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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Bei schwächlichen, blutarmen, in ihrer Ernährung herabgekommenen Individuen, wo die schlechte Blutbeschaffenheit, die zarte Organisation des Körpers und die Mangelhaftigkeit des Nervensystems als veranlassende Momente der Migräne betrachtet werden müssen, ist es zur Behandlung der letzteren unumgänglich notwendig, auf das Grundübel durch blutkräftigende und nervenstärkende Mittel einzuwirken. Eisenpräparate, kräftigende Kost, Aufenthalt in Gebirgsluft oder an der See, kalte Waschungen des Körpers, Seebäder, Stahlbäder, Eisenmoorbäder u. s. w. werden in solchen Fällen passend angewendet, ihre treffliche Wirksamkeit entfalten. Dabei wird mit der körperlichen Kräftigung auch zur Erhöhung der Widerstandsfähigkeit des Nervensystems eine passende geistige Diät einhergehen: Vermeidung jeder Aufregung, Anstrengung und Ueberreizung der Nerven.

Wenn in einer nervös veranlagten Familie eines der Eltern an Migräne leidet, muß man, um den Ausbruch dieser Nervenanfälle bei den Kindern zu verhüten, ganz besonders darauf bedacht sein, von frühester Jugend an das kindliche Nervensystem zu kräftigen, es vor Verweichlichung und Verwöhnung zu wahren, andererseits aber geistige Ueberbürdung zu meiden. Besondere Vorsicht in dieser Richtung ist bei Kindern um die Zeit der zweiten Zahnung und in der Periode der Entwickelung des Jünglings und der Jungfrau nothwendig, weil in diesen Lebensabschnitten eine vorzugsweise Neigung zur Ausbildung von Nervenleiden mannigfacher Art sich geltend macht.

Um den Ausbruch des Migräneanfalles zu verhüten oder den bereits aufgetretenen Anfall zu mildern, ist eine große Anzahl von Arzneimitteln, so besonders Chinin, Coffein, salicylsaures Natron, Amylnitrit u. a. m. empfohlen worden. Diese anzuwenden, muß immer dem Arzte vorbehalten werden und kann nicht Sache des Laien sein, der leicht Unheil stiften könnte. Ich betone dies besonders, weil es in letzter Zeit modern geworden ist, sich einfach eines der in den Zeitungen gepriesenen Gegenmittel gegen die Migräne anzuschaffen und im Bedarfsfalle nach Belieben anzuwenden. Ein solches Mittel ist beispielsweise das Amylnitrit, von dem man 1 bis 3 Tropfen auf ein Tuch oder Watte gießt und dasselbe vor die Nase hält. In der That erfolgt hierauf zuweilen ein sofortiges Verschwinden des Schmerzanfalles; allein die Anwendung dieses Mittels ist durchaus nicht gefahrlos; die Einathmung von 1 bis 2 Tropfen desselben erzeugt sogleich stärke Röthung des Gesichtes und der ganzen oberen Körperteile, womit sich Hitzegefühl, eine rauschähnliche Empfindung von Schwere im Kopfe, Steigerung der Herzthätigkeit und Pulsfrequenz verbinden, welche zuweilen Bewußtlosigkeit, Ohnmacht sowie plötzlichen Stillstand des Herzens zur Folge haben.

Nicht selten gelingt es, durch einfache Mittel eine gewisse Linderung im Schmerzanfalle herbeizuführen. So verschafft zuweilen die Anwendung von Kälte, das Auflegen eines feuchtkalten Tuches oder eines mit Eisstückchen gefüllten Gummibeutels auf den Kopf Milderung des Schmerzes, in anderen Fällen ist solche Wirkung nur durch Wärme zu erzielen. Oefter empfinden die vom Migräneanfalle Betroffenen es wohltuend, wenn man ihnen ein Tuch recht fest um den Kopf herumbindet und dadurch einen kräftigen, tiefen Druck bis auf die Schädelknochen ausübt. Auch der Genuß einer Taste starken schwarzen Kaffees oder recht heißen Thees und die hierdurch erfolgende reichliche Schweißerregung vermag manchmal Erleichterung zu verschaffen. Es giebt allerdings auch Migräneanfälle gewisser verwöhnter Damen, welche ebenso rasch wie sicher durch ein – neues Kleid oder eine Ballkarte zu kuriren sind; doch diese Art nervöser Anfälle gehört nicht in den Rahmen meiner Betrachtung, welche es nur mit Krankheiten, nicht aber mit Ungezogenheiten zu thun haben will.




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In der Schutzhütte.
Novellenkranz von Johannes Proelß.
1. Eingeregnet.

