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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

armen Doktor, der diesem Besuche mit einer wahren Herzensangst entgegensah. Er wagte gleichwohl nicht, sich zu sträuben, denn er war es nun einmal gewohnt, sich von seinem Freunde beherrschen zu lassen. So nahm er denn auch jetzt den neu aufgebügelten Hut, der trotzdem sein ehrwürdiges Alter nicht verleugnete, vom Tische und machte Anstalt, die berühmten „Gelben“ anzuziehen, während er ergebungsvoll sagte:

„Wenn es denn durchaus nicht anders geht – in Gottes Namen!“ –

Oberhalb der Bahnlinie, etwa eine halbe Stunde von dem künftigen Stationsgebäude entfernt, lag die neue Villa des Präsidenten, zu der ein eigens angelegter, bequemer Weg führte. Das Haus, in dem hier üblichen Gebirgsstil, mit vorspringendem Dach und zierlichen Holzgalerien, entsprach wenigstens äußerlich seiner Umgebung, war aber trotz seines einfachen Gewandes vollkommen darauf eingerichtet, einen so anspruchsvollen Haushalt wie den Nordheimschen aufzunehmen. Die Lage war prachtvoll und bot die Aussicht über den schönsten Theil des Gebirges; die Matten ringsum hatte man mit Anlagen versehen und den nahen Wald in einen kleinen Naturpark verwandelt. Das hatte freilich unendliche Mühe und unglaubliche Kosten verursacht und sollte doch im Grunde nur für einen Aufenthalt von wenig Wochen dienen, aber Nordheim pflegte nicht nach den Kosten zu fragen, wenn er irgend etwas plante, und gab dem Baumeister unbeschränkte Vollmacht. Elmhorst hatte denn auch in der That ein kleines Meisterwerk geschaffen in diesem Bergschlößchen, das zum Eigenthum seiner Braut bestimmt war.

Im Inneren hatte man freilich auch nicht mehr den Schein der Einfachheit festgehalten. Das Licht fiel durch bunte, kostbar gemalte Scheiben auf Flur und Treppen, und teppichbelegte Stufen führten zu einer Reihe von Zimmern, die, wenn auch nicht so prachtvoll wie die Salons in der Stadt, ihnen an Luxus und Behaglichkeit doch wenig nachgaben. Es waren reizende kleine Nestchen, vorwiegend in lichten Farben gehalten, und jedes einzelne bot eine entzückende Fernsicht.

Der Präsident war erst vor einigen Tagen mit seiner Familie auf der neuen Besitzung eingetroffen und Alice, der die Höhenluft verordnet war, sollte die beiden Sommermonate hier zubringen. Nordheim selbst hatte wie gewöhnlich keine Zeit zur Erholung, er nahm hier nur sein Absteigequartier, zur Besichtigung der Bahnarbeiten, wie er es früher in Heilborn genommen hatte, und jetzt riefen ihn schon wieder Geschäfte nach der Stadt zurück. Er hatte allerdings schon am Morgen abreisen wollen, war aber durch eingetroffene Briefe, die sofort erledigt werden mußten, noch einige Stunden zurückgehalten worden. Sein Wagen stand bereits angespannt und er selbst befand sich bei seiner Nichte, die er kurz vor der Abfahrt noch sprechen wollte.

Ernas Zimmer lag im oberen Stockwerke, die Glasthür, welche auf die Galerie führte, war geöffnet und draußen lag Greif, behaglich im Sonnenschein ausgestreckt.

Der Hund war fast das einzige Andenken, welches das junge Mädchen damals aus der Heimath mitgenommen hatte, dies eine aber vertheidigte sie auch mit der ganzen Leidenschaftlichkeit ihrer Natur gegen den Onkel und Frau von Lasberg, die das „lästige Geschöpf“ nicht dulden wollten. Es sollte zurückbleiben, aber da gab es eine unendlich stürmische Scene. Erna weigerte sich entschieden, das Haus zu verlassen, wenn man ihr nicht gestatte, Greif mitzunehmen, und Nordheim hatte endlich nachgegeben, unter der Bedingung, daß der Hund niemals in die Wohnräume der Familie komme.

Das war denn auch nicht geschehen, Greif war überhaupt manierlicher geworden, er hatte Lebensart gelernt und es fiel ihm jetzt nicht mehr ein, im Salon eine Jagdscene aufzuführen; aber das damals noch sehr junge Thier hatte sich erst jetzt zu seiner vollen Kraft und Schönheit entwickelt. Es hatte etwas Löwenartiges, als es so ausgestreckt lag, mit den mächtigen Pranken dem langen dunkelgelben Fell und den grossen schwarzen Augen, die jeder Bewegung seiner jungen Herrin folgten.

Es mußte eine ganz besondere Veranlassung sein, die den Präsidenten zu Erna führte. Er hatte ja sonst überhaupt niemals Zeit für seine Familie und auch nicht das Bedürfniß, mit ihr gemüthlich zu verkehren; sie sah ihn gewöhnlich nur bei Tische, wenn er nicht tage- und wochenlang abwesend war. Selbst sein Verhältniß zu der eigenen Tochter war ein sehr kühles und seiner Nichte stand er vollends fremd und kalt gegenüber. Er lebte und webte nur in seiner geschäftlichen Thätigkeit, alles andere, sogar die Familienbeziehungen, waren ihm vollständig Nebensache.

