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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

und dann nach Belieben neben einander gereiht wurden. Mit Hilfe dieser Drähte bildet man aus Blumen Phantasiestücke aller Art, die als sinnige Geschenke dienen, für die Sängerin die Blumenlyra, für den Gelehrten den Blumenfolianten, Füllhörner, Vasen, Fächer etc. Neuestens hat man die Blumenkissen erfunden, aus feuchtem Moos gebildet, welches den Blumenstengeln eine feste Grundlage bietet. Mehr als alle diese künstlichen Formen, zu welchen die seltensten und kostbarsten Blumen verwendet werden, wird uns aber immer das kleine Sträußchen von Primeln oder Maiglöckchen erfreuen, das uns in der schönen Frühlingszeit ein niedliches Blumenmädchen an der Straßenecke anbietet.

Die Kunstblumen verdanken ihre Entstehung frommen Schwestern. In den Frauenklöstern Italiens wurden bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts zur Ausschmückung der Altäre und zur Bekränzung der Heiligenstatuen mühsam aus Papier, Pergament und sonstigen steifen Stoffen künstliche Blumen verfertigt. Seither haben die sogenannten „italienischen Blumen“, die in den venezianischen Fabriken aus den Bälgen der verdorbenen Seidenkokons hergestellt werden, überall in Europa als ein besonders zierlicher Damenschmuck Ruf bekommen. Selbstredend beschränkt sich die Fabrikation in Venedig, welche beinahe ganz Italien mit künstlichen Blumen versorgt und ganze Waggonladungen derselben in das Ausland exportirt, nicht bloß auf diese einzige Sorte. Ich habe in einer venetianischen Blumenfabrik Umschau gehalten. Kaum ist die erste Chokolade bei Florian auf dem Markusplatze hinuntergeschlürft, so präsentirt sich dort schon dem Fremden ein Cicerone mit dem Anerbieten, ihn in eine „berühmte“ Fabrik der „berühmten italienischen Blumen“ zu führen. Sie nimmt zwei Stockwerke und das Erdgeschoß in einem der dunklen, grauen, alterthümlichen Häuser der Frezzaria ein und beschäftigt mehrere hundert Mädchen, die in den weiten niederen Sälen der Stockwerke untergebracht sind, während sich die Waarenniederlage im Parterre befindet. In allen Glasschränken sieht man hier die täuschendsten Erzeugnisse der Kunst, welche der Natur die leuchtenden satten Farben und oft auch den Duft gestohlen zu haben scheinen. Denn diese Blumen werden häufig in Parfüms getaucht, welche berufen sind, unsere Geruchsorgane zu täuschen, wie der glänzende Schmelz dieser zierlichen Fabrikate unser Auge täuscht. Hier können die absonderlichsten Wünsche der Fremden, die aus Venedig nur etwas Besonderes heimbringen wollen, befriedigt werden. In den oberen Sälen sitzen die Arbeiterinnen, welche mit ihren geschickten Fingern so märchenhaft schöne Kunstgebilde verfertigen. Denn bei der Fabrikation feiner Kunstblumen ist beinahe alles Handarbeit und ihr Werth hängt einzig und allein von der Geschicklichkeit und dem Geschmacke der ärmlich gekleideten, zumeist kränklich aussehenden Mädchen ab, die an den langen Tischen sitzen und den gesundheitsschädlichen Staub der gefärbten Bestandtheile ihrer Blumenprodukte einathmen. Diese Geschicklichkeit und diesen Geschmack vermag keine Maschine zu ersetzen.

Im vergangenen Jahrhundert erfand wohl ein Schweizer eine Ausschneidepresse für Blätter, doch ist dieselbe nur für Blätter kleinster Art, wie der Hyacinthen, Maiglöckchen etc. in Gebrauch. Bei den größeren Blumenblättern zieht man der korrekten Form, welche der Natur nicht immer entspricht, den höhern Reiz der Unregelmäßigkeiten vor, welche die Schere der Arbeiterin begeht. Die Gewebe zu den Blumenblättern erfahren eine besondere Appretur in anderen Fabriken. Die Scheren und sonstigen Werkzeuge der Arbeiterin, die Pressen, welche die Blattnerven botanisch treu wiedergeben, sind eigenthümlich konstruirt. Die Verrichtungen, die mit der Blumenfabrikation verbunden, sind die verschiedenartigsten und werden von verschiedenen Arbeiterinnen besorgt. In einem Saale beispielsweise werden ausschließlich die Blumenstengel und Blattstiele verfertigt; in einem zweiten Saale gießt man Früchte aller Art, Beeren, Kirschen, Weintrauben und so weiter, wie sie oft zwischen Blätter und Blüthen vermischt werden, aus Wachs; an einem besonderen Tisch werden nur Staubfäden fabrizirt; andere Säle sind der Herstellung der Blumenknospen gewidmet. In einer weiten Halle erledigt man die Glasarbeiten, denn nicht alle Früchte werden aus Wachs gegossen; besonders die Beeren sind zumeist aus Glas. Die Glaskügelchen werden aus dünnen Glasstangen hergestellt, deren Ende man über eine kleine Flamme hält und glühend macht; durch eine geschickte Drehung wird die runde Form erzeugt, durch den Gebrauch verschiedenfarbiger Stäbe werden die feinsten Farbennüancen erzielt.

