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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

noch mein gedacht; warum ließen Sie sich nicht finden so viele Jahre hindurch?“

Sie war blaß geworden „Weil ich nicht mehr die war, die Sie geliebt hatten; weil Unehre auf meinen Namen gekommen war; weil mein Vater“ – sie stockte – „weil er einen bösen Tod starb und keiner ihm zu Grabe folgte und weil sein Andenken nicht das eines Gerechten war, als wir arm und nur Erben seiner Unehre aus unserm Hause nach furchtbaren Tagen in die Welt zogen. Darum wollte ich mich nicht an Sie drängen; darum verbarg ich mich. Und als ich nach Jahren ruhiger und vernünftiger dachte, – was konnte ich denn dafür? – da kam jenes Andere – und ich legte der Stimme meines Herzens Schweigen auf! Nun wissen Sie alles! Theilen mit andern konnte ich nicht!“

Es war auch über mich eine Ruhe gekommen, die mir selbst unerklärlich war. War es die jetzt mächtig wachsende Gefahr von außen her, die alle meine Geistes- und Körperkräfte in Anspruch nahm, oder war es der klare Blick, den ich in unser beider Vergangenheit und Zukunft that, der mir die Kraft einer Art ruhiger Verzweiflung gab? Ich weiß es nicht.

„Gut; zu Ende, Hildegard! Nun gieb mir noch ein einziges Mal die Hand – so, Du einzig, unendlich und ewig Geliebte – nun zieh in Frieden! Aber jetzt gilt’s!“

Wir waren querab vom Leuchtthurm, um den ich herum mußte, um meinen Fahrgast an Land bringen zu können. Bis dahin hatte ich das Boot schräg gegen die heranrollende See gesteuert, und ob es auch wild genug stampfte, so hatte es doch immerhin noch gute Stütze am gerefften Segel. Es lag zu weit nach Lee über, als daß wir viel Wasser hätten überbekommen können, und wieder nicht weit genug, daß wir Wasser geschöpft hätten. Aber jetzt kam der Augenblick der Gefahr. Nun mußte ich Ruder geben und abdrehen, so daß das Boot, wenn auch nur eine kurze Zeit lang, quer gegen die hohe See zu liegen kam.

Jetzt kam es dazu – wenn wir herumkommen konnten, ehe die nächste See heranbrauste! Tief lag das Boot auf der Seite; der Dollbord streifte im Wasser – ich hielt die Schot klar zum Loswerfen. Hildegard hatte die Hände um den Mast geschlungen und blickte aus großen entsetzten Augen auf die dunkeln weißschaumigen Seen.

„Sie kommt, sie kommt!“ schrie sie laut – und schloß die Augen, das Gesicht neigend.

Ja, sie kam, wir konnten nicht schnell genug drehen in dem hohen Seegang. Höher und höher schwoll sie an; deutlicher das Rauschen; – wie der Schaum perlend herniederläuft über den Kamm – hohles Brausen – ein Wirrsal von Gischt, ein durcheinander Fluthen und Gießen. Jetzt hat sie das Boot erreicht; sie verdeckt den Horizont als dunkle fluthende Mauer – nun kämmt sie über, nun überschüttet sie das Boot; siedend, sausend, zischend, dröhnend bricht sie über uns zusammen; krampfhaft halte ich das Steuer in der Rechten, mit der Linken decke ich meine Augen; das Boot senkt sich – nun müssen wir kentern! – ich sehe auf, fast liegt das Segel auf der fortstürmenden See; das Boot hebt sich – unter ihm her schießt milchweiß die Woge, die uns bedroht; den Brecher haben wir zwar bekommen und das Boot ist halb voll Wasser, Hildegard und ich triefen – aber es ist noch nicht vollgeschlagen und nicht gekentert! Nun fällt es ab – jetzt laufen wir mit den Seen, die an uns vorbei spülen, mit windverwehten Kämmen rauschend, weißstreifig, vom Sturm gehetzt; – aber jetzt schlingert der Kahn von Bord zu Bord und schöpft mit beiden Seiten; im Boote schwabbert das Salzwasser herüber und hinüber, und immer mehr kommt über. „Hildegard“ – rufe ich, – „schöpfen Sie, wir laufen voll.“ – Aber meine arme Blume lag da, halbtodt vor Angst in dem wilden Kampfe, zitternd, die Stirn an den Mast gedrückt. Ich bücke mich und öse mit einer Hand, so gut ich kann; aber was fruchtet das! Jetzt läuft uns eine See von achtern auf, ich höre sie, sehen kann ich sie nicht; nun braust es siedend hinter mir, nun läuft es mir über Kopf und Nacken, nun ergießt sie sich ins Boot – wir erreichen nimmer den Strand! – – Noch einmal solche See, und – da blicke ich auf: wir sind dicht am Leuchtthurm! Und da steht Brar Volkers und donnert mir mit dem Sprachrohr zu: „In Lee von dem Thurm – an die eisernen Stiegen! Hart das Ruder! Schot anholen!“

Wieder liegen wir quer vor der See; das Boot geht schwer; es muß ja sinken – nur noch eine kleine, kleine Weile hält’s über Wasser. Barmherziger Gott – nur nicht so nah der Rettung verderben! Nun in den Schwall hinein, der an dem Felsen vorbeifluthet, dann kommt das stillere Wasser! Ich bin halb geblendet vom Salzwasser – fahre ich richtig? – „Dicht heran, dicht heran!“ dröhnt die mächtige Stimme des Alten; undeutlich sehe ich Wiebkes Gestalt über mir – nun fluthet’s heran, donnernd, übermächtig: „ Greif’ die Fangleine! Das Boot hackt weg! Vier Mal um den Arm!“ höre ich’s noch schallen. Da fliegt die Leine auf mich zu; ich fasse Hildegard mit dem linken Arm um den Leib; eisern krampfen meine Finger um die Leine – plötzlich schnürt sie mir den rechten Arm fast ab in ihren Windungen, aber ich lasse nicht los; unter mir weicht es – ich tauche unter – was braust mir so donnernd vor den Ohren? Ich werde durchs Wasser gezogen, über mir bricht sich die Brandung; jetzt wache ich auf, dicht vor mir sind die eisernen Stufen; nur zwei davon kann ich noch sehen – ich lasse die Leine und klammere die Finger der Hand um die Geländerketten – die See treibt mich heran, meine Füße stehen – ich habe Grund auf einer der unteren überflutheten Stufen. Von oben strecken sich Arme mir entgegen. Halb reiche ich sie hinauf, die blasse, besinnungslose, halb ertrunkene Hildegard, halb ziehen sie


Die heißen Schwefelquellen von Hammam-Meskoutine in Algier.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 509. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_509.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)