Seite:Die Gartenlaube (1888) 480.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

bekannten kleinen Oper: es war ein Potpourri von Studentenliedern, und ich sang innerlich die bekannten flotten Melodien mit.

„Vivant omnes virgines
Faciles, formosae!“

klang es gerade jetzt zu den Flöten und Fagotts in meinen zum Leben erwachenden Herzen nach. Jetzt fingen hier und da die Schaumweinpfropfen an zu knallen. Ich winkte dem Kellner – er stellte eine halbe Flasche kühlen Sekt vor mich hin und zwei Gläser. Wiebke schrie beinahe leise auf vor Freude:

„Champagner?“ sagte sie und legte die Hand auf meinen Arm – „nein, wie soll ich Ihnen so viel Freundlichkeit danken? Den habe ich noch nie getrunken!“

Der Trank brauste auf in den Kelchen. „Nun schnell, Wiebke, eh der Geist noch verduftet!“ Klingend neigten sie sich gegen einander; sie sah mir tief in die Augen; dann den blonden Kopf in den Nacken beugend, schlürfte sie auf einen Zug den schäumenden Wein, und, ein wenig seitlich im Stuhl gelehnt, das glückliche Gesicht mir voll zugekehrt, hielt sie mit berückendem Lächeln das leere Glas gegen mich hin, ein wahres Bild von Jugendlust. – Mein Herz schwoll, wie ich meinen Blick tief in ihren senkte – (Du siehst, Fritz, ich bin ehrlich!) „Noch fünf Wochen mit dem reizenden, gefährlichen Geschöpf zusammen“ zog es mir durch den Sinn mit bethörendem Klang –

„Es ritten drei Reiter zum Thore hinaus, ade –
Feinsliebchen, die schaute zum Fenster hinaus – ade!“

schallte es da von oben plötzlich, kräftig, im alten, herrlichen, unvergessenen Ton in meinen Traum hinein mit Zinken und Trompeten. – Ich senkte den Kopf und stützte ihn in die Hand – welche Fluth von Erinnerungen strömte bei der Weise mit einem Male auf mich ein!

„Was ist Ihnen?“ hörte ich Wiebke fragen, und wieder fühlte ich ihre Hand auf meinem Arm. Das Haus an der Marktecke – das flatternde Tuch – etwas wie brennendes Heimweh glomm in meinem Herzen auf – seufzend hob ich das Gesicht; neben mir hatte mein blondbärtiger Nachbar sein Glas umgestoßen; ich blickte zur Seite und – sah in Hildegards Gesicht! – Ich sah und sah und sah – das war sie! Und sie sah mich an, blaß, ernst, aus großen blauen Augen – kannte sie auch mich? kannte sie mich nicht? Kein Lächeln auf ihren Lippen, kein Gruß in ihrem Blick – jetzt schaute sie fremd und kalt weg und sagte ein Wort zu ihrem Nachbar; er stand auf, bot ihr den Arm, und sie gingen; der alte Herr und eine weißhaarige Frau folgten ihnen und ich starrte ihnen nach.

„Aber, Herr Amtsrichter!“ sprach Wiebkes weiche Stimme, bittend, ängstlich, bestürzt, und ihre Fingerspitzen berührten meine Hand – ich fuhr herum. „Was ist Ihnen? Um Himmelswillen, Sie sind ja weiß wie die Wand!“

Ich griff willenlos nach der Flasche; was spielten sie jetzt da oben? War das nicht „Es steht ein Baum im Odenwald? Jawohl:

„Und als ich wied’rum kam zu ihr,
Verdorret war der Baum;
Ein and’rer Liebster saß bei ihr –
Jawohl, es war ein Traum!“

Ich goß uns ein und stieß mit ihr an und sah sie an, ohne zu trinken; wunderbar, hatte ich die so hübsch gefunden? Nimm das bißchen Jugend aus ihrem Gesicht fort, und was bleibt ihr? Sie setzte das Glas nieder: „Sie denken schlecht von mir!“ sagte sie leise.

Mir that das Herz weh.

„Wiebke – wie kommen Sie auf solchen Gedanken? Ich habe Sie sehr lieb!“

Vor fünf Minuten hätte uns das Wort zusammengeführt. Jetzt stand sie auf und sagte mit zuckenden Lippen:

„Herr Amtsrichter, wollen wir gehen? Ich glaube, die Leute sehen uns an!“

Ich hatte nicht den Muth, ihr den Arm zu reichen. Stumm ging sie neben mir her.

„Wann müssen wir fort?“ fragte ich.

„In einer guten Stunde. Bitte, erwarten Sie mich dort in der Glasveranda; ich muß noch zu meiner Tante!“ Ich reichte ihr die Hand. Sie legte die ihre hinein, aber ohne Druck, und es glomm etwas auf in ihrem Auge, wofür ich keinen Namen fand – und doch war kein Leben in diesem Blick, wie’s sonst daraus gelacht hatte. „Ich danke Ihnen!“ sagte sie und gab sich Mühe zu lächeln. – Sie that die Lippen von einander, als wolle sie etwas hinzufügen – aber sie sagte nichts und wandte sich zum Gehen.

(Fortsetzung folgt.)

Herz-Ober.

Der Mai war gekommen. Alles Leben fing an sich zu regen. Die Bäume, der Wald, Wiese und Berg hatten sich in junges durchsichtiges Grün gehüllt, der Flieder zeigte die ersten duftenden Blüthen, an den Hecken barg sich hinter Dornen das zarte Röslein, indeß unten im Thale die Obstbäume schon in voller Blüthe standen.