Den geschicktesten Arbeiterinnen ist das Zusammensetzen der Blätter zu Blüthen und der Blüthen zu Bouquets, Kränzen und Guirlanden aller Art anvertraut. Es ist interessant, diese Arbeit zu beobachten, bei welcher die emsig sich bewegenden Fingerchen der Arbeiterinnen mit den Innentheilen der Blumen beginnen, die äußeren Blumenblätter, zuerst die farbigen, dann die grünen nach und nach ansetzen, die Krone an den Stengel fügen und die gezackten Blätter an den Stengel reihen.

Venedig und Italien haben indessen schon lange kein Monopol mehr auf die Blumenfabrikation, die bereits auch in Frankreich und Deutschland in großem Maßstabe betrieben wird. Paris beschäftigte vor dem Kriege im Jahre 1870 15 000 Arbeiterinnen in Blumenfabriken und exportirte Kunstblumen alljährlich im Werthe von 25 Millionen Franken. Seit dem Kriege soll die französische Blumenfabrikation unter der Konkurrenz der deutschen stark gelitten haben. Namentlich die Berliner Blumenfabriken liefern wahre Kunstwerke und erobern sich wacker das heimische Absatzgebiet zurück. In Wien erfreuen sich die wunderschönen täuschenden Kunstblumen der Gräfin Baudissin großen Beifalls, welche ganze Blumenstöcke, exotische Pflanzen aller Art, ganze Epheuhecken, natürlich alles „unverwelklich“, zur Zimmerdekoration verfertigt.

Mit den imitirten Blattpflanzen befreunden sich auch jene, welche sonst den Blumen „ohne Seele“ keinen Geschmack abgewinnen können. Freilich ist jeder Kunst eine Grenze gezogen. Wer baut die Epheublüthe nach, die sich dem Sonnenstrahl verschließt und ihren Kelch nur dem keuschen Mondlicht öffnet? die Mimose, die bei fremder Berührung zitternd ihre Blätter schließt? die Sonnenwende, die strahlenberauscht stets gegen Osten blickt? So weit indessen die Kunst reicht, muß sie mit der Natur dem ungeheuren Luxus dienen, den wir modernen Menschen mit den Blumen treiben. Tausende und Tausende eifriger Hände wirken und schaffen jahraus, jahrein, nur für ihn. Dann kehrt ja der Frühling immer wieder, der große Zauberer, der aus reichem Füllhorn seine Gaben streut.

Hugo Klein.     





Ferien!
Momentaufnahmen aus zwei Lebensaltern.
Von Maximilian Harden.

Lortzing läßt seinen Zaren Peter bekanntlich singen: „O selig, o selig, ein Kind noch zu sein!“ Im Parkett entsteht bei dieser musikalisch so schönen Stelle jenes eigentümliche Geräusch, welches sich aus allerlei Nasallauten nebst obligater Taschentuchbegleitung zusammensetzt - die ältesten jungen Damen stimmen dem sentimentalen Beherrscher aller Reußen wehmutsvoll zu, noch auf dem Heimweg säuseln sie leise vor sich hin. „O selig, o selig, ein Kind noch zu sein! Hu, wie kalt ist es geworden!“

Ich habe mich der Schwärmerei für die Kindheitsepoche niemals unbedingt anschließen können. Auf die so gern gestellte Frage „Möchten Sie nicht noch einmal Kind sein?“ habe ich stets mit einem so energischen „Nein“ geantwortet, daß die zartsinnigen Fragerinnen sich entrüstet ob solcher Gefühllosigkeit abwandten. Wenn man das Gymnasium in einer großen Stadt besucht hat, wenn man den schweren Kampf mit der Trigonometrie und Stereometrie bestanden und sich von einem Klassenexamen zum anderen mehr schlecht als recht durchgelogen hat, wenn man sich der heißen Mittagsstunden erinnert, wo man, nach hastig verschlungener Mahlzeit, auf den durchglühten Trottoirs eiligst der Schule zustrebte, um dort von 2 bis 4 Uhr in den entlegensten Winkeln der Weltgeschichte und der Syntax einherzutaumeln, dann gehört ein hoher Muth dazu, sich ernstlich nach den Fleischtöpfen der Gymnasiastenzeit zurückzusehnen.

Zweimal in jedem Jahr packt jedoch auch mich die brennende Sehnsucht nach den dämmerhellen Tagen der sorgenlosen Freiheit. Sobald die Zeit kommt, wo im Elternhause die Weihnachtstanne gekauft zu werden pflegte, wo die ersehnte Arbeit des Aufputzens begann, fängt auch das Heimweh nach der Jugend an sich zu regen – wie der Baum, den uns einst die Mutter anzündete, strahlt da doch nimmer ein anderer! Gerade die Weihnachtsstimmung, die uns alte zu frohen Kindern macht, ist auch solcher wehmütigen Rückerinnerungen am günstigsten, bald aber verhallt auch sie im Drange der Tageseindrücke und der Sorge für

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 530. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_530.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)