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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

„Glauben Sie, daß bei dieser Bewerbung ideale Gründe maßgebend waren?“

„Nein!“

Das Wort kam eigenthümlich herb von den Lippen des Mädchens, aber das Antlitz senkte sich noch tiefer herab auf die Purpurblumen.

„Das ist auch meine Ansicht und damit steht mein Urtheil über Herrn Elmhorst fest. – Bitte, mein Fräulein, athmen Sie nicht so unausgesetzt den Duft dieser Blüthen ein; ich kenne ihn, er ist berauschend, aber tückisch und wird Ihnen Kopfschmerz zuziehen, seien Sie vorsichtig damit.“

Erna richtete sich empor und fuhr mit der Hand über die Stirn.

„Sie haben recht,“ sagte sie mit einem tiefen Athemzuge. „Es ist wohl überhaupt Zeit, daß wir zu der Gesellschaft zurückkehren – ich bitte, Herr Waltenberg!“

Er schien nicht ganz damit einverstanden zu sein, bot ihr aber mit voller Artigkeit den Arm und führte sie in die Säle, wo die Gesellschaft noch vollzählig beisammen war.

In einer Ecke saß der Oberregierungsrath mit seinem grimmigen Vaterzorn und mit Frau von Lasberg, die es sich angelegen sein ließ, das Feuer noch zu schüren. Sie hatte durch Nachfrage bei der Dienerschaft festgestellt, daß die Tischkarten in der That vertauscht worden waren, und ließ ihrer Empörung darüber freien Lauf. Sie sprach in leisem, aber nachdrücklichem Tone auf den unglücklichen Vater einer solchen Tochter ein und schloß ihre Rede endlich mit der vernichtenden Erklärung:

„Mit einem Worte – ich erlaube mir das Benehmen des Doktors empörend zu finden!“

„Ja, es ist empörend!“ murmelte Ernsthausen wüthend. „Und dabei suche ich Wally seit einer halben Stunde, um mit ihr nach Hause zu fahren, und kann ihrer nicht habhaft werden – es ist ein schreckliches Kind!“

„Ich hätte ihr den Besuch des Festes unter keiner Bedingung gestattet,“ eiferte die alte Dame. „Ich erklärte der Frau Baronin schon damals, als sie mir ihr Herz ausschüttete, daß sie energische Maßregeln ergreifen müsse.“

„Das haben wir ja bereits gethan,“ versicherte Ernsthausen verzweiflungsvoll, „aber es half nichts. Meine Frau hat schon Migräne von all dem Aerger, und das pflegt bei ihr tagelang anzuhalten! Ich bin durch mein Amt in Anspruch genommen – wer soll da diesen Irrwisch hüten und all seine tollen Streiche pariren?“

„Schicken Sie Wally aufs Land zu dem Großonkel,“ rieth Frau von Lasberg. „Da ist kein persönlicher Verkehr mit Gersdorf möglich, und wie ich den alten Baron kenne, wird er auch einen Briefwechsel zu verhindern wissen.“

Der Oberregierungsrath sah aus, als sei plötzlich ein Lichtstrahl in die Finsterniß seiner Seele gefallen; er ergriff den Vorschlag mit einer förmlichen Begeisterung.

„Das ist eine Idee!“ rief er. „Sie haben recht, gnädige Frau, vollkommen recht! Wally soll zu meinem Onkel, schon in den nächsten Tagen, schon übermorgen. Er war ja außer sich über die Sache und wird jedenfalls der beste Hüter sein; ich schreibe ihm gleich morgen früh.“

Er war so erfüllt von diesem Gedanken, daß er schleunigst aufbrach und von neuem versuchte, seiner Tochter habhaft zu werden, aber das war ein schwieriges Unternehmen. Er hätte ebenso leicht einen Schmetterling fangen können; denn Wally entwickelte ein unglaubliches Talent, gerade dann zu verschwinden, wenn der Vater sie endlich zu Gesicht bekam. Ernst Waltenberg, der ja auch zu den Eingeweihten gehörte, wurde zweimal als Blitzableiter dem nahenden Ungewitter entgegengestellt und mußte es mit seiner Unterhaltung ableiten. Inzwischen tauchte die kleine Baroneß unter in irgend einer plaudernden Gruppe und kam an einer ganz anderen Stelle wieder an die Oberfläche. Sie schien die ganze Gesellschaft als eine Versammlung von Schutzgeistern zu betrachten, die sie je nach Bedarf verwendete, und sogar der Minister, der hohe Chef ihres Vaters, der gleichfalls anwesend war, mußte sich in dieser Eigenschaft benutzen lassen.