Auch die Spaliersprößlinge an des Tannenbauern Haus auf der Südseite wetteiferten mit ihren freien Vettern drunten im Thal und zeigten Blüthe an Blüthe, und selbst die alten Tannen zur Seite des stattlichen Hofes hatten ein neu Gewand über das alte angezogen. Vor den schmalen Fenstern prangten Geranien und Fuchsien in brennendem Roth, so daß der Bauernhof im wunderhellen Sonnenglanz aussah wie ein geschmückter Bräutigam, der zur Brautschau bereit ist. Drin in der Küche schaltete das jüngste Töchterlein, die blonde Marei, am Herd, indeß die Resei und Vreni mit dem Abwaschen des Geschirres vom Mittagessen sich beeilten.

„So gut wie heut’ treffen wir’s nimmer,“ hatte die älteste und klügste (wie sie glaubte), die Resei gesagt, nachdem die Eltern zu einem Besuche in die Stadt vom Hof gefahren waren. „Der Knecht ist auf die Kirchweih ’nüber und die zwei Mägd’ dürfen auf des Leimbauern Elis ihre Hochzeit – heut’ muß die alte Urschel her und uns Karten legen.“ Das hatte die Resei gesagt und war selbst vor Tisch hinüber geeilt zur halbzerfallenen Hütte der alten Urschel, die ihren Besuch bis um zwei Uhr zugesagt. „Sie soll aber ja die Karten nicht vergessen,“ hatte ihr Vreni noch nachgerufen.

Ein guter Kaffee ist unerläßlich zur Erzielung glücklicher Prophezeiung, und so nahm denn Marei zu dem Gebräu etwas mehr Kaffeebohnen, als die Bäuerin selbst an Festtagen je genommen, in der Meinung, die wohlthuende Wirkung des guten Kaffees müsse einen ebenso wohlthätigen Einfluß auf das nachfolgende Orakel ausüben.

Marei war jetzt so still, ganz gegen ihre Art, und erst vor Tisch hatte sie noch ihre Schwestern ausgelacht und gespottet über ihre Neugierde, einen Blick in die verhüllte Zukunft zu wagen. Wie oft hatte sie gelacht über Resei, die (ein öffentliches Geheimniß) mit dem Müllerfranz auf gutem Fuße stund, und wie viel mußte ’s Vreni unter ihrem Spotte leiden, wenn sie in Verzweiflung gerieth, so oft der Vetter Seppl ein ander Mädel anguckte. „Ich bin froh und frei,“ sagte die Marei, „und kümmere mich den Kuckuck um eure Mannsbilder, die einem nur den Kopf verdrehen und uns hinterher auslachen.“

Jetzt stand sie am Herde und schaute in die brausende schäumende Pfanne und tausend Gedanken flogen ihr durchs kleine Köpfchen, und alle drehten sich um einen blonden Lockenkopf mit grünem Jägerhut. Ja, der Mai ist gekommen und alles fängt an, sich zu regen und zu blühen, und tief innen im keuschen Mädchenherz ruht der Keim der Liebe und harrt der warmen Sonnenstrahlen aus dem Auge des Rechten, um aufzublühen und zu wachsen zum Baume der wahren Treue und Ergebenheit, oder jäh abzuknicken, wenn ein rauher Sturm oder ein Blitz aus dunklem Himmel die noch zarte Pflanze vernichten soll.

Daran dachte ’s Marei nicht. Wohl aber des herrlichen Sonnenunterganges von gestern, als es am Waldrande entlang schritt, den Schwestern entgegen, die oben auf der Wengeralp die Hütte für den sommerlichen Aufenthalt eingerichtet hatten. Sie guckte der scheidenden Sonne nach, ein Kuckuck rief von ferne und sie zählte die Rufe, um zu erfahren, wie lange Jahre sie noch leben werde – patsch, trat sie bis über den Knöchel in eine sumpfige Stelle und zog mit einem erschreckten Schrei den Fuß heftig zurück, so daß der Schuh in dem Schmutze zurückblieb. Als sie noch überlegte, auf welche Weise sie ihn wieder erlange, ohne die Hände zu beschmutzen, kam nebenan aus dem Gebüsch ein braungefleckter Jagdhund schnuppernd, gefolgt von seinem Herrn. Es mußte der neue Jagdgehilfe sein, ein rosig Gesicht und dichtes braunes Gelock mit grünem Hut, hohe Gestalt und Joppe und Flinte – auf mehr konnte sich Marei nicht besinnen.

Doch ja, als er sagte: „Was ist denn, Jungfer?“ und sie zu ihm aufschaute, sah ein Paar so recht gute (wie sie glaubte) blaue Augen auf sie herunter. Dann lachte er über ihre komische Situation, zeigte dem Hund das untergehende Bekleidungsstück im Sumpf. „Apport, Tiras“ und der treue Begleiter legte ihm den wassertriefenden Schuh vor die Füße. Sie hätte weinen können, wie sie so kläglich vor dem Fremden stund, mit dem einen bloßen Strumpf, und sich anschickte, nach Hause zu gehen mit dem nassen Schuh in der Hand.

„Ach, so geht man nit fort,“ sagte der Jäger, „erst muß ich meinen Dank haben“, und damit legte er den Arm um ihre Taille und neigte sein Gesicht zu ihr nieder. Sie aber schlug ihm mit dem nassen Schuh auf die Hand und entlief, verfolgt von dem fröhlichen Lachen des Burschen.

„Aber Marei, das Wasser siedet ja schon lange,“ rief die Vreni und weckte ihre kleine Schwester aus den Träumen. So wurde der Kaffee fertig, gerade als die alte Urschel, auf ihren Stock gestützt, hüstelnd zur Stube eintrat.

Man konnte sie sonst nicht recht leiden und sie ward gefürchtet, denn sie wußte allerhand Mittel und Zaubersprüche gegen verhextes Vieh, und

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 480. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_480.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)