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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Geierklippe hinabzuführen, aber dieser nähere Weg scheint nicht ganz gefahrlos zu sein.“

„Bei Mondlicht ist er das allerdings nicht.“

„Dann geben wir es auf. Ich habe mich bei Frau von Lasberg für eine sichere und rechtzeitige Rückkehr verbürgt und muß ihr Wort halten. Gronau mag allein mit dem Führer über die Klippe hinabsteigen, da er große Lust dazu zu haben scheint. Wir treffen ja doch später auf dem Hauptwege zusammen.“

Es ergab sich ganz von selbst, daß die kleine Gesellschaft den Rückweg gemeinsam antrat, nur Gronau und Sepp schlugen eine andere Richtung ein mit der Verabredung, an einem bestimmten Punkte wieder zu den Uebrigen zu stoßen. Die Matte mit dem immer mehr niedersinkenden Feuerschein verschwand, und bald verschlang auch der schweigende Bergwald das Lachen und Jauchzen dort oben. Das Gespräch der Niedersteigenden stockte gleichfalls; sie mußten auf den Weg achten, der zwar weder steil noch gefährlich war, aber die dichten Tannen fingen das Mondlicht auf und ließen nur hier und da einen Strahl hindurch, so daß man immerhin vorsichtig sein mußte. Waltenberg blieb dicht an Ernas Seite, die anderen beiden folgten. So ging es bergabwärts, etwa eine halbe Stunde lang, da war der Saum des Waldes erreicht und sie traten hinaus auf die weite Bergeshalde.

„Dort flammt und leuchtet es noch überall,“ sagte Waltenberg, auf die anderen Höhen deutend, wo die Bergfeuer noch größtenteils sichtbar waren. „Die Wolkensteiner haben sehr früh angezündet, Ihre Majestät die Alpenfee hatte den Vortritt und sie scheint sich auch wirklich zu Ehren der Sonnwendnacht entschleiern zu wollen.“

Er hatte recht. Der Wolkenstein, dessen Gipfel sich hier in seiner vollen Mächtigkeit zeigte, war während des ganzen Abends verschleiert gewesen, erst jetzt begann das Gewölk zu weichen, das sein Haupt verhüllte.

„Mich wundert nur, daß Herr Gronau und Sepp noch nicht hier sind,“ bemerkte Erna, die sich etwas befremdet umsah. „Sie müßten eigentlich schon vor uns eingetroffen sein, ihr Weg ist der nähere.“

„Vielleicht hat sie irgend ein Zauberspuk aufgehalten,“ sagte Benno lachend. „Die Johannisnacht ist ja bereits angebrochen und da ist das ganze Geisterweben los in den Bergen. Ich wette darauf, die beiden haben mit irgend einem Gespenst zu thun, oder sie graben noch ist aller Eile einen von den versunkenen Schätzen aus, die ja heute allesammt aus der Tiefe heraufsteigen. Ah, da sind sie!“

Es war allerdings Sepp, der da drüben auf der anderen Seite erschien, aber er war allein und die Hast und Eile, mit der er näher kam, verhieß nichts Gutes.

"Was giebt es?“ fragte Waltestberg ihm entgegentretend. „Es ist doch nichts vorgefallen? Wo ist Herr Gronau?“

Sepp wies nach der Richtung, ist welcher die Geierklippe lag.

„Dort oben! Wir haben einen Unfall gehabt, der Herr ist ausgeglitten auf dem Felsen und der Fuß –“

„Ist doch nicht etwa gebrochen?“

„Nein, so arg wird’s nicht sein, denn wir kamen noch hinunter auf den festen Boden, aber weiter ging es nicht. Der Herr ist droben im Walde und kann den Fuß nicht regen, und da wollte ich den Herrn Doktor doch bitten, einmal nachzuschauen.“

„Natürlich müssen wir nachschauen!“ rief Reinsfeld, der sofort bereit war. „Wo haben Sie ihn denn zurückgelassen? Ist es weit von hier?“

„Nein, nur eine kleine Viertelstund’ aufwärts.“

„Ich gehe gleichfalls mit,“ sagte Waltenberg rasch. „Ich muß doch nach Gronau sehen, bitte bleiben Sie, gnädiges Fräulein, Sie hören ja, es ist nicht weit und wir kommen sofort zurück.“

„Wäre es nicht am besten, wir stiegen allesammt hinauf?“ fragte Elmhorst. „Vielleicht ist auch meine Hilfe notwendig.“

„Nun ein verrenkter oder schlimmstenfalles gebrochener Fuß ist doch keine Lebensgefahr,“ meinte Benno. „Da reichen wir drei aus zur Hilfe, selbst wenn wir Herrn Gronau tragen müßten, und Fräulein von Thurgau kann doch nicht allein hier bleiben.“

„Gewiß nicht, Herr Elmhorst wenigstens muß bei ihr zurückbleiben,“ entschied Ernst. „Wir beeilen uns so viel als möglich, verlassen Sie sich darauf, gnädiges Fräulein!“

Die Anordnung war eigentlich selbstverständlich, man konnte die junge Dame, so furchtlos sie auch sein mochte, unmöglich hier in der Nacht allein zurücklassen und Wolfgang, der ihrer Familie jetzt so nahe stand, war jedenfalls der passendste Schutz für sie. Dennoch schienen die beiden nicht einverstanden damit. Auch Erna erhob jetzt Einwendungen und meinte, es sei besser, mitzugehen. Aber Waltenberg wollte nichts davon hören. Er eilte mit dem Doktor und Sepp über die Grashalde und dann verschwanden sie alle drei im Walde drüben.

