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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

großstädtische Leben gewöhnt und Du wirst auch nichts dagegen einzuwenden haben.“

„Gewiß nicht, Papa,“ versicherte Wolfgang. „Ich liebe es sehr, im Mittelpunkte dieses großartigen Lebens und Treibens zu stehen, es vertrug sich bisher nur nicht mit meinen Berufspflichten. Daß es in Zukunft möglich sein wird, sehe ich freilich an Deinem Beispiel. Du leitest ja von hier aus Deine sämmtlichen Unternehmungen.“

„Diese Thätigkeit fängt aber nachgerade an, erdrückend zu werden,“ versetzte Nordheim. „Ich habe es in der letzten Zeit doch gefühlt, daß ich einer Stütze bedarf, und rechne darauf, daß Du mich theilweise entlastest. Vorläufig bist Du allerdings noch unentbehrlich bei Vollendung der Bahnlinie; der Chefingenieur mit seiner zunehmenden Kränklichkeit giebt ja eigentlich nur den Namen her für die oberste Leitung.“

„Ja, sie ruht tatsächlich in meinen Händen, und wenn er ganz zurücktritt – ich weiß, daß er ernstlich mit dem Gedanken umgeht – so habe ich Dein Wort, Papa, daß ich sein Nachfolger werde.“

„Gewiß, und ich denke, diesmal wird man mir keine Schwierigkeiten dabei machen. Es ist freilich wohl das erste Mal, daß ein Mann in Deinen Jahren an die Spitze eines solchen Unternehmens gestellt wird; aber Du leistest mit der Wolkensteiner Brücke Dein Probestück, und meinem künftigen Schwiegersohne darf man die erste Stellung überhaupt nicht verweigern.“

„Du giebst mir viel mit diesem Familienbande, Papa, ich weiß es,“ sagte Elmhorst ernst, „unendlich viel – ich kann Dir nur einen Sohn dafür geben.“

Die Augen des Präsidenten ruhten nachdenklich auf dem Antlitz des Sprechenden, und mit einem Anflug von Wärme, der bei dem kühlen Geschäftsmann äußerst selten war, entgegnete er:

„Ich hatte einen einzigen Sohn, an den sich all meine Pläne und Hoffnungen knüpften; er starb schon im Kindesalter und es ist mir oft ein bitterer Gedanke gewesen, daß irgend ein vornehmer Nichtsthuer die Früchte meiner Arbeit ernten und vergeuden könne, wo ich gesammelt habe. Zu Dir habe ich ein besseres Vertrauen; Du wirst fortführen und erhalten, was ich schuf, wirst vollenden, was ich vielleicht unfertig zurücklassen muß; in Deine Hände kann ich dereinst auch mein geistiges Erbe legen.“

„Und ich werde es zu wahren wissen,“ ergänzte Wolfgang mit einem festen Händedruck, der ebenso erwidert wurde. Es fanden sich ja hier zwei durchaus gleichartige Naturen zusammen; aber es war doch ein merkwürdiges Gespräch bei der Verlobungsfeier in Erwartung der jungen Braut. Die beiden sprachen ausschließlich von ihren Angelegenheiten und Plänen; Alice wurde dabei gar nicht erwähnt. Der Vater forderte alles Mögliche von seinem künftigen Schwiegersohn; das Glück seiner Tochter zu fordern fiel ihm nicht ein, und der Bräutigam, der so klar die Vorteile dieses „Familienbandes“ erkannte, nannte nicht einmal den Namen seiner Braut. Sie redeten von Bauten und Brücken, von dem Chefingenieur und der Bahngesellschaft, so kühl und geschäftsmäßig, als ob es sich um eine Kompagnonschaft handelte, die heute zwischen ihnen abgeschlossen wurde, und im Grunde war es so auch nichts anderes; sie hätten beide die Verwandtschaft dabei entbehren können. Die Herren wurden aber jetzt unterbrochen; es trat ein Diener heran, um den Befehl des Präsidenten bei einer Anordnung der Tafel zu erbitten, und Nordheim fand es für nöthig, selbst in den Speisesaal zu gehen, um die Entscheidung an Ort und Stelle zu treffen.

Es war noch zu früh für die Ankunft der Gäste und auch die Damen des Hauses zeigten sich noch nicht. Die Diener waren bei der Tafel beschäftigt oder schon auf ihren Posten in den Vorzimmern und Wolfgang befand sich augenblicklich allein in den Gesellschaftsräumen, welche das ganze oberste Stockwerk des Hauses einnahmen.

Von dem großen Empfangssaal, mit seinen purpurfarbenen Tapeten und Sammetvorhängen, zwischen denen überall die reichste Vergoldung blitzte, übersah man die ganze Flucht dieser Räume, eine Reihe von Gemächern, deren Pracht gerade jetzt, wo sie noch leer und einsam waren, um so blendender hervortrat. Ueberall eine verschwenderische Fülle von kostbaren Gegenständen; überall Gemälde, Statuen und sonstige Kunstwerke, von denen jedes einzelne ein kleines Vermögen gekostet hatte, und am Ende der langen Zimmerreihe, wie ein märchenhafter Abschluß all dieses Glanzes, der nur matt erhellte Wintergarten, der eine exotische Pflanzenwelt von seltener Pracht barg. In der nächsten Stunde füllten sich diese lichtstrahlenden blumendurchdufteten Säle mit den ersten Persönlichkeiten der Residenzgesellschaft, die sämmtlich im Hause des Eisenbahnfürsten verkehrten.

