konnte ich nun verlumpen oder ich konnte, statt im tollen Leben, meinen Kummer – und er saß tief! – durch Arbeit betäuben. Ich fiel zunächst auf den ersten Weg. Ich wurde ein wilder Geselle, ein Kneipgenie und ein böser Raufbold. Wenn die Klingen gebunden waren und wenn tosender Gesang und tobende Lust die Kneipe durchbrauste, dann wurde es mir erst wohl. Da rettete mich ein gutes Wort, das ich irgendwo in einer wüsten Stunde las: „Wer ein Lump wird, weil er ein Mädchen nicht bekommen hat, der wäre es höchst wahrscheinlich auch geworden wenn er sie bekommen hätte!“

Das schlug durch! Hildegard einen Lumpen zum Mann? Nein! Und von Stund an kehrte ich um. Ich konnte es noch.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 463. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_463.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)