Noch einmal wurde das flatternde Gewölk, das die schneeumwandeten Schrofen des Säntis, der Gyrenspitze und des Alten Manns zu umschleiern strebte, durch den Sturmwind verjagt, der nun schon seit einer Stunde von der Innerrhodener Hochebene in die Felsenwelt des Appenzeller Gebirgs emporfegte. Die mächtigen Wolkenmassen, welche das tiefe Seealpseethal gleich dicken Dämpfen ausfüllten, wurden von ihm, in einzelne Fetzen zerrissen, emporgetrieben; oben aber in der Sphäre des ewigen Schnees stießen sie noch eine Weile auf den Widerstand der Sonne. Doch immer dichter kam es nachgedrängt, immer dunkler wurde es auch dort oben – noch ein kurzer Kampf zwischen den Dämonen des Lichts und der Finsterniß, und die letztere hatte gesiegt. Jetzt war auch die schlanke Säntisspitze und das letzte Stückchen blauen Himmels verschwunden und die empordrängenden Nebel hatten sich mit den Gewitterwolken oben so eng vereinigt, daß der Blick auch die verschiedenartigen Bewegungen der Dunstmassen nicht mehr zu verfolgen vermochte. Ja, der Wanderer auf dem schmalen Fußpfad, der sich hoch ob dem See auf der linken Firstkette über die Felsabhänge der Maarwies nach der Meglisalp hinzieht, vermochte überhaupt nichts mehr zu sehen als rings um sich grauen Nebeldunst und die immer dichter fallenden Regentropfen, die auf dem Geröll des Glimmerschiefers am Boden klatschend aufschlugen und die Alpenrosen am Abhange niederbogen.

„Eine schöne Geschichte,“ rief unmuthig ein älterer Herr von kräftiger Gestalt, dessen weißer Vollbart ein Gesicht von edlem Profil und lebhaftem Ausdruck umrahmte, „da wird’s ja völlig Nacht und es ist doch kaum erst vier Uhr. – Aber wer hatte recht?“ wandte er sich an seinen noch recht jugendlichen Führer, dessen bloße Füße mit Behagen die Nässe des vorher so heißen Weges zu empfinden schienen. „Ich traute dem Wetter schon unten in Weißbad nicht. Ihr aber bliebet dabei, es könne halt nur ein paar Tröpfli geben. Die paar Tröpfli ließen ja nicht auf sich warten; aber sie blieben nicht allein, und jetzt gießt’s in Strömen. Wie sollen wir so auf den Säntis kommen? Kaum den Weg unter seinen Füßen kann man noch erkennen.“

„Müssen halt auf der Meglisalp übernachten und morgen früh bei Zeiten naufigehn.“

„Ja, glaubt Ihr denn, daß das Wetter sich über Nacht aufhellt?“

„Wird schon gut, Herr. Ein Gewitterregen hält nicht die Ewigkeit an.“

„Und wie lange dauert’s denn noch bis zur Meglisalp?“

Ein lauter Donnerschlag, dessen Krachen mit schauerlichem Dröhnen in den Schluchten des Gebirgs widerhallte, erstickte die Antwort des mit seinem kurzen Alpenstock vor sich hin deutenden Burschen.

„Wenn wir schnell gehen, kann’s kein Viertelstündli mehr dauern.“

„Nun dann, junger Mann, vorwärts! Wir haben zum Glück den Wind im Rücken! … Hoho!“ unterbrach er sich, als vom grasigen Abhang über dem schmalen Pfad, den sie beschritten, lautes Getrampel vernehmbar ward und dazu ein Geräusch, wie wenn flüchtiges Wild durchs Knieholz bricht. Der Stadtherr blieb dabei stehen und faßte seinen Bergstock, als wollte er sich zur Wehr setzen.

„Nur unbesorgt, Herr, “ beruhigte der Führer. „Die Küh’ von der Alp sind es, hören S’ nicht das Geläut? Es geht über die Almen an uns vorbei. Die hellen Schellen – das sind die Geiß’n. Die Thiere merken, daß das Unwetter arg wird. Da suchen sie Unterschlupf in den Nothställen. Wir müssen ganz nahe dem Ziele sein.“

In schnellem Laufschritt, als sei ihm der vollbepackte Tragkorb auf dem Rücken mit dem Handgepäck des Touristen keine Last, flog der Bursche voran; der alte Herr bewährte auch jetzt seine Rüstigkeit und blieb dem jungen Blut wacker auf den Fersen. Als ein neuer Blitz den Aether zuckend durchfuhr und, eine schnell verlöschende Helligkeit verbreitend, in großer Nähe einschlug, lag vor den Wanderern das kleine Gehöft, das ihnen eine sichere Unterkunft für die Nacht versprach.

Der alte Herr mit den elastischen Sehnen war sofort in die große schwarzgeräucherte Küche getreten, die in jeder echten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 524. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_524.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)