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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

so streng ansehen? Er hatte sie einmal im Vorübergleiten gefragt: „Habt Ihr Eure Augen nur um zu strafen?“ Seitdem sah sie ihn gar nicht mehr an. Verdammt!

Ein paar Minuten später schleuderte er auf dem Verbindungsgang nach dem Rothen Schloß hinüber. Seine Augen spähten in die Tiefe des dämmerigen Korridors, wo etwas Lichtes auftauchte.

Richtig! Da war die große weiße Schürze. Mit ruhigem Schritt in hofmäßiger Haltung kam Gertrud von Hellingen heran. Achatius mußte plötzlich tief aufathmen. War er zu rasch gegangen? Zum Teufel mit dem beklemmenden Gefühl! In seiner halb lässigen, halb herausfordernden Art trat er ihr entgegen. „Ich wünsche Euch einen gesegneten Morgen,“ sprach er und schloß sich dann, als sei das selbstverständlich, ihrem Wandelschritt an.

„Ich danke Euch,“ sagte sie leise, ohne daß ihr zartes Gesichtchen sich nach ihm wendete. Nur eine feine Rosenfarbe stieg in ihre Wangen, und sie ging rascher vorwärts.

„Warum so eilig?“ fuhr er neckend fort, ohne den Blick seiner muthwilligen Augen von ihr zu wenden. „Kommt doch jeglicher Mensch schließlich nur an dem Ziel an, nach welchem sein Magnet ihn zieht.“

Sie wandte sich unwillig ab. Das wirkte gerade wie Spornstich auf ein feuriges Pferd. Keck fuhr er fort: „Ihr habt gewißlich auch die ‚Astrea‘ gelesen, und da steht geschrieben: ‚Als der liebe Gott die Menschen schuf, berührte er die Seelen der Weiblein mit Magnetstücken und ließ unter diesen alsdann die Männer wählen. Jeglicher muß nun die Frau lieben, deren Magneten er erwischt hat, und sie ist verobligiret, ihm wieder hold zu sein. Dagegen hilft kein Widerstand. Die Stunde kommt doch, da sie unabwendbar zu einander streben?‘“

„Ich habe auch gelesen,“ antwortete sie kalt, „daß es Männer giebt, die von jedem Magnetstein einen Splitter sich angeeignet haben und darum Begehren tragen, alle Frauen an ein Schnürchen zu reihen und hinter sich herzuziehen.“

Seine schlanke Gestalt duckte sich ein wenig; aber er ließ sich nicht aus der Fassung bringen, sondern antwortete dreist: „Vielleicht thut Ihr einem Unschuldigen unrecht. Zuweilen irrt ein Schäfer lange unter den schönen Hirtinnen umher, dieweil er die Rechte nicht finden kann.“

„Nein,“ entgegnete sie gelassen und fest, „dieweil er keine Treue hat. Auch ich wünsche Euch einen gesegneten Morgen!“ Sie verschwand in der Apotheke der Herzogin.

Es geschah dem gewandten Hofmann zum ersten Mal, daß er mit offenem Mund vor einer geschlossenen Thür stand.

„So drehe Deine bitteren Pillulen!“ murmelte er grimmig. Aber wie sie ihn angesehen hatte! So vorwurfsvoll! Und wie das Wort „Treue“ aus ihrem Munde klang! So edel und warm, als käme es aus der tiefsten Tiefe des Herzens.

Er hatte keine Zeit, sich den lieblichen Laut nochmals ins Gedächtniß zurück zu rufen.

Helle Stimmchen ertönten.

„Herr Hofmeister! Herr Hofmeister!“ schallte es im Korridor.

Ein Schwarm von Pagen in Galawämsern, mit goldenen Schleifen auf den Schultern und seidenen Röslein an den Kniebändern, umringte ihn.

„Mein Herzog Wilhelm sendet Euch diese Absagen,“ sprach der eine, mehrere Schreiben überreichend. „Fürst Ludwig von Köthen entschuldigt sich mit einem Todesfall, der Herzog von Altenburg mit Unpäßlichkeit. Die Plätze an der großen Tafel, die morgen stattfinden wird, sollen anders geordnet werden. Aber,“ setzte er flüsternd hinzu, „ein Paar muß doch wohl unverrückt neben einander bleiben: Herzog Albrecht und –“

Achatius unterbrach ihn. „Mein, junger Freund, merke Dir: Es giebt Dinge bei Hofe, die nie ausgesprochen, sondern nur errathen werden.“

Er nahm die Schreiben an sich.

„Herr Hofmeister!“ klang es abermals athemlos den Verbindungsgang entlang. Der kleine Conz, Herzog Albrechts Page, jagte erhitzt, mit verwirrten Locken heran. „Wo ist die Sendung aus Erfurt für meinen Herrn?“

„Im kühlen Keller,“ war die Antwort.

