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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

als sie mir den Trunk brachte, galt, wie sich zeigte, auch nur der Unterbrechung des Tanzes überhaupt, nicht dem Verluste grade dieses Tänzers.

Da mir ihre frische Jugend sehr gefiel, suchte ich sie denn auch festzuhalten in dem Gespräch, das ich mit dem Ausdruck meines Bedauerns begonnen hatte, sie im Tanze gestört zu haben. Ziemlich unvermittelt antwortete sie darauf: seitdem sie den vorigen Winter bei ihrer Tante, der Wirthin „Zum goldenen Lamm“ in Kahla, zugebracht habe, gefiele ihr es gar nicht mehr, wie hierin ihrem Heimathsorte die Burschen tanzten. Die Herren Studenten, mit denen sie auf den Winterbällen in Kahla oft habe tanzen können, die walzten freilich auch gar zu schön. So sagte sie und blickte dabei unwillkürlich nach meinen Füßen, wie um zu prüfen, ob ich wohl in der Lage sei, dieses allgemeine Lob durch eigene Leistung als vollberechtigt zu erweisen. In der That war ich, damals wenigstens, ein besserer Tänzer als – Skatspieler. Der Blick des kecken Dirnleins auf meine nicht grade salonmäßig bekleideten Füße wirkte auf mich elektrisirend. Die Musik lockte, das Lachen und Singen der Tanzenden mahnte zum Mitthun und das schlanke Mädchen vor mir hätte gar nicht nöthig gehabt, so ermunternd mich anzureden. Als der alte Wirth, ihr Vater, sein gestricktes Käppchen lüftend und die lange Tabakspfeife aus dem linken Mundwinkel in den rechten nehmend, nun auch noch hinzutrat mit der Frage, ob ich nicht ein wenig mittanzen wolle, da war ich mit dem lustigen Flachskopf schon mitten unter den Tanzenden und wirbelte die mich leise Belobende flott im Kreise herum.

Es ging ganz prächtig. Das Mädchen war geschmeidig und leicht, wie selten eins, das auf dem Lande erwachsen ist. Und der keineswegs gebohnte Bretterboden war viel glätter, als ich beim ersten Anblick vermuthet hatte. Viel Unterhaltung gab’s dagegen nicht. So lange die Musik spielte, mußte ich auch das Tanzbein schwingen. Und trat eine Pause ein, so rief mir der Vater sein Kind fort, damit es ihm helfe, frisch Bier den Gästen zu bringen. Endlich konnte sie sich ein wenig Ruhe gönnen und als ob sich das von selbst verstände, setzte sie sich neben mich und trank mir ohne besondere Nöthigung ein drollig burschikoses Schmollis zu. Ich muß nun hier einschalten, daß ich damals noch recht blöde war, da ich während der Schulzeit ohne Verkehr mit Altersgenossinnen aufgewachsen war; die Rede floß daher meiner Nachbarin viel behender von den Lippen als mir, und meine Unbeholfenheit stimmte mich um so unbehaglicher, je mehr die kleine Wirthstochter sich Mühe gab, aus ihrem Aufenthalt bei der Tante in Kahla die Anschauung herzuleiten, daß sie nun eigentlich kein Landpomeränzchen mehr, sondern eine perfekte Städterin sei.

Ich fand diesen Ehrgeiz recht wenig angebracht, da mir das Leben auf dem Lande viel reizvoller als das in den Städten, namentlich aber als das in einer Kleinstadt erschien und ich war eben im Begriff, die Dummheit zu begehen, der kindlichen Einbildung der kleinen Dorfkokette mit pedantischen Einwänden zu begegnen, als ein plötzliches Ereigniß mich veranlaßte, vom Sitz aufzuspringen.

