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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Wirthshäusern durch hypnotische Versuche Störung verursacht hatten, „wegen groben Unfuges“ Strafverfügungen in Höhe von je 20 Mark. Es mag sich das von Anfang Juni bis Ende Dezember 1886 wohl 6–8 mal verschiedenen Anstiftern gegenüber wiederholt haben. In dem hervorragendsten Falle dieser Art erkannte das Schöffengericht gegen zwei Ausübende auf eine Strafe von 40 beziehungsweise 20 Mark. Am theuersten kam der in Brötzingen erlebte Fall seinem Anstifter, einem jungen Metzger, zu stehen, nachdem derselbe noch im Mai 1887 das Opfer des bereits erzählten Tobsuchtsanfalles abermals hypnotisirt hatte. Dasselbe wollte gerade ein Glas Wein zum Munde führen, als den Thäter Lust zu neuen Streichen überkam. Durch Anstarren und Streichen machte er jenen starr und hypnotisirt, welcher Zustand mit achtzehnstündigem Schlaf des Opfers endete. Einen ihm zuerkannten Strafauftrag in Höhe von 20 Mark nahm der Schuldige nicht an. Das Schöffengericht in Pforzheim erkannte auf das Vorhandensein von Freiheitsberaubung und fahrlässiger Körperverletzung und verwies den Fall vor die Strafkammer zu Karlsruhe. Hier wurde gegen den Thäter auf eine Gefängnisstrafe von 14 Tagen erkannt. – Soweit unser Berichterstatter!

Mögen diese Zeilen dazu beitragen, unsere Leser über die Gefahren der Laienhypnose zu belehren und sie zur Selbsthilfe gegen dieselben dort zu veranlassen, wo gesetzliche Bestimmungen dem gefährlichen Treiben keinen Einhalt gebieten können.




Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.
Am Leuchtthurm.
Novelle von Gerhard Walter.
(Schluß.)

Wilde Freude faßte mich, als ich Hildegard mitten in der Brandung auf dem Stein erblickte. Also doch noch einmal mit ihr zusammen! Nun war ich dicht bei ihr. Ich riß das Segel herunter und drehte hinter dem Stein auf, im Schutz vor der See, die ihren Gischt schon hoch über ihn hinspritzte. Ich hatte noch Wasser genug unter dem Kiel. Aus dem tanzenden Boot reichte ich dem bleichen Mädchen die Hand, ein schneller, behender Sprung, und sie stand in der Jolle und fiel nieder auf die Ducht. Wir sagten kein Wort, das Segel vor, und hinaus flogen wir auf das tiefe Wasser.

Da war ich mit ihr allein!

Um uns rauschende, brausende, schäumende See. Und dann das Schreien der nach Land zu fliegenden Möven. Ueber uns der dumpf sausende, seine Flügel hebende Sturm und der dunkel sich verhüllende Himmel. Keine Farben ringsum, als die schwarzgrüne, weiß überschäumende See, und dort hinter uns die in mattem Gelb scheinenden Dünen.

Und wir beiden im arbeitenden Boot allein über der Tiefe. Schweigend fuhren wir in das Wetter hinein. Sie saß still am Mast, die Hände im Schoß, und schaute hinaus auf die immer ungestümer einherrollenden Wogen. Spritzer um Spritzer kam über. Ihr dunkles Haar flatterte im Wind. Wasserperlen glänzten darin und zerrannen. Jetzt traf ein zischender Guß sie ins Gesicht. Sie legte die feinen, weißen Finger über die Augen. Wie Thränen quoll und rann es darunter hervor.

Jetzt brach ich das Schweigen. „Setzen Sie sich auf den Boden des Boots!“ bat ich; „sonst kann Sie das Segel über Bord fegen.“

Sie ließ sich hinabgleiten und kauerte dort, ein geängstetes, zagendes, zartes Weib.

„Fürchten Sie sich, Hildegard?“

Sie ließ die Hände sinken und sah mich an. "Ja!“

Ich hätte beinah gesagt: „ich wollte, wir gingen zusammen unter!“ – Wir mußten noch weiter in See hinaussteuern, wenn ich nicht an den Klippen scheitern wollte, die vom Leuchtthurm aus längs des Strandes sich, jetzt unter Wasser, weithin erstreckten.

„Hildegard, wir sind zum letzten Mal beisammen, und nicht Sie und nicht ich haben diese Stunde bestimmt; es war Gottes Wille. Sobald ich Sie an Land gebracht habe, gehen unsere Wege ganz aus einander. Nutzen wir diese Minuten aus, um es zwischen uns klar zu machen.“

Sie nickte langsam.

