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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

trug den Purpurmantel des Schwarzen Adlerordens und gleich ihm die meisten übrigen Fürsten und Ritter dieses Ordens. Zu beiden Seiten des Thrones sah man die greisen Paladine Kaiser Wilhelms I., Bismarck, Moltke u. a., die Minister und Mitglieder des Bundesraths, die Generalität und die Hofchargen – und ihnen gegenüber hatten, Freund und Gegner friedlich dicht neben einander, die Mitglieder des Reichstags Aufstellung genommen, die Minderzahl im schlichten Gesellschaftsanzug, die Mehrzahl in Civil- und Militäruniformen und den bunten Staatskleidern der preußischen Ritterschaft.

Einen ergreifenden Eindruck machte es, als der greise Fürst Bismarck, das Knie vor dem jungen Monarchen beugend, diesem die Thronrede überreichte. Stehend verlas der Kaiser das wichtige Aktenstück; er sprach kurz, fast abgerissen, aber deutlich, die Hauptstellen der Rede mit erhobener Stimme scharf markirend.

„Ich bin entschlossen, Frieden zu halten mit jedermann, so viel an Mir liegt!“ – der kurze Satz mochte wohl der bedeutungsvollste und inhaltschwerste der ganzen Thronrede sein und der Telegraph trug ihn mit Blitzesschnelle hinaus in alle Länder der Welt. Markig wie das Wesen des jungen Kaisers sind diese Worte des Friedens, ernst, ohne Drohung, fest und vertrauenerweckend. Sie sind das Regierungsprogramm des Monarchen, ein Gelübde, den Frieden des Reiches zu schützen und zu schirmen so lange es geht – und wenn er einst von seinem Worte sollte lassen müssen, dann trifft nicht ihn die Schuld. – Es war die schlichte, überzeugende Sprache der Wahrheit, die ein lebhaftes Echo fand in der großen glänzenden Versammlung der ersten Reichstagseröffnung unter Wilhelm II. und im Herzen des ganzen deutschen Volkes, und der Ernst dieses Kaiserwortes fand Achtung und Würdigung weit über die Grenzen des Deutschen Reiches hinaus.


Rudolf Siemering.


Adalbert v. Chamisso. Am 21. August sind fünfzig Jahre verflossen seit dem Tode eines Dichters, der in unserer Litteratur eine durchaus originelle Stellung einnimmt. Von französischer Herkunft, hat er sich auf dem deutschen Parnaß einen Ehrenplatz erobert – und das ist ein einzig dastehender Fall in unserem seit Jahrhunderten so oft von Frankreich her beeinflußten Schriftthum. Wir haben soviele französirende deutsche Dichter, daß ein deutschdichtender Franzose zu ihnen in einem höchst seltenen Gegensatze steht. Und doch fällt ein Dichter wie Chamisso schwer ins Gewicht, da er Bedeutendes und Dauerndes geschaffen hat, was sich von jenen Eintagspoeten meistens nicht sagen läßt.

Freilich hat Chamisso, am 30. Januar 1781 auf dem Schlosse zu Boncourt in der Champagne geboren, vom Jahre 1790 ab, wo er mit seinen Eltern ausgewandert war, eine deutsche Erziehung erhalten auf dem französischen Gymnasium in Berlin. Er war Page der Gemahlin Friedrich Wilhelms II. und trat dann 1798 in ein Berliner Regiment ein, wo er 1800 Lieutenant wurde. Noch hatten sich seit der Schlacht von Roßbach die preußischen und französischen Heere nicht gemessen; die Schmach des Marschalls Soubise war noch ungerächt und es mochte in Frankreich als eine Art von Vaterlandsverrath erscheinen, daß der Sohn einer emigrirten Familie unter den preußischen Fahnen diente. Im Jahre 1806 trat er aus diesen Diensten wieder aus, führte ein wechselvolles Wanderleben, begab sich nach Paris und verweilte später längere Zeit bei der geistreichen Frau von Staël in Coppet. Hier begann er mit 32 Jahren naturwissenschaftliche Studien, die er mit großem Eifer an der Berliner Universität fortsetzte. In den Jahren 1815 bis 1818 begleitete er den russischen Seekapitän Kotzebue auf seiner Reise um die Welt als naturforschendes Mitglied der Expedition. Nach seiner Rückkehr erhielt er eine Anstellung am botanischen Garten, wurde Mitglied der Akademie der Wissenschaften, gründete sich eine Häuslichkeit und lebte so theils den Studien, theils der Dichtung bis zu seinem Tode 21. August 1838.

Der deutschen Sprache längere Zeit hindurch nicht vollkommen mächtig, zeigte er sich doch als sprachgewaltiger Beherrscher derselben schon in seinen ersten Dichtungen; die graziöse Schalkhaftigkeit des französischen Geistes war in „Peter Schlemihls wundersamer Geschichte“, dieser klassischen Humoreske, nicht zu verkennen und sie schützte ihn auch davor, sich in den Irrgängen der romantischen Schule zu verlieren, welche damals in Deutschland den Ton angab. Ferner schützte ihn davor seine tüchtige naturwissenschaftliche Bildung, welche die Dinge der Wirklichkeit fest und klar ohne Verschleierung und Verzauberung ins Auge faßt, und der Weltblick, den er bei seiner großen Seereise erproben konnte, über welche er Bemerkungen und Ansichten von praktischem und wissenschaftlichem Werthe veröffentlicht hat. Diese Weltreise befruchtete nach seine Phantasie mit großartigen Anschauungen und eine Dichtung wie „Salas y Gomez“, ein Stimmungsbild aus dem Großen Ocean, mit dem ergreifenden Ausdruck einer grenzenlosen Weltverlassenheit, ist als die schönste Frucht dieser großen Reise zu bezeichnen. Das Herbe und Schroffe in Chamissos Charakter prägt sich in diesen Versen von meisterhaftem Gefüge und ehernem Stil aufs nachdrücklichste aus. An diese Dichtung schloß sich der junge Westfale Freiligrath an, als er die Wunder der Ferne in phantasievollen Gedichten schilderte. Die Balladen Chamissos wie „Die Löwenbraut“ haben Kraft und Spannung und eine gewisse Treffsicherheit des oft knappen Ausdrucks. In seinen Liedern wechselt graziös sich Einschmeichelndes mit herbem Ton; es ist viel Kindliches, bisweilen auch Schelmisches darin. Einige seiner Liedercyklen aber haben sich eingebürgert im deutschen Hause und ihn besonders zu einem Lieblinge der Frauenwelt gemacht.

Die „Gartenlaube“ hat des Dichters in vielen Artikeln gedacht; eine eingehende Würdigung desselben enthält der Artikel „Adalbert von Chamisso“ von Hermann Schults, welcher im Jahrgang 1881 (S. 4) zu seinem hundertsten Geburtstage erschien.

†     

Ein verkanntes Genie. (Mit Illustration S. 549.) Jeder giebt den Werth sich selbst – sagt Butler im „Wallenstein“, und wir dürfen wohl nicht daran zweifeln, daß unser Schildermaler, der eben damit beschäftigt ist, ein wildes Schwein mit voller Naturwahrheit auf das Wirthshausschild zu pinseln und daneben ein Stillleben mit Würsten und Weingläsern, sich für einen Künstler hält, welcher den großen holländischen Meistern der Thier- und Stilllebenmalerei vollkommen ebenbürtig ist. Sein Künstlerkopf ist allerdings ausdrucksvoll genug, und die Art und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 563. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_563.jpg&oldid=- (Version vom 14.12.2020)