Sie flüchtete schließlich zu Seiner Excellenz und klagte in beweglichen Worten, daß der Papa durchaus schon nach Haus fahren wolle, während sie noch so gern bliebe. Der alte Herr nahm sofort Partei für das reizende Kind, und als der Oberregierungsrath auftauchte und sich mit einem grollenden „Wally, der Wagen wartet!“ der jungen Dame bemächtigen wollte, fiel ihm jener freundschaftlich in die Rede.

„Lassen Sie ihn warten, lieber Geheimrath. Man darf der Jugend ihr Recht nicht verkümmern und ich habe der Baroneß versprochen, Fürsprache einzulegen. Sie bleiben noch, nicht wahr?“

Ernsthausen wüthete innerlich, während sein äußerer Mensch sich höflich zustimmend verbeugte; als Anerkennung dafür verwickelte ihn der Chef in ein sehr eingehendes Gespräch und gab ihn erst nach einer Viertelstunde frei. Jetzt aber kannte der Baron keine Rücksicht mehr; er brach geradezu ein in das feindliche Lager, wo seine Tochter höchst vergnügt zwischen Waltenberg und Gersdorf Stellung genommen hatte. Da trat ihm der Doktor mit voller Artigkeit entgegen.

„Herr Oberregierungsrath, ich wollte mir erlauben, Sie morgen oder übermorgen aufzusuchen. Darf ich bitten, mir irgend eine Stunde zu bestimmen?“

Ernsthausen warf ihm einen vernichtenden Blick zu.

„Ich bedaure, Herr Doktor, dringende Geschäfte –“

„Ganz recht, davon wollte ich eben mit Ihnen reden,“ fiel Gersdorf ein. „Es handelt sich um eine Angelegenheit der Bahngesellschaft, deren juristischer Vertreter ich bin, wie Sie ja wissen; und Seine Excellenz der Herr Minister hat mich an Sie gewiesen. Sie gestatten aber wohl, daß ich Sie nicht im Ministerium, sondern in Ihrer Wohnung aufsuche, da ich noch eine Privatsache mit Ihnen besprechen möchte.“

Der Baron konnte leider nicht im Zweifel sein über diese Privatsache; da er aber den Juristen in dieser Eigenschaft nothgedrungen empfangen mußte, so richtete er sich in seiner ganzen Vornehmheit auf und antwortete kühl:

„Uebermorgen um fünf Uhr Nachmittags stehe ich zu Ihren Diensten.“

„Ich werde pünktlich sein,“ versicherte der Doktor, sich mit einer Verbeugung von Wally verabschiedend. Diese fand es nun endlich für gut, sich der väterlichen Gewalt zu fügen und sich fortführen zu lassen, aber draußen auf der Treppe erklärte sie mit voller Energie:

„Papa, übermorgen lasse ich mich aber nicht wieder einsperren. Ich will dabei sein, wenn man um meine Hand wirbt.“

„Uebermorgen bist Du bereits auf dem Lande,“ versetzte Ernsthausen mit Nachdruck. „Du fährst mit dem ersten Zuge; ich bringe Dich der Sicherheit wegen selbst auf die Bahn und an der Station nimmt Dich der Großonkel in Empfang, bei dem Du vorläufig bleiben wirst.“

Wallys Köpfchen fuhr ganz entsetzt aus der weißen Kaputze. Einen Moment lang war sie sprachlos; dann aber nahm sie eine äußerst kriegerische Stellung an.

„Das thue ich nicht, Papa! Ich bleibe nicht bei dem Großonkel; ich laufe davon, zu Fuß laufe ich nach der Stadt zurück!“

„Das wirst Du bleiben lassen,“ sagte der Oberregierungsrath. „Ich dächte, Du kenntest den alten Herrn und seine Grundsätze. Du bist nach seinem Tode eine Partie ersten Ranges, merke Dir das!“

„Ich wollte, der Großonkel reiste nach Monaco und verspielte dort all sein Geld,“ schluchzte Wally zornig, „oder er adoptirte ein Waisenkind und vermachte ihm sein ganzes Vermögen.“

„Kind, um Gotteswillen, was hast Du für entsetzliche Einfälle!“ rief Ernsthausen erschrocken; aber die kleine Baroneß fuhr in voller Empörung fort:

„Dann wäre ich keine ‚Partie‘ mehr und dann könnte ich Albert heirathen. – Ich will alle Tage beten, daß der Großonkel solch einen dummen Streich macht, trotz seiner siebzig Jahre!“

Damit sprang sie, noch immer schluchzend, in den Wagen und warf sich in die Polster. Der Vater folgte ihr, aber er murmelte verzweiflungsvoll:

„Ein schreckliches Kind!“

Droben in den Festräumen begann es allmählich leerer und stiller zu werden. Einer nach dem andern verabschiedete sich, bis endlich der Präsident, der soeben die letzten Gäste entlassen hatte, sich allein mit Wolfgang in dem großen Empfangssaale befand.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 503. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_503.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)