„Also erst zu Ihnen. Sind Sie glücklich?“

Schnell hob sie das Gesicht.

„Glücklich?“ sagte sie mit schmerzlichem Lächeln. „Haben Sie schon einen glücklichen Menschen gesehen? Ich dachte vielleicht gerade darüber nach, als ich da auf dem Stein saß und über das heranbrausende Meer hinsah – ich weiß nicht, wie lange es gewesen ist! Ich konnte trockenen Fußes über den Schlick bis zu dem Stein hingehen, und ich freute mich tief versunken, wie die Wellen nach mir hinaufleckten, und wie sie weiß wie kochende Milch am Gestein herunterrannen; und über dem wilden Schauspiel und meinen Gedanken vergaß ich des Heimwegs, bis er mir abgeschnitten war und hinter wie vor mir die See kochte; und gerade wollt’ ich’s wagen und durch die Brandung an Land zu gehen versuchen – da sah ich ein Boot und winkte ihm. Daß Sie es waren, wußte ich nicht, sonst hätte ich es wohl nicht gethan; denn ich hätte vorher gewußt, daß Sie mir diese Frage vorlegen würden. – Sie sagen, eine Braut muß glücklich sein? Ja denn; ich – ich bin glücklich in dem Gedanken an den Wirkungskreis, der mir beschieden sein wird, an das Vertrauen, dem ich gerecht werden soll. Das ist viel! – Sei es denn gesagt: die Zeit dessen, was die Menschen Liebe nennen, die liegt hinter mir. Aber lassen wir das! Die Würfel sind gefallen!“

Sie sprach ruhig, ergeben.

„Hildegard – warum haben Sie den Mann genommen?“

„Ich sagte es Ihnen!“ antwortete sie sanft. „Ich bin seinem Hause zu unendlichem Dank für viel, viel Liebe und Güte verpflichtet; und ich –“ sie stockte – „und ich hatte nichts, was mich zurückhielt!“

Wieder kam eine See über und übersprühte uns beide. Stärker, heulender sang oben der Sturm aus.

„Also nichts!“ sagte ich, und mir war’s mit einem Mal, als sollte ich das Segel loswerfen und die Ruderpinne aus den Händen schleudern – „also nichts!“

Da legte sie die Hand auf meine. Voll tiefen Leides ruhten ihre Augen auf mir.

„Nichts, seitdem ich las von dem Duell, das Sie um jener Witwe willen ausgefochten da erst gab ich Sie auf!“

„Herr Gott!“ mehr konnte ich nicht sagen.

„Ich schrieb, ohne Namen zu nennen, dorthin; ich bekam zur Antwort, es sei alles wahr! Da wußte ich, daß Sie mich vergessen hätten!“

„So! Also das war der Grund! Nun erlauben Sie mir, Ihnen hier im Angesicht Gottes zu sagen, daß es nicht wahr war! Hören Sie?“

„Ich höre!“ sagte sie traurig. „Aber ich sah Sie auch mit dem Mädchen vom Leuchtthurm siegesfroh in den Saal treten und sah Sie tief versunken mit ihr reden und scherzen, und wie Sie kein Auge hatten und kein Ohr für etwas anderes, und ich hörte das Reden der Leute – und das that mir weh – obgleich ich verlobt war, und ich mußte mir viel Gewalt anthun!“

Ihre Lippen bebten. Jetzt standen wirkliche, klare Thränen in ihren Augen. Ich preßte die Zähne zusammen und sagte kein Wort, zu den Segeln aufschauend.

„War das auch nicht wahr?“ fragte sie mit erstickter Stimme.

Ich hatte die eine Hand frei und reichte sie ihr hin: „Legen Sie Ihre Hand hinein!“ Sie that es.

„Wenn ich jenes Mädchens Lippen je mit den meinen berührt und wenn ich je ein Wort von Liebe zu ihr gesprochen oder sie im Arm gehalten oder meine Gedanken um sie geworben haben, daß ich sie sündig für mich begehrt hätte zu Ernst oder frevlem Scherz, dann will ich scheiden von Ehre und Namen und Amt! Das ist bündig, nicht wahr?“

Sie nickte wieder, und dies Mal perlten die Thränen über ihr Gesicht, und sie hielt sie nicht zurück. „Also alles, alles Irrthum!“ flüsterte sie und rang die Hände im Schoß.

„Und nun richte ich an Sie noch eine Frage, Hildegard; die letzte: warum verbargen Sie sich vor mir, wenn Ihr Herz

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 508. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_508.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)