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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

zwei biblische Frauengestalten auf die Bühne: Sulamith, die Braut des Hohen Liedes, und die Königin von Saba. Für eine dramatische Handlung giebt die biblische Ueberlieferung keinen Anhaltspunkt, hier mußte die freie Erfindung des Dichters ergänzend eintreten. Die Königin von Saba liebt den wegen seiner Weisheit hochgerühmten König von Israel mit heißer Leidenschaftlichkeit; aber dieser empfindet für das Gärtnermädchen Sulamith eine glühende Neigung, die jedoch nicht den König, sondern einen armen Hirten liebt. Der letztere begeht ein Attentat gegen den Herrscher, wird zum Tode verurtheilt und kann nur dadurch gerettet werden, daß Sulamith den Wünschen des Königs Gehör schenkt. Doch schon festlich als Braut geschmückt, bebt sie in dem entscheidenden Augenblick vor solchem Opfer zurück und eilt in die Arme des Geliebten, um vereint mit ihm den Tod zu erleiden. Salomo aber bezwingt sich selbst und verzichtet auf diese Liebe, er begnadigt den Verbrecher. Das eben ist seine Weisheit.

Die Königin von Saba kann da diesem Verlaufe der Handlung keine dramatisch entscheidende Rolle spielen. Sie ist von Eifersucht entbrannt und sucht Sulamith zu entführen. Doch ihr Plan mißlingt, und so bewegt sie sich nur in leidenschaftlichen Ergüssen, denen jeder dramatische Abschluß fehlt, denn der Verzicht Salomos kommt ihr nicht zu statten. Seine Gleichgültigkeit gegen die hohe Dame mit der Phönixfeder hält von Anfang bis zum Ende Stich, und nachdem sie Salomo genügend „interviewt“, kehrt sie wieder in ihr Goldland zurück. Das altbiblische Kolorit ist überhaupt an dem Stücke verwischt; an seine Stelle sind moderne Empfindungen und Zustände gesetzt, denn die Eifersucht gegenüber einem König, der tausend Frauen besitzt, dürfte wenig am Orte sein. Doch man kann die Dichter nicht tadeln, welche die kulturgeschichtliche Wahrheit opfern, um nicht der berechtigten Wirkung auf ihre Zeitgenossen verlustig zu gehen.

Wenn in diesem Stücke das Seelengemälde über die energisch fortschreitende Handlung überwiegt, so haben wir in unserer Litteratur klassische Vorbilder, denen man das Gleiche nachsagen muß und welche doch ihre Bedeutung behaupten. An dichterischem Reize fehlt es ja auch dem Heyseschen Schauspiel nicht. In den Scenen des Gartenidylls herrscht Anmuth und Lieblichkeit, die Weisheit des Königs spricht sich oft mit einer salbungsvollen Milde aus, viele Sentenzen haben ein anmuthendes Gepräge, eine edle künstlerische Fassung, das Ganze ist in eine sanfte Beleuchtung gerückt, welche die Sympathien der Zuschauer zu wecken und festzuhalten vermag.

Ganz im Gegensatze zu Paul Heyse hat Ernst von Wildenbruch etwas dramatisch Markiges in seinen Schöpfungen, und gerade die leidenschaftlichen Scenen, in denen Heyses Muse sich nicht recht heimisch fühlt, sind die Domäne, in welcher Wildenbruch vorzugsweise zu Hause ist. Sein Schauspiel „Der Fürst von Verona“ ist am Berliner Hoftheater gegeben worden, sonst aber im Lauf der vorletzten und letzten Saison nur über wenig Bühnen gegangen. Es hat im Stoffe eine gewisse Aehnlichkeit mit „Romeo und Julie“; es stellt eine Liebe dar, die sich in der Mitte wilder Parteikämpfe entfaltet. Wie dort die Montecchi und Capuletti, so befehden sich hier die Guelfen und Ghibellinen. Selvaggia, des guelfischen Grafen San Bonifazio Tochter, träumt von einer Versöhnung der Parteien; ihre Stiefmutter aber will ihre Hand einem der erbittertsten und wildesten Guelfen Scaramello, geben. Die Tochter jedoch wendet ihr Herz dem neuen ghibellinischen Fürsten von Verona, Mestino della Scala, zu, der durch sein mildes würdiges Wesen die Neigung eines edeln Mädchens verdient. Ihr Bund scheint Frieden und Versöhnung zu verbürgen. Doch der Uebergang des Königs Konradin über die Alpen entflammt von neuem den Kampf der Parteien und Selvaggia fällt als Opfer der wilden Wuth des von ihr verschmähten Scaramello.

In diesem Gemälde fehlt es nicht an Scenen von leidenschaftlicher Kraft; einzelnes ist auch sehr anmuthend, wie beim Beginn des Stückes der Rosenkrieg im Klostergarten, in dem sich die Töchter der Guelfen und Ghibellinen gegenseitig mit weißen und rothen Rosen bewerfen. Doch die Haupthandlung löst sich nicht scharf genug von den tumultuarischen Gruppen los, welche in ihrer lärmenden Aufdringlichkeit das Drama zu oft in das Gebiet der Historie hinüberziehen; dadurch verzettelt sich die Theilnahme des Publikums, und durch diesen Fehler gegen die Kunst der dramatischen Perspektive wird manche schöne Wirkung einer im ganzen leidenschaftlich bewegten Darstellung geschädigt.

