Seite:Die Gartenlaube (1888) 691.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

hüllen; er bleibt geruhig bei seiner Leier. „O,“ rief sie, und ihre Augen starrten in die dämmernde Nacht hinaus, als schauten sie dort ein dräuendes Zukunftsbild, „er ist auch im Stande, die Sache also zu Ende zu bringen. Dann Ade, heimlicher Schwur unter dem Sternenhimmel! Ade, Gott der Liebe mit Deinem goldgespitzten Pfeil! Keine zärtlichen Diskurse führt das junge Paar, nicht dunkle Sykomoren neigen sich, vom Finger des Zephyrs bewegt, über die Hand in Hand Wallenden. Der Tag der Werbung wird anberaumt wie jede andere Festivität, ein gelehrter Rath rückt ein mit Feder und Tinte, die Ehepakten festzusetzen, die vorgeschriebenen Reden werden gehalten, steife Höflinge machen ihre Bücklinge, und endlich wird die Braut statt auf den Thron der Liebe auf den Rücksitz der Staatskutsche gesetzt, derweilen der Ehegemahl den Ehrenplatz behauptet. Denn also ist es deutscher Brauch.“

Die kleine Hand ballte sich.

„Halten zu Gnaden,“ sagte die Hofmeisterin. „Alamode Kavaliere lassen itzo der Dame den Ehrenplatz. Ich habe das selbst erlebt mit dem Hofmeister von Krombsdorff, als wir in der Dämmerung zur Betstunde hinüber in die Kirche fuhren.“

Achatius schrak zusammen. Was würde die alte Plaudertasche noch alles schwatzen?

Das Strohblümchen stieß die langnasige Hofjungfrau in die Seite. Diese aber sprach: „In aller Unterthänigkeit sei es gesagt: Das Rückwärtsfahren sollte mich nicht abhalten. Ich kann es vertragen.“

Dorothea zog, unmuthig über ihr unentwegt dem Ehehafen zusteuerndes Gefolge, die Augenbrauen zusammen.

Aber im Gemach entstand eine Bewegung und lenkte ihre Aufmerksamkeit dorthin.

Achatius lauschte. Der tiefe Baß des Schloßhauptmanns ertönte. Jetzt wurde der Hofmeister aus Weimar gemeldet. Die sanfte, immer klagende Stimme der Frau Witwe antwortete.

Und nun hatten die Damen keine Ruhe mehr zum Schäferroman, obwohl derselbe von der schönen Dorothea eben viel vergnüglicher gefunden worden war als eine Heirath nach deutschem Brauch. Eilig rauschte sie in das Gemach zu ihrer Mutter. Die andern flogen wie Schwalben vor dem Sturm ein und aus.

Endlich tönte wieder die Stimme der Frau Witwe verabschiedend herab.

Die Pagen löschten die Windlichter und schlossen die Thür.

Eine Lampe zog an den schiefen tiefem Lugfensterlein der Treppe vorüber aufwärts nach dem dritten Stock, und wie ein Stoßseufzer drangen die Worte heraus. „Wenn nur einmal ein christliches Ehewerk auf der Dornburg zu Stande käme! Dann folgte gewiß bald eine nach der andern dem guten Beispiel. Es ist schier eine Verstockung in dem unverehelichten Frauenzimmer allhier eingetreten.“

Achatius lachte in der lautlosen Art der Hofleute, die alle seine elfenbeinweißen Zähne zeigte. Das war die Hofmeisterin gewesen.

Vor sich hinnickend, schritt er nach dem Thurm.

Also auch hier machte der Schäferroman die Damen rebellisch. Das Büchlein wurde an allen Höfen verschlungen. In Weimar war es aus der Schloßbibliothek entführt worden, und der Hofskribent behauptete, seine Spur habe sich unter den Hofjungfrauen verloren.

Achatius trat in das Thurmgemach, wo sein Leibknecht das Felleisen ausgepackt hatte und seiner harrte. Er warf einen prüfenden Blick auf seine Staatskleider. Es war alles in Ordnung; die gelben Atlaspuffen im schwarzen Sammetwams wohl aufgekrämpelt, die seidene blaue Schärpe geglättet, die feinen Galaschuhe bereit gestellt.

Er entließ den Diener und that einen langen Zug von dem heißen gewürzten Wein. Der kleine Vorgang im Garten hatte ihn so munter gemacht wie einen Fisch, der in sein Element gesetzt wird.

Als das fürstliche Fräulein vorhin über Verlobungen in hohen Familien sprach, da hatte sie – er wußte es wohl – ihre eigenen Erlebnisse treu abkonterfeit.

Es waren viele Jahre hingegangen, in denen die so nahe versippten Häuser von Weimar und Altenburg sich fern von einander hielten, dieweil sie um den Vorrang haderten. Als endlich der Streit geschlichtet ward, da trachtete man danach, das verwandtschaftliche Band um so fester zu knüpfen. Herzog Albrecht meldete sich im vorigen Herbst auf der Dornburg an, und die Frau Herzogin lud ihn zur Reiherbeize.

