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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

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In der Schutzhütte.
Novellenkranz von Johannes Proelß.
(Fortsetzung.)
5. Der Bötzler.

Die Geschichte der fröhlichen Malersleute hatte in der Gesellschaft die heiterste Stimmung geweckt. Professor Schröder brachte ein Hoch auf Erzähler und Erzählerin aus, die sich beide so treulich beigestanden, und herzhaft stimmten die anderen ein; auch Herr und Frau Breitinger selber, welche sich gegenseitig hochleben ließen. Man schien das Unwetter draußen ganz vergessen zu haben; sogar Mr. Whitfield hatte zur Zeit kein Ohr für die heroischen Fanfaren des Sturmwinds; und der Vorschlag des redegewandten Astronomen, nun auf das Wohl des verehrten Vorsitzenden zu trinken, dem man die Anregung zu diesem improvisirten Dekamerone der Reiseabenteuer verdanke, fand ebenfalls freudigen Widerhall. Doch mit verbindlichem Lächeln lehnte der also Geehrte die ihm nachgerühmten Verdienste ab: der Dank gebühre dem braven Bärbeli, das durch die Erwähnung ihrer alten Heimathssagen den Anstoß zu dem Versuche gegeben und nun schon die dritte Geschichte wohlaufmerkend mit angehört habe, ohne sich in ihrer Stickereiarbeit stören zu lassen, aber auch ohne das ihrerseits im Anfang gegebene Versprechen einzulösen. Das Bärbeli schaute von ihrer Arbeit auf und schickte sich eben – nicht ohne zögernde Verlegenheit – an, auf die freundliche Neckerei zu antworten, als plötzlich von unten her die Stille unterbrochen wurde.

Die Führer in der großen Küche des Alpwirths, dieser selbst mit den Seinen, schienen von dem frohen Lärm in der Gaststube angesteckt worden zu sein. Sie hatten sich zu einem gemeinsamen Cantus vereinigt; laut und vielstimmig klang es herauf in einer seltsamen Melodei – langgezogene, tiefe Gurgeltöne in melancholischem Rhythmus und wieder hellaufjuchzende Laute aus höchster Tonlage. Der Appenzeller Kuhreigen, jenes urwüchsig naive Loblied des Sennen auf seine „Küh – i – a“ scholl durch den Raum. Der Wortlaut des Textes ließ sich nicht verstehen, nur die langgezogenen Jodler – „Wendria – wendria“ und „durididi duida – duida du“ – waren deutlich vernehmbar. Der Professor lachte vor sich hin, als wieder Stille eintrat. „Wissen auch die Herrschaften,“ frug er, „was diesem Schlußjodler für ein Text voranging? Man sollte es nicht meinen, wie viel Pessimismus in dieser Volkspoesie der Berge enthalten ist. Nachdem in dem Liede der Senn all seine Kühe mit Namen aufgezählt – die geschecket, die geflecket, die listig, die schlau – die langbäuri, die langlänri, ’s halböhrli und ’s möhrli – ist das Fazit seiner Betrachtung, daß es keine Menschen gäbe, die besser wären als seine Kühe, und weiter singt er:

‚Guot wenn ma ledig ist,
Ma hed kä Kommer,
Sobald ma g’wibet het,
So chommt der Jommer …‘

Gelt, Bärbeli – so heißt es doch? … Schämt Ihr Euch nicht, Ihr Leute, hier in Euren schönen Bergen – so schlimm vom Heirathen zu denken? Nach diesen Versen muß man ja meinen, Ihr Appenzeller bliebet am liebsten alle ledig und das sei die wahre Seligkeit. Es wäre Euer Ländli dann freilich der einzige Fleck Erde, wo die Mädel so dächten. Sag mal, Bärbeli, wollt Ihr wirklich nichts vom Heirathen wissen, weil der ‚Jommer chommt‘, ‚sobald ma g’wibet hat‘?“

„O, das ist nur so eine Ruhmredigkeit von den Bub’n, um uns Mädli zu reizen,“ sagte, mit Ernst auf die Frage eingehend, das ehrliche Sennenkind.

„Ja, ja, die bösen Bub’n. In ihren Liedern prahlen sie, die Mädchen wären ihnen völlig gleichgültig, und im Grunde sind sie bis über die Ohren verliebt, entweder in alle Schönen oder, wenn’s gut geht, in eine.“

„Wohl, wohl,“ seufzte die Stickerin treuherzig.

„Sag mal, Bärbeli, Du hast wohl auch schon einen Schatz?“ fragte aufmunternd der Maler.

Das Mädchen schlug ihre Augen nieder und strich sich verlegen über die Schürze.

