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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Im Nachmittagskonzert.

Gewimmel, welches im Ausstellungspark herrscht, stürzen will, der wird sicherlich seine Rechnung in einem der Sommertheater finden. Kroll- und Belle-Alliance-Theater, zu denen sich neuerdings auch die Friedrich-Wilhelmstädtische Bühne gesellt, haben bisher siegreich jede Konkurrenz zu schlagen gewußt; sie gehören eigentlich zu Berlin wie die Siegessäule und das Brandenburger Thor. Zwar sucht man sie weniger auf, um sich an ihren theatralischen Genüssen zu erfreuen, obgleich diese – bei Kroll die Oper mit berühmten Gästen, im Belle-Alliance-Theater ein wirkungsvolles Volksstück oder ein heiterer Schwank, im Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater die Operette – häufig sehr gute sind, sondern mehr wegen des flotten Lebens, welches sich in ihren bestrickenden Konzertgärten entwickelt. In kühnen Bogen, in hübschen Arabesken ziehen sich aus buntfarbigen Lampions gebildete Guirlanden von einem Theil des Gartens zum anderen, die bei den Klängen der Musik umherpromenirenden Besucher mit tageshellem Licht übergießend. Auch hier lächelt uns das Leben nur von seiner freundlichen Seite an; wohin wir hören, Scherzen und Plaudern, Vergnügen und Lachen; wer aber näher prüfen würde, der könnte sich überzeugen, daß unter der strahlenden Oberfläche auch viel Häßliches und Trauriges sich verbirgt! – – –

Die Belustigungen des Winters, die sich der Mehrzahl nach auf die berühmten „vier Wände“, welche allerdings fast immer sehr weit aus einander stehen beschränken, beginnen schon ziemlich frühzeitig. Wenn noch goldiger, wärmender Septembersonnenschein über die Straßen und das Dächermeer dahinfluthet, öffnen bereits die sogenannten „Specialitätenbühnen“ mit Gummimenschen, Wasserköniginnen, dressirten Seehunden etc. ihre Pforten. Auch das „Americain-Theater“, dieses originellste Berliner Etablissement, versammelt wieder zahlreiche Liebhaber derben Scherzes in seinen stets überfüllten Räumlichkeiten und giebt zumeist schon um diese Zeit das Witzwort für die ganze Saison aus; auf dieser Stätte begannen ja „Hirsch in der Tanzstunde“, der „Geschundene Raubritter“ und ähnliche Erzeugnisse des Blödsinns ihre – „ruhmvolle“ Wanderung. Die vielen „Tingeltangels“ schließen sich dem Vergnügungsreigen an. Die bessere Gesellschaft hält sich denselben natürlich fern. Aber auch sie finden ihr Publikum, und je nach der Zugkraft der neuen Sängerinnen sind sie bald bis auf den letzten Platz besetzt, bald nur spärlich besucht. – Einige Wochen später schwingt auch wieder im Konzerthause an Stelle Bilses der Dirigent einer ganz vorzüglichen Kapelle den Taktstock, und ebenso hat Altmeister Renz von neuem mit seinen zwei- und vierbeinigen Künstlern den Einzug in Berlin gehalten und führt unter dem Jubel der Cirkusbesucher die herrlichen sechs arabischen Hengste in die Manège. Dann ist auch der November gekommen und in seiner Gefolgschaft eine wahre Fluth von Premièren und Konzerten, von Matinéen und Soiréen, von Wohlthätigkeitsbazaren und den ersten vorläufig nur schüchtern auftretenden thés dansants – kurz, von allen nur möglichen einzelnen Theilen des brausenden hauptstädtischen Vergnügungsprogrammes.

Naht allmählich das Weihnachtsfest, so füllen sich die Schaufenster der großen Modemagazine mit den lockendsten Dingen, mit ganzen Tüll- und Gazewogen, mit schimmernden Seiden- und prunkenden Sammetstoffen, mit einem Heer zierlicher Schuhe und Stiefelchen, mit kleidsamem Kopfputz und täuschend angefertigten künstlichen Blumen, kurz, mit jenen hunderterlei Sachen und Sächelchen, welche die Mädchen- und Frauenherzen höher schlagen machen und welche zum Sturm gegen die verhärtetsten Junggesellen gebraucht werden.

Kinderwärterin aus dem Spreewalde.

Dieser Sturm aber, der natürlich auch ebenso muthig von der anderen Seite aus unternommen wird, beginnt kurz nachdem die letzten Weihnachtskerzen herniedergebrannt sind. Dann kann man selbst in den entlegensten Straßen bis in die späteste Nacht hinein die Fensterreihen einzelner Stockwerte hell erleuchtet sehen, an den Vorhängen zeichnen sich die Schatten tanzender Paare ab und hin und wieder wird auch die „Hauskapelle“, gewöhnlich aus einem gemietheten Klavierspieler bestehend, deutlich vernehmbar. Die gesellschaftliche Saison ist in Berlin eine ausgeprägt lebhafte und neben den Beinen kommt auch der Magen zu seinem Recht, denn die einst gefürchtete „geheimräthliche Berliner Gastfreundschaft“ „mit Butterbrötchen eingestippt in heißes Wasser mit Peccosaft“ ist an vielen Stellen durch einen häufig sogar zu weit getriebenen gastronomischen Luxus ersetzt worden. Ist der Januar schon reich an Diners und Soupers und allerhand anderen privaten Festlichkeiten, so hat der Februar eine Ueberfülle im Gefolge, denn er erscheint neben anderem mit dem „schweren Geschütz“, mit einer Reihe großer offizieller und öffentlicher Bälle, unter denen wiederum die vom Hofe ausgehenden den ersten Rang einnehmen. Sie vereinigen die Crême der Gesellschaft auf dem glatten Parkett der stolzen Säle im altersergrauten Königsschlosse; alle Würdenträger und fremden Gesandten, die hohen Beamten und Offiziere, die in Berlin anwesenden Fürstlichkeiten und der bevorzugte Adel erscheinen da und haben das Glück, die Mitglieder der Herrscherfamilie in ihrem Kreise zu sehen. Allerdings ist dieses auch noch auf einem anderen Feste der Fall, und zwar auf dem stets im Opernhause abgehaltenen Subskriptionsballe. Hier treffen wir neben den eben erwähnten Kreisen die gute bürgerliche Gesellschaft der Residenz und zugleich mit ihr sehr viele aus allen Landestheilen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 635. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_635.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)