Wolfgang stand regungslos da und ließ seine Blicke langsam umherschweifen. Es war in der That ein berauschendes Gefühl, sich als Sohn dieses Hauses zu wissen, als dereinstiger Erbe all dieser Herrlichkeit. Man konnte es dem jungen Manne nicht verdenken, daß seine Brust sich stolzer hob und seine Augen triumphirender aufblitzten. Er hatte das Wort gelöst, das er sich selbst gegeben, und den kühnen Plan verwirklicht, den er einst dem Freunde anvertraute; er hatte den Flug gewagt und die Höhe erreicht. In dem Alter, wo andere erst anfangen, sich ihre Zukunft zu erbauen, riß er sie mit einem kühnen Griffe vollendet an sich. Jetzt stand er droben auf dem einst erträumten Gipfel, und sie nahm sich schön aus, die Welt, die da unten zu seinen Füßen lag.

Da wurde die Thür des Saales geöffnet; Elmhorst wandte sich um und that einige Schritte dorthin, blieb aber plötzlich stehen; denn statt seiner Braut, die erwartet wurde, trat Erna von Thurgau ein. Sie sah jetzt freilich anders aus, als damals, wo sie mit dem verirrten Bergwanderer an den Abhängen des Wolkenstein zusammentraf. Das ungestüme Kind, das in seinen Bergen so frei und fessellos aufgewachsen war, hatte nicht umsonst drei Jahre in dem vornehmen Hause des Onkels gelebt und die „Dressur“ der Frau von Lasberg über sich ergehen lassen.

Die kleine Alpenrose hatte sich in eine junge Dame verwandelt, die mit vollendeter Grazie, aber auch mit vollendeter Förmlichkeit, die Verneigung Wolfgangs erwiderte; aber schön war sie geworden, blendend schön!

Die einst so kindlichen Züge hatten sich zur vollsten Regelmäßigkeit entwickelt; sie blühten auch jetzt noch in rosiger Frische; aber es lag ein Hauch von Ernst und Kälte darauf, den das frohe, übermüthige Kind des Freiherrn von Thurgau nie gekannt hatte, und auch die Augen leuchteten nicht mehr in unbekümmerter, lachender Jugendlust. Jetzt barg sich etwas anderes in diesen feuchten schimmernden Tiefen, rätselhaft wie die Fluthen der heimischen Bergseen, von denen sie ihre Farbe entlehnten, und geheimnißvoll und mächtig anziehend wie diese Fluth selbst. Jedenfalls war es eine hohe stolze Erscheinung, die da im blendenden Glanze des Kronleuchters stand, in dem duftigen weißen Gewande, das nur einzelne Seerosen schmückten. Den gleichen Schmuck trug das Haar, das freilich nicht mehr in wilden Locken um die Stirn flatterte; aber die Mode erlaubte ihm doch, seine ganze Fülle zu zeigen, und die mattschimmernde weiße Blume lag wie hingestreut in den blonden Haarwellen.

„Alice und Frau von Lasberg werden sogleich erscheinen,“ sagte sie, vollends in den Saal tretend. „Ich glaubte, der Onkel sei schon hier.“

„Er ist augenblicklich im Speisesaale,“ versetzte Elmhorst, dessen Begrüßung ebenso förmlich gewesen war wie die ihrige.

Erna machte eine Bewegung, als wolle sie dem Präsidenten dorthin folgen; es schien ihr aber doch einzufallen, daß dies eine Unhöflichkeit gegen den nunmehrigen Verwandten sei; sie blieb stehen und sandte einen prüfenden Blick durch die lange Zimmerreihe.

„Sie sehen die Festräume ja wohl zum ersten Male in ihrem vollen Glanze, Herr Elmhorst? Sie sind schön, nicht wahr?“

„Sehr schön! Und wenn man, wie ich, aus der winterlichen Einsamkeit der Berge kommt, machen sie einen geradezu blendenden Eindruck.“

„Mich hat es auch geblendet, als ich hierherkam,“ sagte die junge Dame gleichgültig; „aber man gewöhnt sich sehr leicht an derartige Umgebungen; die Erfahrung werden Sie auch machen, wenn Sie Ihren künftigen Wohnsitz hier nehmen. Es bleibt also dabei, daß Ihre Vermählung mit Alice erst in einem Jahre gefeiert wird?“

„Allerdings – im nächsten Frühjahr.“

„Das ist ein etwas langer Termin. Sind Sie wirklich damit einverstanden?“

Dem Bräutigam schien merkwürdigerweise dies Gespräch über seine Vermählung lästig zu sein. Er betrachtete angelegentlich eine große Majolikavase, die in seiner Nähe stand, und erwiderte, offenbar bestrebt, auf ein anderes Thema überzugehen:

„Ich muß es wohl sein, da ich vorläufig weder über meine Zeit, noch über meinen Aufenthalt frei verfügen kann. Es handelt sich zunächst um die Vollendung der Gebirgsbahn, deren Oberingenieur ich bin.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 471. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_471.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)