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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

unweigerlich mit dem Herrn Doktor tanzen mußt, Alice; ich fürchte, es geht nicht anders.“

„O, das ist köstlich!“ jubelte Wally, indem sie vor Entzücken in die Hände klatschte. „Natürlich muß Benno tanzen, unter allen Umständen!“

Der arme Reinsfeld wehrte sich in voller Verzweiflung, aber Waltenberg und Gersdorf nahmen lachend gegen ihn Partei und selbst Erna, die das verlegene Gesicht der Bäuerin sah und wohl ahnen mochte, wie die Sache eigentlich zusammenhing, trat für den Scherz ein.

„Du brauchst ja nur ein einziges Mal den Tanzplatz zu umkreisen, Alice,“ sagte sie. „Bringe der alten Sitte das Opfer, die Leute würden tiefgekränkt sein, wenn Du ihrem Doktor, von dem sie so viel halten, den Tanz verweigern wolltest, auf den er ihrer Meinung nach ein Recht hat. Mit dem Tanze würdest Du auch den Johannissegen zurückweisen, den sie Dir so freundlich bringen.“

Alice schien ihrerseits die Sache gar nicht so unerhört zu finden, sie lächelte nur, als sie sah, mit welcher Herzensangst der junge Arzt sich gegen den angesonnenen Tanz sträubte, und sich zu ihm wendend sagte sie halblaut:

„Wir werden uns wohl fügen müssen, Herr Doktor – meinen Sie nicht?“

Dem guten Benno, der höchstens einmal bei einem ländlichen Feste einen Tanz mitgemacht hatte, schwindelte es förmlich bei diesen Worten.

„Gnädiges Fräulein – Sie wollten –?“ fragte er.

Statt aller Antwort erhob sich Alice und legte ihren Arm in den seinigen; die Umstehenden, die das für selbstverständlich erachteten, machten schleunigst Platz, die Musik begann zu spielen und in der nächsten Minute schwebte das Paar dahin. –

Inzwischen hatte sich Frau von Lasberg einigermaßen erholt, die Stille und Kühle des abgelegenen Zimmerchens hatten ihr in der That wohlgethan; sie kam nun in voller Majestät angerauscht, fand aber zu ihrem großen Mißvergnügen den Ausgang verlegt. Auf der hohen steinernen Treppe, die zum Wirthshause führte, standen die Leute dichtgedrängt, unter ihnen auch Gronau mit Said und Djelma, selbst Wirth und Wirthin waren dabei. Alle reckten die Hälse und blickten gespannt über die Köpfe der Untenstehenden hinweg nach dem Tanzplatze, den man von hier aus übersehen konnte. Dort schien etwas ganz Besonderes vorzugehen.

Die Baronin war natürlich erhaben über eine derartige Neugierde und nebenbei entrüstet, daß niemand sie bemerkte; sie wandte sich daher an Said, der ihr am nächsten stand, und sagte befehlend:

„Said, schaffen Sie mir Platz! Die Herrschaften sind doch noch im Garten?“

„Nein – auf dem Tanzplatz,“ antwortete Said vergnügt.

Frau von Lasberg war empört, sie ahnte in dieser Unschicklichkeit wieder einen Streich dieses enfant terrible, dieser Wally.

„Und Fräulein Nordheim ist allein geblieben?“ fragte sie.

„Missis Nordheim tanzt mit Herrn Doktor!“ erklärte Said und grinste vor Freude, daß die weißen Zähne in dem schwarzen Gesichte glänzten.

Die Baronin zuckte die Achseln über das ungereimte Zeug, das dieser Mensch in seinem gebrochenen Deutsch zum Besten gab, aber unwillkürlich folgte sie doch der Richtung seiner Hand und da sah sie etwas, was sie völlig versteinerte: die kräftige Gestalt des Doktors und in seinen Armen eine junge Dame, im lichten Sommerkleide, mit einem blumengeschmückten Strohhütchen, ihren Zögling Alice Nordheim! Und die beiden tanzten miteinander! Fräulein Alice Nordheim tanzte mit dem Bauernarzt!

Das war mehr, als die ohnehin schon angegriffenen Nerven der Frau von Lasberg ertrugen, sie bekam einen Schwindelanfall. Said fing die Ohnmächtige zwar pflichtschuldigst auf, wußte aber augenscheinlich nicht, was er mit ihr anfangen sollte, und rief ängstlich:

„Master Hronau, Master Hronau, ich habe eine Dame!“

„Nun, dann behalte sie nur!“ sagte Veit, der einige Stufen tiefer stand, ohne sich umzuwenden; aber der Nothschrei Saids hatte auch den Wirth und die Wirthin aufmerksam gemacht, sie eilten herbei, um Hilfe zu leisten, all die Umstehenden kamen in Bewegung, und Djelma sprang eilig die Stufen herab und wollte nach dem Tanzplatze, als er von Gronau aufgehalten wurde.