Achatius war im Gefolge gewesen, als das junge Paar zum ersten Mal einander gegenüber stand.

Jedoch, wenn er es recht bedachte, so hölzern hatte es sich nicht zugetragen, wie die schöne Dorothea es ausmalte. Einen schüchtern werbenden Adorateur stellte Herzog Albrecht freilich nicht dar; aber seine klaren braunen Augen ruhten doch voll sichtlichen Wohlgefallens auf der reizenden Base, und auch sie sah mit heiterm Blick zu ihrem hochgewachsenen erlauchten Partner empor. Und hielt Hochderselbe auch keine zärtlichen Diskurse – sintemalen seinem spröden Herzen süße Worte widerwärtig waren – so fanden ihn doch die kleinen Neckereien, mit denen die junge Fürstin ihn aus seiner gelassenen Sicherheit aufzustacheln suchte, allezeit bei gutem Humor. Mit einem frohmüthigen Lächeln auf den Lippen kehrte der Herzog dazumal nach Weimar heim.

Aber freilich! wenn sie gewärtig gewesen war, heimliche Liebesbrieflein zu erhalten, den Herzog, phantasierlich herausgestrichen, um die Dornburg schleichen zu sehen, da hatte sie nun ihrerseits einen großen Fehler geschossen. In Weimar harrten seiner Kuriere mit Botschaften von verbündeten Fürsten, Bittsteller aus den durch fremde Einlagerung spoliirten Dörfern, Schreiben vom Herzog Bernhard, der stetig im Dienst der evangelischen Sache auf Reisen war. Die in der Residenz anwesenden Herzöge hielten Geheimrathssitzungen bis in die späte Nacht; in der geheimen Kanzlei brannten die Lichter oft bis zum Morgengrauen.

Herzog Albrecht stellte alles bei Seite, wenn es seinen Fürstenberuf galt; selbst die Aussicht auf eine schöne Braut mußte davor zurücktreten. Es dünkte den jungen Hofmeister sehr wahrscheinlich, daß ihre einzige Trösteinsamkeit in diesem Winter ein herzlicher Gruß aus dem verwandten Fürstenhaus gewesen war.

Er lächelte überhebend. In Weimar duldeten die Männer nun einmal nicht, daß der kleine Cupido ihnen über den Kopf wuchs, sondern hielten denselben streng im Zügel.

Unholdes Schnarchen der Schleiereule im Thurm unterbrach seine Gedanken. War es schon so späte Nachtzeit? Er warf einen Blick in den Hof hinab. Alle Fenster der Dornburg lagen dunkel. Tiefe Stille herrschte. Nur aus dem Stübchen des Feuerwächters schimmerte noch Lichtschein; nur der Röhrbrunnen murmelte leise.

Auch für ihn wurde es Zeit, seine Vorbereitungen für die Nacht zu treffen und zur Ruhe zu gehen.

So bestrich er denn seine Haare mit einer Essenz von grünen Nüssen, dieweil es alamode war, schwarz zu sein wie der gefürchtete Spanier. Da – während er, starr in den Spiegel schauend, seine Locken eifrig mit dem Kamme bearbeitete, das Bärtchen berupfte, mit einem über der Lampe glühend gemachten Eisen brannte, bis es sich zum beliebten Maikäferbärtchen krümmte – da meinte er plötzlich nicht mehr seine eigene schöne Person, sondern eine zarte Gestalt zu erschauen, die das vom dunklen, leicht gewellten Haar umschlossene Köpfchen leise schüttelte.

Das fehlte noch, daß die jüngste Hofjungfrau der Herzogin Eleonore, die blasse Trude, sich unterfing, ihn zu tadeln, sei es auch nur in seinen Gedanken.

Er stampfte zornig mit dem Fuße auf, band nun gerade erst recht das Futteral über den Bart und stieg endlich, also angethan, trutzig in seine quadratförmige Bettstatt.




Noch war die Sonne nicht über die bewaldeten Hügel, welche das jenseitige Ufer der Saale begrenzen, aufgegangen, als schon das hausmütterliche Walten der Frau von Tautenburg begann. Nicht einmal Zeit zum Morgensegen gönnte sie sich; sie sang ihn im Gehen und Arbeiten.

„Der Tag vertreibt die finst’re Nacht,“ tönte es in dem Hausflur. „Töffel!“ rief sie auf den Hof hinaus, wo ein Stallknecht am Brunnen Wasser für die Tränke schöpfte, „sorge, daß die Pferde des Hofmeisters wohl gefüttert und von elf Uhr an stets reisefertig gehalten werden.“

„Ihr lieben Christen, seid munter und wacht,“ sang sie weiter auf dem Wege zur Küche. „Meister Koch, steckt das Spanferkel zur rechten Zeit an den Spieß und das Schaffleisch zu den Zwiebeln in den Topf, damit unsere Gäste nicht durch spätes Tafeln am Abreiten verhindert werden.“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 691. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_691.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)