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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

„Ich?“ fuhr Wolfgang auf. „Glauben Sie vielleicht, daß ich Anteil hatte an dem Plane?“

Sie sah ihn an; es war ein seltsamer Blick, den er nicht enträthseln konnte, und in ihrer Stimme klang etwas wie leiser Hohn, als sie antwortetet:

„Nein, an diesem Plane nicht, das weiß ich!“

„Sie würden mir auch entschieden unrecht thun mit einem solchen Verdachte. Ich habe überhaupt keine Sympathie für Herrn Waltenberg und bin überzeugt, daß er trotz all seiner bestechenden Eigenschaften doch nicht im Stande ist, ein anderes Wesen zu beglücken.“

„Das ist Ihre Ansicht,“ sagte Erna kalt. „Eine Frau fragt in solchem Falle nur nach einem – ob sie geliebt wird ohne äußere Rücksichten und Bedenken.“

„Sollte das allein entscheidend sein? Ich meine, sie müßte noch eine zweite Frage stellen – ob sie selbst liebt!“

Die Worte kamen langsam, fast zögernd von seinen Lippen, und doch hafteten seine Augen wie in athemloser Erwartung auf dem Antlitz, das er im hellen Mondschein so deutlich vor sich sah, aber es erfolgte keine Antwort. Ernas Blick vermied den seinigen und schweifte hinaus in die dämmernde Ferne. Die Bergfeuer dort glänzten matter und matter, eins nach dem andern erlosch, nur das größte flammte noch drüben auf der Höhe mit seinem sternartigen Leuchten.

Droben am Wolkenstein wogten und wallten noch immer die weißen Schleier und die Mondesstrahlen schufen seltsame Gebilde daraus, die das Auge täuschten mit allerlei phantastischen Gestalten und zerflossen, sobald es versuchte, sie festzuhalten. Aus diesem Nebelweben aber tauchte jetzt langsam und leuchtend der Gipfel selbst empor, der zackige, unnahbare Thron der Alpenfee, in seinem ewigen Eis- und Schneegewand.

Wolfgang hatte seinen Platz verlassen und trat jetzt an die Seite des jungen Mädchens, während er halblaut fortfuhr:

„Ich habe auch zu dieser Frage kein Recht, ich weiß es; aber Sie selbst werden sie sich doch wohl gestellt haben und die Antwort –“

Ein dumpfes, zorniges Knurren unterbrach ihn. Greif hatte seine einstige Abneigung gegen den Oberingenieur nicht vergessen, er duldete es nicht, daß dieser seiner Herrin nahe kam, und drängte sich, wie zur Abwehr, zwischen beide. Erna legte beschwichtigend ihre Hand auf den Kopf des Hundes, der sofort verstummte; dann fragte sie plötzlich ohne jeden Uebergang:

„Warum hassen Sie Ernst Waltenberg?“

„Ich?“ Elmhorst war augenscheinlich betroffen über diese Gegenfrage, die ihm gänzlich unerwartet kam.

„Ja – oder wollen Sie es ableugnen?“

„Nein,“ sagte Wolfgang mit trotziger Entschiedenheit. „Ich gestehe es zu, ich hasse ihn!“

„Sie müssen aber doch einen Grund dazu haben.“

„Den habe ich! Aber Sie gestatten wohl, daß ich Ihrem Beispiel folge und auf das Warum? die Antwort verweigere.“

„So will ich sie Ihnen geben – weil Sie in Ernst Waltenberg meinen künftigen Gatten sehen!“

Elmhorst zuckte zusammen und blickte sie mit einem Ausdruck der Bestürzung, ja des Schreckens an. „Sie – wissen?“

„Glauben Sie denn, eine Frau fühlt es nicht, wenn sie geliebt wird, und wenn man auch alles dran setzt, es ihr zu verbergen?“ fragte Erna mit tiefer Bitterkeit.

Es folgte eine lange, schwere Pause; Wolfgangs Auge sank zu Boden; endlich sagte er dumpf und leise:

„Ja, Erna, ich habe Sie geliebt – schon seit Jahren!“

„Und Sie wählten – Alice!“

Es lag eine herbe Verurtheilung in den Worten, er schwieg und senkte das stolze Haupt.

„Weil sie reich ist, weil an ihrer Hand das Gold hängt, das ich nicht besitze. Alice wird trotzdem nicht unglücklich werden, sie kennt und fordert ja kein Glück im höheren Sinne, ich aber wäre grenzenlos elend an der Seite eines Mannes, den ich verachten müßte.“

„Erna!“ fuhr er wild und drohend auf.

„Herr Elmhorst?“ fragte sie schneidend.

Die Mahnung fruchtete, er zwang sich gewaltsam zur Selbstbeherrschung.

„Fräulein von Thurgau, Sie glauben, mich hassen zu müssen seit der Todesstunde Ihres Vaters, und Sie haben überreich Vergeltung geübt für eine nur vermeinte Schuld. Nun denn, Ihren Haß will ich tragen, wenn es sein muß, Ihre Verachtung nicht. Ich dulde ihn nicht länger, diesen kalt verächtlichen Blick, den ich immer und immer in Ihren Augen sehe. Sie verstehen es, damit zu treffen, aber ich bitte Sie jetzt – treiben Sie mich nicht aufs äußerste!“

Er sah wirklich aus, als sei er aufs äußerste gebracht, der kalte, berechnende Mann, der sich so eisern zu beherrschen wußte. Sein ganzes Wesen bebte in fieberhafter Erregung, das verhängnißvolle Wort hatte ihn furchtbar getroffen.

