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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Verabredung gemäß nun sicher den Weg bis hierher macht, nicht animiren wollte, ganz mit hinauf zu kraxeln … Sie hat sich die Sache offenbar schwieriger vorgestellt als sie ist, und wird sicher nicht hinter Ihnen, verehrte Frau Kurz, an Unternehmungsmuth zurückstehen wollen. Ich habe nämlich,“ erklärte er weiter den Damen, „mit meiner Frau verabredet, falls es sich über Nacht aufhelle, möchten sie und meine Nichte mir bis hierher entgegenkommen. Nach meinem Plane wollte ich ja gestern Abend noch auf den Säntis und dort übernachten. Nun werden die Damen bereits unterwegs sein und ich müßte mich übermäßig abhetzen, wenn ich bis zu ihrer Ankunft hier den An- und Abstieg zur Spitze erledigen wollte. Da ist mir noch zur rechten Zeit eingefallen, daß die Damen sich bei dem schönen Wetter, und nun der Reiseplan doch einmal geändert werden muß, ganz gern entschließen werden, in der Kühle des Abends mich hinauf zur Spitze zu begleiten. Der Sonnenuntergang muß, nach dem Aufgang zu schließen, heute ja wundervoll werden.“

Fröhlich klang dann das „Auf Wiedersehen!“ von Mund zu Munde. Der Professor blickte den drei Gruppen noch eine Weile nach. Dann ging er hinein ins Gastzimmer, wo gestern Abend der Geist Frau Aventiures die Tafelrunde der Eingeregneten von Mißmuth und Trübsinn befreit hatte, setzte sich an ein Fenster, dessen Ausblick zum Säntis hinausging, und nahm sein Taschenbuch heraus, um einiges niederzuschreiben; doch bald ließ er es sinken und schaute träumerisch ins Freie hinaus, auf die firnumpanzerten Berge und den weiten blauen Himmel über ihnen. Sonnig heitere Erinnerungen woben in seine Träume liebliche Bilder; die Erzählung, welche er gestern Abend hier vorgetragen, ging noch einmal durch seine Seele mit der Frische selbsterlebter Poesie.

Um diese Zeit etwa bog auf dem vom Weißbad ins Gebirge führenden Wege, da, wo er sich in der Nähe des Itterbachfalls nach dem Seealpsee und nach der Höhe links gabelt, in den letzteren steilaufsteigenden Saumpfad eine kleine Karawane ein, bestehend aus zwei Damen, einem Herrn, drei Maulthieren und zwei diese führenden Treibern. Die jüngere der beiden Damen, in deren braunem Gelock der frische Morgenwind spielte, so daß bald dieses bald jenes Löckchen luftig aufflatterte, war mit leichten Schritten vorangegangen, als die auffallend hohe Stimme des Stadtherrn, der etwas hinter der älteren Dame herankam, dem Zuge Halt gebot.

„Meine Damen, meine Damen, darf ich bitten, Fräulein Marie! Hier geht es ja ganz steil hinauf – ah – und da möchte ich die Gnädigen doch gehorsamst bitten, sich endlich der beiden Reitthiere zu bedienen, die ich – so frei war, für Sie zu bestellen.“

Während er diese Sätze mit der Hast eines Kurzathmigen hervorstieß, war er stehen geblieben und trocknete sich mit einem rothseidenen Taschentuch den Schweiß von der Stirn und dem bereits ziemlich kahlen Schädel, welchen er zu diesem Zwecke entblößt hatte.

„Es thut mir leid, ein so freundliches Anerbieten ablehnen zu müssen, aber ich sagte Ihnen unten in Weißbad schon, daß ich auf steilen und vielleicht schwindelerregenden Bergpfaden von jeher lieber gehe als reite, ja gegen das Reiten ist solchem Falle geradezu eine Antipathie habe,“ antwortete in sanftem Tone die ältere Dame auf diese Einladung. Minder sanft, ja fast erzürnt klang es dagegen von der Höhe zu dem in einen eleganten schwarzen Anzug mit weißer Weste, die für seinen Leibesumfang viel zu eng war, eingezwängten, bereits jetzt unter der Sonnenwärme schwer leidenden Kavalier hernieder. „Aber Herr von Tümpling, wollen Sie mir denn die ganze Partie verderben? Ich habe zwei gesunde Füße und das Bergsteigen ist mir eine wahre Lust. Schicken Sie doch die zwei für uns bestimmten höchst unnöthigen Muli wieder zurück und besteigen Sie selbst das dritte, wenn Ihnen das Zuberg-Reiten ein solches Vergnügen macht.“