Der lustige Astronom ersparte ihr die Antwort. „Natürlich hat sie einen,“ rief er zuversichtlich. „Dafür gehört sie zur Meglisalp und die steht unter einem der Liebe günstigen Sterne! Ist ihr Name, der soviel wie Mägdelisalp bedeutet, doch innig verknüpft mit einer Sage, welche von einem gar treuen Liebespaar handelt, dem selbst der Teufel nichts anhaben konnte. Das habe ich vorhin hier in meinem Buche gelesen, das von dem Appenzeller Ländli ausführlich handelt, und ich schlage vor, daß das Bärbeli uns jetzt – wenn sie uns nicht auch ihr schönstes Reiseabenteuer erzählen will – die Geschichte vom Bötzler erzählt; dies ist der Titel der Sage der Meglisalpe.“

„Eigentlich steht freilich das Reiseerlebniß auf der Tagesordnung,“ wandte Professor Schröder ein.

Das natürliche Kind, welches von ihrer Strickereischule in Appenzell und der vielfachen Berührung mit dem Touristenstrom her eine dialektfreiere Sprache führte, als sonst die Sennentöchter dieser Gegend, welche ihr Leben ausschließlich dem Hirtenberuf der Väter widmen, rückte sich zurecht und sagte. „Ich hab’ wohl zum Theil ganz gut verstanden, was die Herren und die Frau Malerin Schönes erzählt haben – alles freilich nicht –; aber davon, was Sie die Schönheit der Natur und den ,Wanderzauber‘ nennen, davon kann unsereins schon gar nicht mitreden. Wer hier zwischen den Bergen immer wohnt, Sommers und Winters, der kann nur schwer begreifen, was die Herren und gar die Damen aus den schönen Städten hier heraus treibt und daß sie ein Pläsir darin finden, die schlechten Wege herauf und hinunter zu kraxeln. Ja, wenn’s immer schön Wetter wär! Ich für mein Theil blieb’ lieber immer in der Stadt mit den schönen Häusern. War auch schon drin. Unten in St. Gallen und als im Sommer vor zwei Jahren die Winkelriedfeier war, zu der das ganze Schweizervolk nach Sempach gewallfahrtet ist, gar in Luzern und in Zürich. Da ist’s schön. Aber lieb – das ist wahr – hab auch ich unsre Berge und so schlimm ist’s mit uns auch nicht bestellt, als Sie gemeint haben von wegen der Worte im Kuhreigen. So wüst und bös sind auch unsre Bub’n nicht, wie man danach denken könnt’, und dafür zum Beweis ist’s mir schon recht, wenn ich die Geschichte vom Bötzler erzähle. Müßt’s mich aber nicht auslachen, darf ich bitten.“

„Bravo, Bärbeli! – ’s Bärbeli hat das Wort.“

„Hier oben in der Meglisalp, lange vor der Zeit, daß für die durchziehenden Fremden hier Wirthschaft geführt wird, als noch Geister in den Bergen sichtbar hausten und die armen Sennen neckten und schreckten, hat das Sennthum ein Mädli geführt, das weitum für die Schönste galt. Der Hirt einer Nachbaralpe, ein gar frischer und fester Bub, war ihr Schatz. Wenn es Abend war, kamen die beiden vor der Hütte zusammen und unterhielten sich wie zwei Liebesleute, doch in allen Ehren. Als der Senn einst von anderen Hirten, die von Treue und Tugend sehr gering dachten, aufgezogen wurde, weil er an die Treue seiner Liebsten glaubte, ward er sehr angebracht und verschwor sich, sie auf immer demjenigen abtreten zu wollen, der auch nur den Schein einer Untreue ihr nachweisen könne. An einem der nächsten Abende geschah es, daß der junge Senn sich ganz unvermuthet abgehalten fand, zum Stelldichein zu erscheinen. Die schöne Sennin harrte seiner mit Sehnsucht, aber vergebens. Sie zog sich in ihre Hütte zurück voll Mißmuth über das Ausbleiben des Geliebten. Da knarrte auf einmal die Thür – es trat ein Mann herein und setzte sich neben sie nieder. Obgleich sie die Gestalt infolge der herrschenden Dämmerung nicht recht erkennen konnte, hielt sie den Ankömmling dem Klang der Stimme nach für den Ersehnten und die gewohnte Unterhaltung begann. Da sie anfangs wegen seines Zuspätkommens schmollte und das Gesicht ihm nicht zuwandte, wurde sie ihres Irrthums nicht gewahr. Als aber die Liebkosungen des Mannes bald weit zudringlicher wurden, als es dem bisherigen Verkehr der beiden Liebenden entsprach, und sie sich unter Sträuben seiner Umarmung entzog, merkte sie im Umwenden, daß es ein Fremder war, und zugleich entdeckte sie, daß derselbe einen Geißfuß hatte. Es ward ihr heiß und kalt bei diesem Anblick, doch fand sie bald ihre Fassung wieder und sagte beherzt. ‚Satan, Du bist ein Betrüger, über mich hast Du keine Gewalt.‘ Der Teufel aber erwiderte: ‚Dein Liebhaber hat unlängst sich verschworen, seine Braut Dem abzutreten, der sie dahin zu bringen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 591. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_591.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)