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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888)

Auf dem mit Scharlachtuch belegten Weg schritten die Herrschaften, umgeben von Hofleuten und Dienerschaft, in das Rothe Schloß hinein.

Achatius blieb zurück, um das fürstliche Frauenzimmer zu empfangen.

Käthchen lachte ihm mit allen ihren kleinen Mäusezähnchen entgegen, trotz der strengen Blicke ihrer Mutter.

Aber über der Pforte des ehemaligen Witwensitzes war nicht umsonst ein weinender Engel angebracht. Achatius sah sie gar nicht. Sein Blick richtete sich überrascht auf den dritten Wagen, der das Gepäck und die Kammermägdlein enthielt. Welche wunderliche lange verhüllte Stange wurde von ihm abgeladen? Da leuchtete ja Roth Und Grün heraus. Feierlich zogen die Kammermägdlein damit ab wie Landsknechte mit der Fahne, zu der sie geschworen haben.

„Mit welchem sieghaften Panier haltet Ihr holden Dornburgerinnen allhier Euren Einzug?“ fragte Achatius die rundliche Hofmeisterin, während er ihr aus dem Wagen half.

Sie bewegte sich so rasch und bemühte sich, trotz ihres ansehnlichen Umfangs so leicht hernieder zu schweben, daß ihr gelbes Damastkleid krachte. „Ich weiß nicht,“ antwortete sie und ließ die Reisemutze herabfallen, daß die reizenden Grübchen in Wangen und Schultern sich zeigten.

Schäflein! dachte Achatius, hielt sich aber scherzend die Augen zu und flüsterte: „Süße Pomesine! Ach, wer nur einmal an solcher Holdseligkeit sich letzen dürfte!“

Sie sah ihm mit schmelzendem Lächeln nach, während er schon ehrfurchtsvoll vor Frau von Tautenburg sich verbeugte und dem Schloßhauptmann die Hand schüttelte.

Als ihm dieser die andern Hofjungfrauen nennen wollte, sprach er galant: „Eure Namen sind eingegraben in die wachsweiche glatte Tafel meines Herzens.“

Und er sandte ihnen einen so wohlgeschickten Blick zu, daß jede denselben für sich in Anspruch nehmen konnte.

Käthchen stand ganz verdutzt dabei. War es möglich? Vetter Achatius tuschelte mit der Hofmeisterin, der alten dicken, schaute die andern Hofjungfrauen, die dürren Hopfenstangen, zärtlich an? Das kam doch alles ihr zu. Und sie erhielt nur das letzte Zipfelchen eines Grußes. Was sollte das fürstellen?

Vielleicht hatte er sie in der häßlichen Reisemutze nicht erkannt, in welche sie von der Mutter gewickelt worden war. Nun, nur Geduld! Jetzt kam der leberfarbene Rock dran. Durch diesen Gedanken getröstet, trippelte sie hinter ihrer Mutter in das Schloß hinein.

Andere Reisezüge nahten. Wagen auf Wagen rollten durch das Schloßthor, Reiter klirrten herein. Der Hof füllte sich. Leibärzte, die ihr Doktorstüblein hatten verlassen müssen, Kapitäne in Wehr und Waffen, Kammerjunker und Pagen fragten nach ihrem Losament. Die Weimarischen Hofjunker im Galakleid, die Lakaien in Staatslivrei hatten alle Hände voll zu thun. –

Als die Dornburger Herrschaft ein paar Stunden später der fürstlichen Hausfrau einen Besuch abstattete, folgte Käthchen mit aufgehelltem Gesicht dem kleinen Zug. Sie trug das leberfarbene Kleid, den güldenen Brustlatz und duftete nach Spikanardiwasser, das sie selbst hatte brauen helfen, wie ein Wurzgärtlein.

Eine Reihe glänzender Räume that sich vor ihr auf, von dem sanften Licht gelber Wachskerzen erhellt, welche auf hohen Silberleuchtern brannten. Da – im ersten Zimmer – harrte auch schon Achatius. Aber nur, um von dannen zu fliegen und die Herzoginnen in die inneren Gemächer zu führen, während ein Wink seiner Augen die Hofjunker in Bewegung setzte, daß sie dem Frauenzimmer seinen Platz anwiesen; längs der Wand, wie angeputzte Docken wurde dasselbe aufgestellt.

Da glitt Achatius schon wieder an ihr vorüber. Er sah sie abermals nicht. Er geleitete jetzt die Eisenacher Herrschaft.

Aus welch runden klugen Augen die Herzogin Christine schaute! Gerade wie die Eule auf der Dornburg. Käthchen hätte lachen mögen.

„Die Herzogin Christine stellt alles fest,“ flüsterte neben ihr das Strohblümchen, „die Schicksale der Menschen, das Wetter, die Landplagen. Sie liest es mit großen Ferngläsern aus den Sternen und rechnet es dann aus wie andere Frauen einen Handel mit Butter und Eiern. Sie ist so klug wie die heiligen drei Könige zusammen.“

Käthchen verging das Lachen.