Die Zurückgebliebenen mußten sich wohl oder übel zum Warten bequemen. Erwünscht war es ihnen offenbar nicht, sie wechselten einige Worte über den Unfall, über die möglichen Folgen desselben und dann trat ein längeres Schweigen ein.

Ueber dem Gebirge lag die Mittsommernacht, mit ihrem tiefen, geheimnißvollen Schweigen, aber ohne das tiefe Dunkel der Nacht. Der Vollmond, der schon hoch am Himmel stand, tauchte alles in seinen träumerischen Schimmer. Er ließ die Bergfeuer ringsum nur matt erglänzen. Sie flammten nicht wie sonst in glühend rother Pracht, aber es sah aus, als seien große leuchtende Sterne vom Himmel niedergesunken, die nun dort auf den Höhen weiter leuchteten, in ihrer klaren ruhigen Schönheit. Bei Tage blickte man von der Halde weit hinaus in die Ferne, jetzt hüllte ein zarter, schimmernder Nebelduft die ganze Bergwelt ein wie ein Schleier, der die einzelnen Züge noch deutlich erkennen läßt. Die starren Linien der Hochgipfel schienen zu verschwimmen, die dichten Massen der Wälder verdämmerten in bläulichen Schatten; tief unten, wo die Wolkensteiner Schlucht aufgähnte, herrschte noch das Dunkel, aber die Brücke wurde bereits von dem Mondlichte getroffen. Wie ein schmaler blinkender Steg schwang sie sich von Fels zu Fels, selbst in dieser Höhe noch erkennbar für ein scharfes Auge.

Nur der Wolkenstein, mit seiner unmittelbaren Nähe, hob sich scharf und klar ab von dem lichten Nachthimmel. Die Wälder zu seinen Füßen, die Zacken und Klüfte des Felsenmeeres und die riesigen Schroffen der Hochwand, das alles war überfluthet von dem weißen Lichte. Um das Haupt selbst wob sich noch leichtes, schleierartiges Gewölk, das langsam zu zerfließen schien vor den Mondesstrahlen, bisweilen schimmerten die eisumstarrten Zinnen des Gipfels leuchtend hindurch und verschwanden dann wieder in dem duftigen Nebelgewande. Erna hatte sich auf dem Stumpf einer gefällten Tanne am Rande des Waldes niedergelassen. Der Anblick fesselte sie, ebenso wie ihren Gefährten, der jetzt das Schweigen brach, das schon einige Minuten gewährt hatte.

„Da hinauf gelangt Herr Waltenberg schwerlich,“ sagte er. „Ich glaube, es war nicht nötig, ihn so ernstlich abzumahnen, er wäre jedenfalls umgekehrt am Fuße der Hochwand.“

„Sie haben gehört, was wir sprachen?“ fragte die junge Dante, ohne den Blick von dem Gipfel abzuwenden.

„Gewiß, ich stand ja in der Nähe.“ „Nun, dann hörten Sie wohl auch, daß das Wagniß schließlich aufgegeben wurde.“

„Auf Ihre Bitte!“

„Es lag mir allerdings daran, für mich hat jede zwecklose Tollkühnheit etwas Beängstigendes.“

„Jede? Mir scheint, Herr Waltenberg gab Ihren Worten eine andere Deutung und er ist auch wohl berechtigt dazu?“

Erna wandte sich um und streifte ihn mit einem kühl abweisenden Blick.

„Herr Elmhorst, Sie rechnen sich bereits zu unserer Familie, ich sehe es; aber das Recht zu solchen Fragen gestehe ich Ihnen dennoch nicht zu.“

Die Zurechtweisung war deutlich genug. Wolfgang biß sich auf die Lippen.

„Verzeihung, gnädiges Fräulein, wenn ich taktlos erschien, aber nach den Andeutungen meines Schwiegervaters glaubte ich wirklich, die Sache sei kein Geheimniß mehr.“

„Mein Onkel hat mit Ihnen darüber gesprochen? Jetzt, vor seiner Abreise?“

„Allerdings, aber er that das auch bereits vor drei Monaten, als ich in der Stadt war.“

In dem Gesicht des jungen Mädchens stieg eine dunkle Röthe auf. Also schon damals hatte der Präsident seinem Schwiegersohne mitgetheilt, wie er seine Nichte zu „versorgen“ gedenke, wahrscheinlich noch vor der persönlichen Bekanntschaft mit Waltenberg! Ihr ganzer Stolz empörte sich dagegen, und mit unverhehlter Gereiztheit erwiderte sie:

„Ich weiß, daß mein Onkel mit allem zu rechnen pflegt, warum nicht auch mit meiner Hand; aber in diesem Falle habe ich doch wohl das letzte Wort zu sprechen – das scheint er und scheinen Sie vergessen zu haben.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 583. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_583.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)