Er war im vollen Reiseanzuge eingetreten, ohne Platz zu nehmen, und sagte flüchtig, wie im Vorbeigehen:

„Ich wollte Dir nur mittheilen, daß ich vor einer Stunde einen Brief von Waltenberg erhalten habe. Er ist gestern in Heilborn eingetroffen und denkt einige Wochen dort zu bleiben, wahrscheinlich macht er Euch morgen einen Besuch.“

Die Worte klangen gleichgültig, aber es lag eine gewisse Schärfe in dem Blick, der dabei auf Erna ruhte. Sie nahm die Nachricht ebenso gleichgültig auf und erwiderte ruhig:

„So? Dann werde ich Alice und Frau von Lasberg benachrichtigen.“

„Frau von Lasberg weiß es bereits und wird es nicht an der nöthigen Rücksicht fehlen lassen; ich wünsche aber, daß sie ihm auch von – anderer Seite zu theil wird. Hörst Du, Erna?“

„Ich wüßte nicht, Onkel, daß ich gegen Deinen Gast rücksichtslos gewesen wäre.“

„Meinen Gast? Als ob Du nicht so gut wie ich wüßtest, was ihn an unser Haus fesselt und was ihn jetzt nach Heilborn führt. Er will endlich einmal Gewißheit haben, und ich kann es ihm nicht verdenken, wenn er des Spiels müde ist, das nun schon monatelang mit ihm getrieben wird.“

„Ich habe nie mit Herrn Waltenberg gespielt,“ sagte Erna kühl. „Ich fand es nur für nötig, ihm gewisse Schranken zu ziehen, denn er scheint der Meinung zu sein, daß er nur die Hand auszustrecken braucht, wenn irgend etwas seinen Wunsch reizt.“

„Nun, wir wollen nicht darüber streiten, denn Du scheinst mit Deiner kühlen Zurückhaltung grade das Rechte getroffen zu haben. Männer wie Waltenberg, die einen förmlichen Kultus mit ihrer Freiheit treiben und jedes Familienband als eine Fessel empfinden, wollen eigenartig behandelt sein. Ein Entgegenkommen hätte ihn vielleicht stutzig gemacht, das scheinbar Versagte reizt ihn.“

Die Augen des Mädchens flammten unwillig auf.

„Die Berechnung stellst Du an, Onkel – nicht ich!“

„Gleichviel, wenn sie nur richtig ist,“ sagte Nordheim, ohne auf den Vorwurf zu achten, der in den Worten lag. „Ich habe mich bisher nicht eingemischt, weil ich sah, daß der Weg trotzalledem zum Ziele führte, jetzt aber wünsche ich, daß Du nicht länger einer Erklärung ausweichst. Ich zweifle nicht, daß Waltenberg schon in der nächsten Zeit die entscheidende Frage an Dich stellen wird, und Deine Antwort –“

„Könnte anders ausfallen, als er es wünscht!“ ergänzte Erna mit voller Bestimmtheit.

Der Präsident stutzte und sah seine Nichte forschend an.

„Was soll das heißen? Du wirst doch nicht etwa den tollen Einfall haben, ihn abzuweisen?“

Sie schwieg, aber in ihrem Antlitz zeigte sich wieder jener herbe Trotz, der schon dem sechzehnjährigen Mädchen eigen war. Nordheim mochte diesen Ausdruck kennen und wissen, was er verhieß, denn er runzelte finster die Stirn.

„Erna, ich erwarte mit aller Bestimmtheit, daß meinem ernsten und wohlüberlegten Plane keine unnöthigen Hindernisse bereitet werden. Es handelt sich um Deine Vermählung mit einem Manne –“

„Den ich nicht liebe!“ unterbrach sie ihn heftig.

Nordheim lächelte, halb spöttisch, halb mitleidig.

„Dachte ich es doch, daß wieder irgend eine Ueberspanntheit dahinter stecken würde! Liebe! Die sogenannten Liebesheirathen enden stets mit Enttäuschung. Eine Ehe muß auf vernünftigerer Grundlage aufgebaut werden und Alice giebt Dir das Beispiel dazu. Glaubst Du vielleicht, daß sie sich von romantischen Gefühlen bestimmen ließ bei ihrer Verlobung, oder daß Wolfgang es that?“

„O nein – er am wenigsten!“ sagte Erna mit unverschleierter Verachtung.

„Was in Deinen Augen natürlich ein Verbrechen ist! Ich vertraue ihm trotzdem die Zukunft meiner Tochter an und bin überzeugt, daß er ein guter Ehemann sein wird. Einen Romantiker hätte ich mir überhaupt nicht zum Schwiegersohn gewählt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 550. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_550.jpg&oldid=- (Version vom 26.3.2019)