„Halt! Wohin willst Du?“

„Holen den Doktor!“ rief der Malaye diensteifrig, aber Veit ergriff ihn am Arme und hielt ihn fest.

„Du bleibst hier!“ sagte er nachdrücklich. „Soll denn der arme Doktor gar kein Vergnügen haben? Erst laß ihn tanzen und dann kann er die alte – Djelma, Du bewegst schon wieder die Lippen, ich drehe Dir den Hals um, wenn Du das verwünschte Wort aussprichst – die gnädige Frau Baronin wieder zu sich bringen.“

Drüben war der Zwischenfall unbemerkt geblieben und das Paar tanzte weiter. Bennos Arm umfaßte die zarte Gestalt und sein Auge hing an dem lieblichen Gesichte, das jetzt nicht mehr bleich und matt, sondern rosig angehaucht von der raschen Bewegung, mit leuchtenden Augen zu ihm aufblickte, und in diesem Blick gingen ihm Oberstein und die ganze Welt unter. Oberstein aber war höchlich befriedigt von diesem Verlauf der Sache und gab seinen Beifall in der unzweideutigsten Weise kund: die Musikanten fiedelten mit doppelter Energie, die Burschen und Mädchen jauchzten, Nazi und sein Schwesterchen hüpften hochvergnügt nach dem Takte mit und dazu sangen die sämmtlichen Wolkensteiner im Chor.

„Weist meine Blümel’n
Nimmer zurück,
Johannissegen
Schafft Euch das Glück!“

(Fortsetzung folgt.)


Aus dem Reiche Emin Paschas.

Ein zeitgeschichtlicher Rückblick von C. Falkenhorst.

Das Land der schwarzen Menschen, der ägyptische Sudan, beschäftigte seit jeher die öffentliche Meinung Europas. Ein Räthsel- und Fabelland war es in früheren Zeiten, und wunderbare Nachrichten dringen zu uns auch heute aus der Hauptstadt jenes Landes; wir erfahren, daß ein tapferer Christengeneral in der Gefangenschaft des falschen Propheten das Sklavenjoch trage, dem Mohammedaner den Steigbügel halten müsse, wenn sich dieser auf sein Roß schwingen wolle; wir hören, daß gefangene Nonnen, die einst in der Mission wirkten, auf den Straßen von Chartum elend ihr Dasein fristen – Gerüchte melden, daß dort ein „weißer Pascha“ erschienen sei und auf Chartum marschire – und wir wissen, daß ein deutscher Arzt (Dr. Eduard Schnitzer), der berühmte Emin Pascha, im fernen Süden ein Land halte und vertheidige, welches die betheiligten Regierungen Aegyptens und Englands längst aufgegeben haben.

Das sind Nachklänge jener Katastrophe, welche einst die civilisirte Welt mit tiefem Schmerz erfüllte, als am 26. Januar 1885 Gordon und mit ihm Chartum gefallen war. Die europäische Kultur wurde damals in jenen Gebiete sozusagen von dem Halbmond aufs Haupt geschlagen und der ägyptische Sudan auf Jahrzehnte verloren. Wie die Hauptstadt, so fiel auch eine Provinz nach der andern in die Hände der Rebellen, nur die Aequatorprovinz wußte sich zu halten, nur am oberen Nil hielt Emin Bey die ihm anvertraute Fahne aufrecht.

Aber die, für die er stritt und litt, die Regierungen Aegyptens und Englands, hatten auch ihn aufgegeben, und von jener Seite geschah gar nichts, um ihn zu befreien.

Gleichzeitig mit Emin Pascha schwebte der bei ihm weilende Afrikaforscher Dr. Wilhelm Junker in Gefahr, und zu dessen Befreiung wurde von deutscher Seite eine Rettungsexpedition ausgerüstet. Dr. G. A. Fischer, unseren Lesern als Mitarbeiter der „Gartenlaube“ bekannt, war ihr Führer; er mußte jedoch unverrichteter Dinge heimkehren und starb bald darauf in Berlin infolge der Strapazen.

Von anderer Seite wurde inzwischen eine Befreiungsexpedition in großem Stil ausgerüstet und der berühmte Stanley übernahm die Führung derselben. Ein eigenthümliches Dunkel schwebt über den Zielen dieser Expedition, welche augenblicklich verschollen ist.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 616. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_616.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)