„Ich bedaure sehr, meine Damen, Ihren Geschmack nicht getroffen zu haben. Was mich betrifft, – eh – so hab’ ich von Kleinauf gern im Sattel gesessen und verschmähe dies auch nicht auf – Bergeshöhen. Auch bin ich für so beschwerliche Touren nicht mit dem passenden Schuhwerk eingerichtet,“ fuhr er seufzend fort, mit einem halb kläglichen, halb selbstgefälligen Blick auf seine enganliegenden glänzenden Lackstiefeletten. „Ja, wir armen unpraktischen Junggesellen sind übel dran. Eine so gute Hausfrau, wie Frau Professor, bedenken freilich alles und haben sogar Fräulein Marie veranlaßt, über ihre zierlichen Füße die plumpen schweren Nagelschuhe zu stülpen. Auf meine bescheidene Weise lassen Sie mich aber gleichfalls vorsorgen. So pressant ist es auch mir nicht, den Mulo zu besteigen. Aber mitgehen sollen er und seine beiden Kameraden; die Damen könnten denn doch ihre Kräfte überschätzen. Es wird warm werden, sehr warm, ah, – und ich fühle schon den Triumph voraus, welchen es mir machen wird, wenn Fräulein Marie mir eingestehen wird, daß es ihr doch recht angenehm sei, sich von einem so sicheren Reitthier – bis zur Meglisalpe weiter tragen zu lassen.“

„Das wird niemals geschehen,“ rief es trutzig von oben herab. „Wenn mein Wunsch einigen Werth für Sie hat, so schicken Sie, bitte ich nochmals, die Thiere zurück. Sie so leer mit hinaufziehen zu lassen, erinnert gar zu sehr an die Stücklein der Herren von Schilda. Nichts für ungut, Herr von Tümpling; aber Sie zwingen einen ja zum Spott.“

Damit wandte sich das Fräulein, welches sah, daß auch ihre Tante den Anstieg begonnen, und kletterte vergnügt über den steinigen Boden empor, den für eine Gebirgsreise so wenig geeigneten Herrn sammt seinen drei Maulthieren seinem Schicksal überlassend.

Der also Verhöhnte mußte nun wohl oder übel sich wieder in Bewegung setzen und seine schönen Lackstiefel dem spitzigen Steingeröll preisgeben. Er sah sehr verdrießlich und mißmuthig aus. Mehr noch als die Gefahr, in die er sich begeben, ärgerte und kränkte ihn der verletzende Uebermuth der jungen Dame. Ihretwegen hatte er eigens seine Reiseroute geändert, hatte er ganz gegen seinen Grundsatz, die Riesen des Hochgebirges nur von unten aus schön zu finden, die verrückte Idee gefaßt, die Damen auf dieser verwünschten Tour zu begleiten. Mit größter Sorgfalt hatte er alles bedacht und angeschafft, was denselben die Mühseligkeit irgend erleichtern könnte, und statt Dank zu ernten, erfuhr er nun solche Behandlung. Als er das Fräulein im vorigen Winter in Berlin im Hause dortiger Verwandten kennengelernt hatte, war sie ihm gerade durch ihr gesetztes Wesen und die gediegenen Eigenschaften ihres Charakters, die sie ohne Abbruch ihrer jugendlichen Anmuth zu entfalten gewußt hatte, so besonders angenehm aufgefallen. Was hatte sie nur so umgewandelt? Sollte sie jetzt, da sie sah, daß er sich ernstlich um sie bemühe, etwa gar an seinem Alter Anstoß nehmen? Er war doch noch lange nicht fünfzig wie sein Freund, der Oekonomierath von Bellwitz, der erst kürzlich einen blühenden Backfisch heimgeführt hatte. Und gar so groß war der Altersunterschied überhaupt nicht. Wenn man sie so vor sich sah, wie er eben, da sollte man freilich nicht meinen, daß sie schon längst die Zwanzig überschritten. Dies aber hatte er von ihrer Tante selbst gehört. Dagegen wurde dieser Unterschied ja durch weit schwerer wiegende mehr als aufgehoben; war er doch bereit, ein simples Fräulein Müller, deren Vater allerdings ein wohlhabender Architekt und Baurath war, zu einer von Tümpling zu machen. Einen von Tümpling behandelt man aber nicht ungestraft so, mein Fräulein wie es Ihnen soeben beliebte. Ein von Tümpling läßt sich dergleichen nicht bieten …

So schwer ihm bei dem anhaltenden Steigen der Versuch fiel, laut zu sprechen, seine innere Entrüstung drängte nach diesem Selbstgespräche danach, sich laut zu äußerst. Natürlich nur in der feinen Weise eines Kavaliers von Geburt.

Da er den Gegenstand seines Zornes nicht erreichen konnte, wandte er sich an deren Tante:

„Fräulein Nichte haben bisweilen recht eigenthümliche – Launen. Scheine mich doch in der Beurtheilung ihres Charakters – ausnahmsweise geirrt zu haben. Bei meiner Menschenkenntniß passirt mir das – sonst nicht. Muß – problematische Natur sein.“

„Ei, lieber Herr von Tümpling, Sie müssen, was sie sagte, nicht auf die Goldwage legen. Sie sprach unüberlegt; die frische Gebirgsluft, die Lust des Wanderns haben sie berauscht. Sie werden sich aber auch schwerlich vorstellen können, wie sehr sie sich auf diese erste wirkliche Hochtour gefreut hatte, die beinahe zu Wasser geworden wäre.“

Frau Professor Schröder war bei diesen Worten stehen geblieben, um Athem zu schöpfen. Sie wandte sich dabei um.

„Aber lieber Freund,“ rief sie fast erschrocken „wie echauffirt Sie aussehen! Das Steigen greift Sie wirklich an; da ist der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 639. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_639.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2018)