Greif hatte sich kampfbereit aufgerichtet und verfolgte mit glühenden Augen jede Bewegung des vermeintlichen Feindes, von dem er glaubte, er drohe seiner jungen Herrin. Diese ergriff den Hund am Halsbande und hielt ihn fest.

„Wollen Sie mich etwa zu Achtung zwingen?“ fragte sie.

„Ja, beim Himmel, das will ich!“ brach er aus. „Ich habe mir ja vorhin schon die Anerkennung erzwingen müssen bei jenem hochmüthigen Egoisten, der das Geld nur verachtet, weil er es in Fülle besitzt, der sein träumerisches, thatenloses Genießen für Idealismus ausgiebt. Sie hörten es ja, wie er verstummte, als ich mich auf meine Arbeit berief. Er weiß freilich nicht, was es heißt, arm zu sein und der nackten, harten Wirklichkeit ins Auge sehen zu müssen. Ich habe das reichlich durchgekostet in einer entbehrungsreichen Jugend, für mich hat das Leben keine Poesie und keine Ideale gehabt. Ich fühlte die Kraft in mir, das Höchste in meinem Berufe zu leisten, und wurde in niederer unbedeutender Arbeit festgehalten. Ich mußte mich beugen vor Menschen, die geistig tief unter mir standen, mußte bitten, wo ich jetzt befehle. Der Plan zu der Wolkensteiner Brücke, die sie jetzt anstaunen, wie ein halbes Wunderwerk, ist zehnmal hochmüthig verworfen, übersehen, bei Seite gelegt worden, weil ich keine Protektion hatte, weil man den Armen und Unbekannten ja immer am Boden hält. Aber ich wollte empor, trotz alledem, nicht um des Geldes willen, nicht um auszuruhen im trägen Genuß, sondern um frei schaffen zu können, ungehemmt von all den Zurücksetzungen und Erbärmlichkeiten, über die der Reichthum wie mit Flügeln hinwegträgt. Dort steht mein Werk!“ Er wies auf den schmalen Steg über der dunklen Schlucht, der im Mondlichte wie Silber blinkte. „Ob Sie es hassen oder nicht, weil Ihr Vaterhaus ihm weichen mußte, es wird seinem Schöpfer wenigstens Achtung erzwingen, auch bei Ihnen!“

Das war wieder die stolze, kühne Sprache, mit der Wolfgang Elmhorst selbst seine Gegner verstummen machte, mit der er überall siegte, hier aber siegte er nicht. Erna hatte sich erhoben und stand ihm hochaufgerichtet gegenüber, aber der Blick, den er nicht ertragen konnte, war noch immer in ihrem Auge.

„Nein!“ sagte sie fest und kalt. „Grade dies Werk verurtheilt Sie! Wer das schaffen konnte, der mußte auch den Muth haben, der eigenen Kraft zu vertrauen und allein vorwärts zu schreiten, denn er trug seine Zukunft in sich. Mein Onkel hatte Ihr Talent erkannt, lange ehe Sie um seine Tochter warben, er hatte Ihnen den Weg geöffnet und Sie wären zum Ziele gelangt auch ohne ihn. Aber freilich, das hätte Zeit und Mühe gekostet und Sie wollten im Sturm siegen.“

Wolfgang streifte mit einem langen, schweren Blick das erregte Antlitz des Mädchens.

„Ja, ich wollte es!“ sagte er düster. „Aber ich habe auch einen hohen Preis dafür gezahlt, vielleicht – war er zu hoch!“

„Der Preis ist jetzt Ihre Freiheit – einst wird es vielleicht Ihre Ehre sein!“

„Erna!“ Er ballte krampfhaft die Hand. „Hüten Sie sich! Ich ertrage keine Beleidigungen.“

„Ich beleidige nicht, ich spreche nur aus, was Sie sich selbst noch nicht eingestehen. Glauben Sie, daß man sich umsonst einem Manne verbündet, wie mein Onkel es ist? Sie haben noch Ehrgeiz, er hat längst abgeschlossen damit, ihm gilt nur noch der Erwerb. Er hat freilich schon Millionen erworben und das Gold strömt ihm immer noch zu, aber das ist ihm alles nicht genug. All das Große seiner Unternehmungen ist ihm nichts, er zuckt nur die Achseln darüber; Geld sollen sie ihm bringen, und das wird er auch von Ihnen verlangen, wenn er Sie erst ganz in Händen hat. Sie werden nicht mehr schaffen, sondern nur noch erwerben dürfen!“

Wolfgang sah finster zu Boden, er wußte, daß sie die Wahrheit sprach, er kannte den Präsidenten längst von dieser Seite, aber sein Stolz sträubte sich gegen die Rolle, die man ihm dabei zuertheilte.

„Halten Sie mich für so energielos, daß ich meine Selbständigkeit nicht zu wahren weiß?“ fragte er. „Ich habe auch einen Willen und werde ihn nötigenfalls geltend machen, selbst an dieser Stelle.“

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