Der Haupttreffer der letzten Saison war ein spanisches Stück „Galeotto“ von José Echegaray, welches in der Bearbeitung von Paul Lindau über fast alle großen und nennenswerthen deutschen Bühnen ging. Warum soll unsere dramatische Muse, die so oft französisch aufgeputzt erschien, nicht auch einmal, wie es im „Egmont“ heißt, spanisch kommen? In geschickterer Weise als von Paul Lindau konnte ein neuspanisches Drama bei uns nicht eingeführt werden. Lindau machte kurzen Prozeß mit den spanischen Trochäen und kleidete das Ganze in einen gewandten und pikanten Dialog nach den besten französischen Mustern ein. Der Grundgedanke des Stückes aber ist ein sehr beachtenswerther. Der gesellschaftliche Klatsch mit seinen Verleumdungen ist so von manchem neuen Schauspieldichter, wie z. B. von Scribe, als dramatisches Motiv benutzt worden; aber in „Galeotto“ findet sich eine ganz neue Variante desselben. Was in der Gesellschaft erzählt wird, ist unwahr: das Verhältniß, von dem man spricht, besteht nicht. Aber es wird gerade durch diesen Klatsch hervorgerufen.

Ein junger Schriftsteller ist mit einer verheirateten Frau befreundet; die öffentliche Meinung spricht von einem skandalösen Verhältniß. Dadurch aber werden die Beziehungen zwischen den beiden immer inniger, gerade durch die Duelle und ernsten Begebenheiten, die aus diesem Klatsch hervorgehen. Wer aber ist der Schuldige? Der dramatische Dichter und der dramatische Held kann aus der unfaßbaren Menge nur einen herausgreifen, welcher derartige Gerüchte kolportirt hat. Das ist ober nur ein schwacher Träger der Gegenbewegung im Schauspiel, die dadurch etwas Zufälliges erhält. Die Handlung selbst indeß ist mit großer Gewandtheit durchgeführt; der Grundgedanke wirkt frappirend; aber weiß man einmal Bescheid damit, so wird das Stück wie ein gelöstes Räthsel erscheinen und kaum auf die Dauer fesseln.

In Leipzig, Prag und an einigen anderen Bühnen ist ein neues Schauspiel von Richard Voß, „Eva“, mit Erfolg gegeben worden. Man darf es dem Stücke nachrühmen, daß über einzelne Scenen der Zauber warmen Empfindens gebreitet ist und daß die großen Auftritte mit leidenschaftlichem Nachdruck behandelt sind. Das schöne Talent von Richard Voß hat Mark und Kraft; doch die Plötzlichkeit der Wendungen und Wandlungen in diesem Schauspiel hat etwas Befremdendes und Gewaltsames.

Eva, eines Grafen Tochter, ist mit einem gräflichen Vetter verlobt. Als der Vater durch Spekulationen sich ruinirt hat, als der Unwille der Arbeiter gegen ihn losbricht, als Vetter Ellimar gegen diese mit Gewaltmaßregeln einschreiten will, da sagt sie sich plötzlich von dem Bräutigam los, mit dem sie dem Anschein nach überhaupt wenig harmonirt, und reicht einem bürgerlichen vermögenden Fabrikanten ihre Hand, der für sie begeistert ist und der durch den Ruin ihres Vaters, dem er alles Vertrauen geschenkt, selbst bloßgestellt und dem Zorn des Volkes preisgegeben wird.

Diese Scenen erinnern theils an das „Fallissement“, theils an den „Hüttenbesitzer“, doch fehlt ihnen das Ueberzeugende der dramatischen Beweisführung, wie es jenen Stücken eigen ist. Eva lebt mit Hertwich nicht glücklich; sie ist offenbar einer launenhaften Eingebung gefolgt, als sie ihn zum Gatten wählte. Im Grunde liebte sie Ellimar, was sie selbst überrascht und auch uns überraschen muß, da wir im ersten Akte von dieser Liebe wenig merken. Ellimar, den plötzlich eine unbezwingliche Sehnsucht nach seiner früheren Braut ergriffen hat, kehrt aus Neapel zurück und Eva, durch seine Liebesbetheuerungen bethört, verläßt Gatten und Kind und folgt blindlings dem jungen Grafen. Dieser denkt aber nicht daran, sie zu heirathen; er hat nebenher ein anderes Verhältniß; sie greift zur Pistole, die ihr eine verlassene Geliebte Ellimars, eine Art von Gräfin Orsina, reicht, und erschießt ihn. Darauf folgt im letzten Zwischenakte die Zuchthausstrafe und im letzten Akte ein melodramatisches Sterben, nach französischen Mustern.

Der Charakter der launenhaften und abenteuerlichen Heldin erregt bei ruhiger Erwägung der Vorgänge schwerwiegende Bedenken

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 570. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_570.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)