Die Hofjungfrauen, welche der übermenschlichen Fürstin folgten, pflanzten sich gleich kernhaften Fichtenzäpfchen vor ihr auf. Sie reckte ihr Köpfchen empor, um über dieselben hinwegschauen zu können.

Jetzt – jetzt sah Achatius nach ihrer Seite.

Ach nein; sein Blick ging an ihr vorüber und er selber abermals zur Thür hinaus, um den Koburger Herzog mit seiner Gemahlin zu empfangen.

„Das ist ein unholder Herr,“ wisperte die blonde Benigna an der andern Seite. „Seine erste Gemahlin, die ihm ein X für ein U gemacht haben soll, hielt er eingesperrt sammt dem hübschen Hofjunker, der ihr dabei geholfen hatte. Er steckt alles ein, sogar die Witze seiner Hofnarren. Horcht! Draußen im Korridor schlagen sie Purzelbäume.“

Die Koburger Hofjungfrauen bildeten eine zweite Mauer zwischen Käthchen und Achatius. Sie war gänzlich zurückgedrängt und mußte sich auf die Fußspitzen heben, wenn sie ihn noch sehen wollte. Ach, welche schönen Kleider trugen die andern – das leberfarbene war gar nichts dagegen. Und wie sie sich hervorzuthun suchten, wenn Achatius vorüber glitt! Wie sie ihn mit den Augen verschlangen!

Dann flüsterten sie mit einander und rühmten, daß das Zöpflein, welches an einer Seite seines Kopfes herabhing, das neueste in der Tracht: ein Alamodezotten sei.

Sie mochten sich nur hüten! Wenn der griesgrämliche Herzog das merkte, sperrte er sie auch ein sammt dem Achatius.

Fast hätte sie es gewünscht. Dann konnte er doch nicht mehr so vor ihnen hin und her gaukeln, als wolle er sagen: hascht mich doch!

Von Zeit zu Zeit sendete er einen Blick nach Käthchens Winkel. Aber ihren Augen begegnete er nicht. Wen suchte er nur da? Neben ihr stand eine Hofjungfrau, mit einem Bernsteinhalsband geschmückt, die ebenfalls zurückgedrängt worden war. Käthe lugte sie eifersüchtig an. Nein, die konnte er nicht meinen. Sie hatte ja nicht einmal rothe Backen und war die einzige im ganzen Gemach, welche ihn nicht ansah. Wie er immer lebendiger wurde, immer zärtlichere Blicke herüber warf, so wurde sie immer unbewegter, immer blasser. Und Käthchen immer röther und heißer. Das Herzklopfen drohte sie zu ersticken.

Wie hatte sie sich über den goldenen Brustlatz gefreut, und welche Pein stand sie nun hinter ihm aus! Aufschreien hätte sie mögen und durfte keine Miene verziehen. Niemand kümmerte sich um ihre Noth. Nur der alte, mit einer kleinen Glatze versehene Papagei, der neben ihr in einem Käfig hockte und ungestört den Gnadenzucker knusperte, welchen er, schon der Günstling der verstorbenen Mutter der Herzöge, nur aus fürstlichen Händen nahm, schaute sie mit seinen großen klugen Augen an. Dann sagte er in dem gütevollen Tone, den er in diesen Räumen gelernt hatte: „Armes Papchen! Ganz allein.“ Sie war ihm ordentlich dankbar für seine theilnehmende Ansprache.

So still es im Vorzimmer zuging, so lebhaft wurde die Unterhaltung im Wohngemach der Herzogin Eleonore geführt.

Summendes Geplauder tönte aus dem Damenkreis, der sich um die zarte Gestalt der fürstlichen Hausfrau versammelt hatte; mit markiger, wohllautender Baßstimme rühmte der stattliche Herzog Wilhelm die Wichtigkeit des Palmordens in jetziger Zeit, da die Worte fremder Völker die deutsche Heldensprache überschwemmten; gemessene Fragen richtete der schmächtig gewachsene blonde Herzog Ernst an die jüngsten fürstlichen Fräulein, die verlegen unter dem Blick seiner nachdenklichen Augen ihre Facinetlein drehten; dazwischen klang es wie durchdringender Kommandoruf von den feinen Lippen des jungen Herzog Bernhard, dessen schmale mandelförmige Augen über die versammelten Fürsten hinblitzten. Durch die verschiedenen Gruppen glitt der alte Hofmarschall Kaspar von Teutleben, das höchste Zeichen seiner Hofwürde, den Stab, in der Hand, beflügelten Schrittes dahin. Seine scharf geschnittenen Züge erschienen wie veklärt. Es war ja sein Ehrentag, wenn die Fruchtbringende Gesellschaft Sitzung hielt. Denn er hatte sie gegründet.

(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1888). Leipzig: Ernst Keil, 1888, Seite 728. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1888)_728.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2018)