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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

wagen könnte, wenn sie Gefahr brächte. Die Zahlen sind in einer Weise gruppirt, daß ein – Irrthum darin nicht nachzuweisen ist, und ich habe für alle Fälle meine Erklärungen in Bereitschaft. Man wird weder Dir noch mir das Geringste anhaben können.“

Um Elmhorsts Lippen zuckte ein unendlich herbes Lächeln bei dieser Versicherung.

„Daran habe ich allerdings zuletzt gedacht! Wir verstehen uns in der That nicht: Du scheust nur die Entdeckung, ich den Betrug. Kurz und gut, ich will meine Hand nicht in einem falschen Spiel haben, und wenn ich die Bestätigung verweigere, so ist es überhaupt unmöglich.“

Der Präsident trat dicht vor ihn hin, jetzt wurde auch er erregt, seine Stimme verrieth die äußerste Gereiztheit:

„Du bist ja sehr energisch in Deinen Ausdrücken! Glaubst Du etwa, mir Gesetze diktiren zu können? Nimm Dich in Acht, Wolfgang, noch bist Du nicht mein Schwiegersohn, noch ist das Band nicht geknüpft, das uns dauernd vereinigen soll, ich kann es im letzten Augenblicke noch zerreißen, und ich denke, Du bist ein zu guter Rechner, um nicht zu wissen, was Dir mit der Hand meiner Tochter verloren geht.“

„Das heißt – Du stellst mir eine Bedingung dafür?“

„Ja, Deine Unterschrift! Entweder – oder!“

(Fortsetzung folgt.)




Mittenwald.

Am Lautersee bei Mittenwald. Originalzeichnung von R. Püttner.

Wo die jugendliche Isar mit ihren lichtgrünen Wellen aus den Hochkalkalpen Nordtirols hervorbricht, um sich einen Ausgang nach der bayerischen Hochebene zu suchen, liegt noch auf bayerischem Gebiete, aber hart an der Grenze, das Gebirgsdorf Mittenwald. Ein prachtvolles und großartiges Landschaftsbild umrahmt den Ort; denn südöstlich von ihm streckt sich die lange Kette des Karwendelgebirgs mit Hunderten von schroffen Felszacken hin, um unmittelbar hinter Mittenwald scharf nach der Straße hin abzufallen; im Südwesten baut sich das Wettersteingebirg empor, um in der Zugspitze den höchsten Punkt des Deutschen Reichs zu ersteigen. Nordwärts von dem Marktflecken aber dehnt sich eine grüne Thalebene aus, von Hügelreihen durchzogen und begrenzt, zwischen welchen schöne Seespiegel glänzen. Und ringsum ist Wald, endloser Wald; und darüber in flimmerndem Dufte graue Felshörner mit blinkenden Schneefeldern.

Es ist ein alter Ort; auch die Straße ist uralt, die hier durch das breite Felsenthor aus den Alpen ins Flachland herauszieht. Hier saß einst der rhätische Volksstamm der Breonen oder Brennen, im Zeitalter des Augustus von den römischen Legionen unterjocht. Pfahlbauten auf dem grünen Grunde des Barmsees zeugen hier von vorgeschichtlichen Menschen. Die römischen Eroberer zogen eine breite Straße durch das Thal. Sie führte südwärts über den Brenner nach Italien, nordwärts nach Augsburg. Heute ist sie vielfach zerissen und unkenntlich geworden, von den Wildwassern zerwaschen, von Geröll überschüttet, von Gras und Krummholz überwachsen. Doch so mächtig war der Bau, daß er jetzt noch auf Strecken von vielen Meilen sich deutlich verfolgen läßt.

