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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

eine Antwort erzwingen wollte, dann las ich in Ihren Augen immer und immer wieder ein Nein und das – hätte ich nicht ertragen können.“

„Herr Waltenberg, hören Sie mich an!“ sagte das junge Mädchen leise.

Herr Waltenberg!“ wiederholte er bitter. „Haben Sie keinen andern Namen für mich, bin ich Ihnen so fremd geblieben, daß Sie mich nicht wenigstens ein einziges Mal Ernst nennen können? Es ist Ihnen ja längst kein Geheimniß mehr, daß ich Sie liebe, mit aller Gluth der Leidenschaft, daß ich um Sie werbe, wie um das höchste aller Güter. Es gab eine Zeit, wo mir die schrankenlose Freiheit dies Höchste war, wo ich zurückschreckte vor dem Gedanken an irgend ein Band, das mich fesseln könnte; jetzt ist das alles versunken und vergessen. Was ist mir die weite Welt, was die Freiheit ohne Sie! Ich will ja nichts mehr auf Erden, als nur Sie allein!“

Er hatte stürmisch ihre Hand ergriffen, die ihm nicht entzogen wurde, aber diese Hand lag kalt und regungslos in der seinigen und jetzt hob Erna langsam das Auge zu ihm empor, es war ein tiefernster und tieftrauriger Blick.

„Ich weiß es, daß Sie mich lieben, Ernst,“ entgegnete sie gepreßt, „und ich zweifle nicht an der Tiefe und Wahrheit Ihrer Empfindungen, aber ich kann Ihnen keine Gegenliebe bieten.“

Er ließ jäh und heftig ihre Hand sacken und trat zurück.

„Warum nicht?“ fragte er herb.

„Eine seltsame Frage! Läßt sich die Liebe erzwingen?“

„O ja! Die glühende, schrankenlose Leidenschaft eines Mannes erzwingt sich immer Gegenliebe – wenn ihm kein anderer im Wege steht.“

Erna bebte leise zusammen und eine dunkle Röthe stieg langsam in ihrem Antlitz auf, aber sie schwieg. Waltenberg, der mit athemloser Spannung in ihren Zügen forschte, entging das nicht, sein dunkles Antlitz wurde plötzlich fahl, und seine Stimme gewann einen beinahe drohenden Klang.

„Erna, warum sind Sie mir ausgewichen bis zu dieser Stunde? Warum weigern sie mir die Gegenliebe? Geben Sie mir Wahrheit, um jeden Preis – lieben Sie einen anderen?“

Es trat eine kurze Pause ein, Erna schien die Antwort verweigern zu wollen, es war auch eine harte Zumutung für das stolze Mädchen, vor fremden Ohren das auszusprechen, was sie sich selbst nicht eingestand, aber ein Blick in das furchtbar erregte Gesicht Ernsts brachte sie zum Entschluß.

„Ich will Sie in dieser Stunde nicht täuschen,“ sagte sie fest. „Ich habe geliebt – es war ein Traum, dem ein herbes, bitteres Erwachen folgte.“

„So war der Mann Ihrer nicht würdig?“

„Er war keiner reinen und großen Liebe fähig, das mußte ich erfahren und da riß auch ich diese Liebe aus meinem Herzen. Fragen Sie nicht weiter, ich bitte Sie, es ist zu Ende und – begraben!“

„Ah, er ist also todt?“

Es lag ein fast wilder Triumph in der Frage und noch wilder war der Blick, der dabei aufsprühte, er drohte selbst dem vermeinten Todten noch mit glühendem Hasse. Erna sah das und plötzlich überfluthete sie eine heiße Angst. Sie suchte instinktmäßig die Gefahr abzuwehren, die so nahe war, und ehe sie sich der Lüge noch bewußt geworden war, hatte sie schon bejahend das Haupt gesenkt und damit den Irrthum besiegelt.

Ernst athmete tief auf und langsam kehrte die Farbe in seine Wangen zurück.

„Nun denn, mit einem Todten will ich den Kampf aufnehmen! Die Erinnerung an einen Schatten fürchte ich nicht, sie soll und muß weichen in meinen Armen – Erna, werden Sie mein!“

Sie wich bestürzt, erschrocken zurück bei der glühenden Bitte.

„Sie bestehen noch darauf? Und ich habe Ihnen doch gesagt, daß ich Ihnen keine Liebe zu geben vermag; ich glaubte, Ihr Stolz würde an solches Geständniß nicht ertragen.“