„Und das sammetne Hundehalsband mit dem silbernen Namenszug? Kiekebusch soll uns zum Empfang der fürstlichen Damen von der Dornburg begleiten.“

„Der Hundejunge verwahrt es.“

Der schlanke Heinz, Herzog Bernhards Page, hob hochmüthig sein gebräuntes Gesichtchen. „Wegen ein paar Damen rennst Du umher, als stünde eine Battaglia bevor?“

„Monsieur Heinz,“ sprach Achatius mit gezwungenem Lachen, „später wird Dir die Einsicht tagen, daß uns manchmal auch mit einer Dame eine Battaglia bevorsteht. Aber was willst Du?“ wandte er sich an den Pagen der Herzogin Eleonore.

„Könnt Ihr noch dieses Gericht für die Tafel besorgen?“ fragte dieser, auf einen langen Speisezettel deutend, wo ein Wort von der Herzogin Hand frisch geschrieben stand.

„Ein Kavalier vollbringt alles, was seine Herrschaft verlangt,“ sagte Achatius; indem er das Gericht studirte. „An Hänflingen und Butterfaltern ist kein Mangel im Webicht; und ein paar schlanke Libellen sah ich gestern Abend bei der Burgmühle über der Ilm flattern.“

Er hätte die Burgmühle gern wieder verschluckt. Nun war auch ihm geschehen, daß der Mund überging, wovon das Herz voll war – das Herz? nein – morbleu! – die Galle.

Neben ihm schrie es auf: „Die Burgmühle!“ daß er zusammenfuhr. Es war der kleinste Page. „Hilf, Himmel! Mein Herzog Ernst hatte mir befohlen, eine Bibel hinüber zu tragen zu Frau von Heilingen. Die ihrige ist von dem kaiserlichen Volk bei der letzten Einlagerung verbrannt worden. Und ich habe es vergessen.“

„So lauf!“ neckte Eleonorens Edelknabe. „Vielleicht tätschelt Dir die Jungfrau Gertrud wieder die Backen wie neulich, als Du so schön in der Kirche gesungen hattest.“

Eine dunkle Röthe schoß in Krombsdorffs Gesicht.

„Dummer Junge!“ fuhr er den Kleinen giftig an. „Wenn Du Dich tätscheln läßt, wächst Dir kein Schnurrbart.“

Eine Fanfare unterbrach ihn. Die Hoftrompeter, welche von dem hohen Schloßthurm die nahenden fürstlichen Gäste ankündigen sollten, bliesen gen Osten den Gruß. Es war das Zeichen, daß der Reisezug der Dornburger Herrschaft in der Ferne sich zeigte. Die Pagen stoben davon. Achatius flog nach den Gemächern des Herzogs Albrecht.

Die Thür des Vorzimmers wurde aufgethan.

Die befehlende Stimme des Herzogs rief den herbeieilenden Lakaien zu: „Miller! Schaffe sofort das Stammbuch der Fruchtbringenden Gesellschaft in das Archiv zurück! Und Du, Martin, trage den eingesiegelten Brüderthaler zu der Witwe des Sekretarius, die mein Sinnbild als Palmgenoß gestickt hat. Ich lasse ihr meine Zufriedenheit ausdrücken. Der grüne Atlas ist sauber gehalten, der Weinstock ohne Blätter und Trauben so schlicht, wie ich befohlen habe, der Spruch: ,Es soll noch werden’ ohne Schnörkeleien.“

Mit raschem klirrenden Schritt trat der Herzog heraus, die hochgewachsene Gestalt knapp umschlossen vom nägleinfarbigen Sammetwams, das trotz des goldenen Posamentes einen schlichten Eindruck machte.

Achatius verbeugte sich tief.

Der Herzog neigte leicht das Haupt. „Ist alles in Ordnung?“ fragte er, im Weiterschreiten die Handschuhe überstreifend.

„Eine Hofjungfrau hat soeben in den Rosenkammern die letzte Umschau gehalten,“ berichtete Achatius ehrerbietig, indem er dem Herzog die Treppe hinab folgte.

Den braunen Schnauzbart des Herzogs kräuselte ein Lächeln. „Was das Frauenzimmer that, ist Euch allezeit unverborgen,“ erwiderte er mit harmlosem Spott. „Ihr solltet eigentlich im Palmenorden als Sinnbild das Kräutlein Liebstöckel und den Namen: der Allerwärtsgirrende führen.“

Achatius lächelte gehorsamst mit. „Alsdann würde mein alleiniger Trost sein, daß in dieser hochansehnlichen Gesellschaft die Namen oftmals mit den Qualitäten ihrer Träger in Widerspruch stehen. Fürstliche Gnaden heißen der Unansehnliche; die Damen in Frankreich nannten Hochdieselben einen denn beau Alman.“

Herzog Albrecht wehrte mit einer Handbewegung ab. „In Frankreich wedelt die Schmeichelei mit ihrem Fuchsschwanz.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 726. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_726.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)