Nach dem Sturze der Römerherrschaft bleibt die Geschichte des Gaues und des Ortes lange in tiefes Dunkel gehüllt. Erst mit dem Ende des dreizehnten Jahrhunderts lichtet sie sich wieder; von dieser Zeit ab kam Mittenwald, das vordem unter der Botmäßigkeit der Grafen von Eschenlohe gestanden, unter die Herrschaft der Freisinger Bischöfe, um fünfhundert Jahre unter ihr zu bleiben. Mannigfach sind die Schicksale, welche der Marktflecken in dieser Zeit erlebte. Wie ein Märchen klingt es, daß hier einst reiche Silberadern entdeckt wurden. Aber der Bergsegen erwies sich als trügerisch; denn ehe noch der Streit, der sich seinetwegen zwischen Bischof und Herzog entspann, ausgetragen war, verschwanden die Adern wieder.

Weit werthvoller als der kärgliche Bergbau ward für die Mittenwalder der Holzreichthum ihrer unermeßlichen Waldungen und die Viehzucht auf ihren Almen; aber das Wichtigste war der bedeutende Handelszug, der aus den oberdeutschen Handelsstädten über Mittenwald nach Tirol und Italien führte. An einem Straßenknotenpunkt und zugleich an der Landesgrenze gelegen, erblühte Mittenwald zum lebhaften Stapel- und Speditionsplatz. Hier saßen die herzoglichen Zöllner; hier waren große Waarenlagerhäuser, und die Mittenwalder Fuhrleute, in einer Zunft, der sogenannten „Rott“ vereinigt, fuhren mit ihren schwerbeladenen Frachtwagen ins bayerische Land hinaus nach Augsburg, der blühenden Handelsstadt, und durch den Scharnitzpaß dem Brenner zu, und weiter nach Bozen. Selbst der wilde Bergstrom, die Isar, ward zur Floßstraße benützt. Auf ihr ward namentlich der feurige Wein des Etschlandes hinausgeführt nach den bayerischen Städten und Klöstern, auch Südfrüchte, Gewürz und Baumwolle aus Italien und der Levante, während deutscher Gewerbfleiß seine Eisenwaaren und Tücher in Mittenwald aufstapelte, um sie von da nach Welschland zu bringen. Da gab’s ein buntbewegtes Treiben zu Mittenwald; hier begegneten sich die Kaufleute aus Süden und Norden mit ihren Saumrossen und Frachtwagen. Hufgestampf und Peitschenknall belebte die schöne Alpenstraße und den wohlhabenden Markt; reitende und laufende Boten verkehrten zwischen den Venetianischen und Nürnberger Kaufhäusern über Mittenwald. Die Mittenwalder Rottstraße erfreute sich auch einer größeren Sicherheit als die andern Handelsstraßen des Mittelalters; nie hörte man hier von den Plackereien der Stegreifritter.

Gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts erlebte Mittenwald als Handelsplatz seine höchste Blüthe; damals verlegten die Venetianer, von der Tiroler Regierung beleidigt, ihren wichtigen Bozener Markt nach Mittenwald. Der Wohlstand stieg; stets mehrten sich die Waarenhäuser und Stallungen; neue Straßen wurden erbaut; die Fuhrleute wurden unternehmender und übermüthiger; neues Gewerb aller Art erblühte. Ueber ein Jahrhundert lang währte diese Blüthezeit Mittenwalds; dann kam der Verfall. Der deutsch-italienische Handelsverkehr blieb zwar noch in lebhafter Bewegung, auch nachdem Venedig längst von seiner meerbeherrschenden Höhe herabgestiegen war, aber er vertheilte sich auf eine größere Zahl von Alpenstraßen. Dazu kam der wirthschaftliche Niedergang Deutschlands seit dem Dreißigjährigen Kriege; dann die Drangsale, welche der Markt selbst während des spanischen Erbfolgekriegs und noch mehr in den ersten neun Jahren des gegenwärtigen Jahrhunderts erlitt, als er den Heeren der Oesterreicher und Franzosen zum Kriegsschauplatze diente und durch die Felsenengen des Scharnitzpasses Kanonendonner scholl. Und als endlich gar die erste Lokomotive ihren Weg zum Brenner fand, war es um die alte Handelsstraße von Mittenwald vollends geschehen; sie verödete mehr und mehr;

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 680. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_680.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)