„Mein Stolz – wohin ist der gekommen!“ brach er stürmisch aus. „Glauben Sie denn, ich hätte es vermocht, monatelang geduldig um Sie zu werben, ohne daß mir auch nur ein Wort der Ermuthigung zu theil wurde, wenn ich noch der frühere Ernst wäre, der da glaubte, vom Schicksal nur fordern zu dürfen? – Jetzt habe ich bitten gelernt! Mit Ihnen nahte mir das Verhängniß, das jeden einmal erreicht, es bannt mich an Sie mit unwiderstehlicher Gewalt. Erna, ich will mein Wanderleben aufgeben, wenn Du es forderst, und wenn Du in jenen Sonnenländern, die ich Dir so gern zeigen möchte, Heimweh fühlst, so will ich mit Dir zurückkehren in den kalten düsteren Norden, will die Enge und die Fesseln dieses Lebens auf mich nehmen, um Deinetwillen. Du weißt nicht, was Du schon aus mir gemacht hast, was Du noch aus mir machen kannst, aber sei nicht so kalt, so empfindungslos wie Deine Alpenfee da droben auf dem Eisthron. Ich muß Dich erringen und Dich besitzen und sollte ich sterben in dem Kusse, wie Eure Sagen drohen!“

Das war die vollste Sprache der Leidenschaft, die im Sturme alles mit sich fortriß; sie klingt ja immer berauschend für das Ohr einer Frau und hier legte sie sich überdies wie heilender Balsam auf eine Wunde, die noch immer blutete. Es war eine so herbe Demüthigung gewesen, verleugnet und aufgegeben zu werden, nicht um einer anderen willen – Erna wußte nur zu gut, daß diese andere dem Manne nichts war, der nur seinen Ehrgeiz, seine Zukunft im Auge hatte – aber er hatte sie doch diesem Ehrgeiz geopfert. Hier wurde sie geliebt, vergöttert, hier fluthete ihr eine Leidenschaft entgegen, die keine Berechnung und keine Schranken kannte. Hier wollte man nichts als nur sie allein. Ihr Stolz triumphirte und jetzt stürmten auch das Mitleid, das Bewußtsein, ein Glück gewähren zu können, auf sie ein. Alles, alles drängte sie zu dem erflehten Ja und doch hielt ein unsichtbares Etwas sie zurück, doch tauchte gerade in diesem Augenblick der Entscheidung ein anderes Antlitz vor ihr auf, das so todtenbleich erschien in dem weißen Mondlichte, und eine bebende Stimme fragte: Hätten Sie den Mann lieben können, der so emporsteigt?

„Erna, ich harre auf Antwort!“ mahnte Waltenberg in fieberhafter Ungeduld. „Spanne mich nicht länger auf die Folter! Willst Du mich denn auf den Knieen vor Dir sehen?“

Er stürzte wirklich vor ihr nieder und preßte seine Lippen auf ihre Hand, ihr Blick irrte wie hilfesuchend umher. Da auf einmal zuckte sie zusammen und flüsterte hastig und leise:

„Um Gotteswillen, Ernst, stehen Sie auf! Wir sind nicht allein!“

Er sprang rasch empor und folgte der Richtung ihrer Augen, in einiger Entfernung stand der Präsident mit seiner Tochter und seinem Schwiegersohn, die soeben zwischen den Bäumen hervorgetreten waren.

Sie hatten alle die Scene mit angesehen; aber Nordheim bemerkte recht gut, daß die Entscheidung noch nicht gefallen war und daß seine starrsinnige Nichte ihm noch im letzten Augenblick seinen Plan durchkreuzen konnte. Er beeilte sich deshalb, eine unwiderrufliche Thatsache zu schaffen und kam mit raschen Schritten näher.

„Wir bitten tausendmal um Entschuldigung!“ rief er lachend. „Es war durchaus nicht unsere Absicht, zu stören, aber da es nun einmal geschehen ist, so gratulire ich Dir von Herzen, mein Kind, und Ihnen auch, lieber Waltenberg! Ueberraschend kommt uns die Sache allerdings nicht, wir wußten ja längst, wie es mit Euch beiden stand, und ich merkte schon vorhin bei meiner Ankunft, daß eine Verlobung in der Luft lag. Nun, Alice, Wolfgang, wollt Ihr dem Brautpaare nicht auch gratuliren?“

Damit umarmte er seine Nichte väterlich, schüttelte Waltenberg die Hand und überstürzte die beiden so mit seiner Anerkennung und seinen Glückwünschen, daß ein Zurückwachen Ernas gar nicht möglich war. Sie ließ alles halb willenlos über sich ergehen, ließ es geschehen, daß auch Alice sie umarmte, daß Ernst sie als Braut in die Arme schloß, sie kam erst wieder zur Besinnung, als Wolfgang sich ihr nahte.

„Ich spreche Ihnen gleichfalls meinen Glückwunsch aus, gnädiges Fräulein!“ sagte er. Seine Stimme war ruhig, wenn auch völlig tonlos, und auch das starre, unbewegliche Antlitz verrieth nichts von dem Sturme, der in seinem Innern tobte. Aber sein Auge begegnete dem ihrigen nur einen Moment lang und dieser Blick sagte ihr, daß sie gerächt sei an dem Manne, der seine Liebe dem Ehrgeiz und dem Golde geopfert hatte. Jetzt, wo er sie in den Armen eines anderen sah, fühlte er doch, wie erbärmlich die Rechnung gewesen war, fühlte, daß er das Glück seines Lebens verkauft hatte.



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