Wie ein Blitz aus heiterem Himmel und mit lautem Donnergedröhn kam plötzlich auf der Landstraße ein zweispänniger Herrschaftswagen mitten auf den Platz gesaust und in demselben Moment, da ich das Fuhrwerk in der emporgewirbelten Staubwolke deutlicher erkennen konnte, rissen die Stränge, die Deichsel brach mit Krachen und die wildgewordenen Pferde schleiften den Kutscher ein Stück vorwärts, bis auch die Zügel nicht mehr hielten und die Rosse ungehindert weiter stürmten. Während die Theilnahme der Bauern sich vor allem den Pferden zuwandte und dann dem Kutscher zugute kam, hatte mich unwillkürlich mein Interesse dem Wagen zugetrieben, an welchem mit der Deichsel gleichzeitig ein Rad gebrochen war. Ich kam grade zurecht, um den Insassen aus dem Wagen zu helfen; es waren drei Damen der verschiedensten Altersstufen, nur die Urahne fehlte, um das berühmte Quartett der Schwabschen Ballade vollzählig zu machen. Großmutter, Mutter und Kind dankten alle drei sehr höflich, überzeugten sich schnell, daß der Kutscher sich nichts Ernstliches durch den Fall zugezogen, und gingen dann auf das Wirthshaus zu, den sie geleitenden Wirth bittend, dafür Sorge zu tragen, daß der Schmied schleunigst herbeikomme, um die Schäden des Wagens so gut wie möglich in aller Schnelligkeit auszubessern. Das Wort führte in dieser Sache die Großmutter, eine etwas korpulente, aber noch sehr rüstige Dame, welcher die Brille, die sie trug, nichts von der Freundlichkeit des Ausdrucks raubte, der das Gesicht trotz des Unfalls schon beim Aussteigen belebt hatte. In der Mutter fanden sich diese Züge faltenlos und in frauenhafter Frische wieder. Und gar erst in der Tochter! Sie müssen mir verzeihen, daß ich es Ihnen überlasse, sich aus siebzehn Jahren schlanken Gliedern, braunen träumerischen Rehaugen in einem zarten, aber gesunden Mädchenangesicht ein Bild auszumalen, das annähernd dem gleichkommt, welches mir in der Erinnerung haftet. Während die beiden älteren Damen schwarze Kleider trugen, war das Mädchen ganz weiß gekleidet; um den Hals trug es eine Schnur weißer Perlen. Ich hatte ihnen gleich beim Aussteigen die Schirme und Mäntel abgenommen und machte mir ein Vergnügen daraus, dies Handgepäck ihnen nach dem Sitze zu tragen, den ihnen der Wirth in der Laube seines kleinen Gärtchens, das links an sein Haus grenzte, anwies. Die älteren Damen zeigten sich sehr dankbar für meine kleinen Ritterdienste. Während mich aber ihre würdevolle Freundlichkeit trotzdem mit einiger Verlegenheit erfüllte, erweckte die schweigsame Sympathie, mit der mich das kleine schlanke Fräulein von der Seite wiederholt anschaute, eine mir bis dahin im Verkehr mit Damen völlig unbekannte Stimmung von Vertrauensseligkeit. Wie ich nun eben nach Worten suchte, um dieses Empfinden in irgend passender Form zum Ausdruck zu bringen – die Damen hatten gerade in der von weißem und blauem Flieder dicht umblühten Laube Platz genommen – da that sich die Gartenthür hinter mir auf und die Stimme der blonden Wirthstochter, die aber gar nicht mehr lustig klang, rief mir zu, daß eben wieder der Tanz beginne, und ich habe ihr doch noch einen versprochen. Ich murmelte verwirrt etwas von älteren Pflichten, verbeugte mich verlegen und ging zögernd auf die unwillkommene Ruferin zu, die mich, als habe sie wunder welche Rechte auf meine Galanterie, an der Gartenthür mit dem Vorwurf empfing:

„Ja, so sind die Herren Studenten. Ist niemand besseres zur Hand, so machen sie ungenirt uns Mädchen vom Lande die Kour; kaum aber zeigt sich etwas Vornehmeres, so ist man für die stolzen Herren nicht mehr auf der Welt!“

Da ich dem Mädel mit keinem Worte ein Recht zu solchem Anspruch gegeben, verdroß mich diese Art sehr, und als ich ein paarmal mit der mich jetzt sehr zärtlich an sich Drückenden herum getanzt und dabei zwischen den flatternden Birkenzweigen in der Richtung des Gartens ein weißes Kleid schimmern gesehen hatte, ließ ich die kleine Eifersucht nach einer förmlichen Verbeugung ruhig stehen und schritt mit einer mich selbst überraschenden Kühnheit direkt aus das fremde Mädchen zu, welches neugierig von der Gartenthür aus dem fremdartigen Treiben unter der Linde zuschaute, begrüßte sie fröhlich und ermunterte sie, von der Pfingstfreiheit, die heute alle guten Menschen verbrüdere, Gebrauch zu machen und auf dem ländlichen Tanzplatz mit einem fahrenden Bruder Studio einmal herum zu tanzen. Ihre Mutterwürde wohl nichts dagegen haben.

In den träumerischen Augen des zarten Geschöpfs blitzte es von heller Lebenslust auf; sie blickte sich um zu ihrer Mutter, welche hinter ihr stand, und da diese uns gewährend zunickte, war sie im Nu an meiner Seite.

„O wie schön, wie romantisch!“ rief sie leise, „ja, Pfingstfreiheit! – das war’s, wonach ich mich sehnte, als ich vorhin aus der heißen Kutsche unbefriedigt auf die um uns aufwirbelnden Staubwolken sah und mich mißgestimmt fragte: ist das Pfingsten? Ist das Reiselust? Wie dankbar bin ich Ihnen!“

Wir waren auf dem Podium; die Musik begann eben ein neues Stücks lustig und fidel wirbelten die Klänge; lustig und fidel wiegten wir uns auf und nieder.

„Nein, seht nur den Fuchs an!“ hörte ich plötzlich die Stimme des einen meiner beiden Reisekameraden vom Zaune her ziemlich laut sagen. „Wetter, was der Kerl für ein Glück hat! Während wir im Skat verlieren, läßt sich der Taugenichts zur Belohnung dafür, daß er fein artig das Kartenspiel meidet, das schönste Prinzeßchen vom Himmel herunterzaubern, nur damit er auch sein Vergnügen habe.“

„Aber nun ist es Zeit,“ rief der andere, als der Tanz gerade zu Ende war. „Es ist so wie so spät geworden.“

Und mit der Autorität eines Leibburschen, die keine Widerrede verträgt, trat er auf mich zu und sagte unter stummer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 544. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_544.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)